12.01.2024

Ärzte müssen über eine mögliche Erweiterung einer Operation im Vorfeld aufklären

Der Patient muss vor chirurgischen Eingriffen, bei denen der Arzt die ernsthafte Möglichkeit einer Operationserweiterung oder den Wechsel in eine andere Operationsmethode in Betracht ziehen muss, hierüber und über die damit ggf. verbundenen besonderen Risiken aufgeklärt werden. Grundsätzlich sieht § 630e Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BGB keine vor der Einwilligung einzuhaltende "Sperrfrist" vor, deren Nichteinhaltung zur Unwirksamkeit der Einwilligung führen würde.

BGH v. 21.11.2023 - VI ZR 380/22
Der Sachverhalt:
Der Kläger litt im Herbst 2016 unter anhaltenden Beschwerden in der rechten Schulter. Der Beklagte zu 2) ist als Chefarzt für Schulterchirurgie in dem vom Beklagten zu 1) betriebenen Krankenhaus tätig. Er riet dem Kläger zur operativen Versorgung der rechten Schulter und des rechten Ellenbogens. Am 5.10.2016 wurde mit dem Kläger ein Aufklärungsgespräch durchgeführt. Darin wurde der Kläger u.a. über "evtl. erforderliche Erweiterungen (z.B. Umsteigen auf eine offene Operation) hingewiesen. Der Kläger unterzeichnete die Einwilligungserklärung.

Der Eingriff am 7.10.2016 wurde arthroskopisch begonnen. Allerdings Der wurde er sodann durch Erweiterung eines der Arthroskopieschnitte mittels Mini-open-Technik fortgeführt bzw. erweitert. Wegen einer postoperativ aufgetretenen Infektion mit Keimen musste sich der Kläger anschließend zwei weiteren Operationen an der rechten Schulter unterziehen. Er war der Ansicht, Der Beklagte zu 2) habe die Operationserweiterung ohne Einwilligung vorgenommen. Das mit der Erweiterung des Operationsgebiets verbundene Risiko einer Infektion habe sich bei ihm verwirklicht. Außerdem sei ihm nicht die gem. § 630e Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BGB erforderliche Überlegungszeit nach der Aufklärung gewährt worden.

Die Klage auf Schadensersatz wegen fehlerhafter ärztlicher Behandlung und unzureichender Aufklärung blieb in allen Instanzen erfolglos.

Gründe:
Die Revision wandte sich erfolglos gegen die Beurteilung des Berufungsgerichts, der Kläger sei vor dem Eingriff am 7.10.2016 ordnungsgemäß aufgeklärt worden und habe wirksam in den Eingriff eingewilligt.

Der Kläger war in dem Aufklärungsgespräch am 5.10.2016 über die Möglichkeit einer Änderung der Operationsmethode im Verlauf der Operation aufgeklärt worden und hatte im Anschluss daran seine Einwilligung auf dem Aufklärungsbogen erteilt. Entgegen der Auffassung der Revision hat das Berufungsgericht kein Sachvorbringen des Klägers dazu übergangen, dass seine Einwilligung auf die Durchführung einer Operation im Wege der arthroskopischen Methode beschränkt war.

Der Angabe der Ehefrau des Klägers, dieser sollte eine arthroskopische Operation "kriegen" und man habe sich in dem Gespräch auf die arthroskopische Methode geeinigt, musste das LG nicht weitergehend entnehmen, dass der Eingriff unabhängig von intraoperativ auftretenden Besonderheiten unter allen Umständen arthroskopisch zu Ende geführt werden musste. Denn dies hätte - wie auf Seite 2 des Aufklärungsbogens ausgeführt - zur Folge, dass der Eingriff ohne Versorgung der betroffenen Struktur hätte abgebrochen werden müssen, um erneut mit dem Patienten zu sprechen. Für eine so weitgehende Einschränkung der intraoperativen Reaktionsmöglichkeiten, die sich - wie im Aufklärungsbogen dargestellt - zum Nachteil des betroffenen Patienten auswirken kann, hätte es vielmehr einer eindeutigen Klarstellung bedurft.

Ohne Erfolg machte die Revision schließlich geltend, die dem Kläger zuteil gewordene Aufklärung über die Möglichkeit eines Methodenwechsels sei deshalb unzureichend, weil er nicht auf die mit dem Übergang zur Mini-open-Technik verbundene erhöhte Gefahr einer postoperativen Infektion hingewiesen worden sei. Die Infektionsraten der vom Beklagten zu 2) angewendeten Operationstechnik und der Arthroskopie unterschieden sich nicht voneinander. Die Frage, ob über eine Operation mit zeitlichem Abstand aufgeklärt werden muss, war mangels Rüge unerheblich. Grundsätzlich sieht § 630e Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BGB keine vor der Einwilligung einzuhaltende "Sperrfrist" vor, deren Nichteinhaltung zur Unwirksamkeit der Einwilligung führen würde; die Bestimmung enthält kein Erfordernis, wonach zwischen Aufklärung und Einwilligung ein bestimmter Zeitraum liegen müsste (Bestätigung Senatsurteil v. 20.12.2022 - VI ZR 375/21).

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