24.03.2023

Ausbleiben eines Zeugen: Anordnung der persönlichen Zeugeneinvernahme nach schriftlicher Zeugenbefragung

Ein ärztliches Attest, das einem Zeugen aus Gesundheitsgründen die Fähigkeit abspricht, den Vernehmungstermin wahrzunehmen, erfordert, dass das Gericht aus der vorgelegten ärztlichen Bescheinigung Art, Schwere und voraussichtliche Dauer der Erkrankung entnehmen und so die Frage einer etwaigen Reise- oder Verhandlungsunfähigkeit selbst beurteilen kann. Die Diagnose einer "chronischen Erkrankung" ist vollkommen unbestimmt und hierfür nicht geeignet. Die Anordnung der persönlichen Zeugeneinvernahme nach einer vorausgegangenen schriftlichen Aussage steht im Ermessen des Gerichts und ist vom Beschwerdegericht im Ordnungsgeldverfahren nicht zu überprüfen.

OLG Bamberg v. 20.3.2023 - 2 W 13/23 e
Der Sachverhalt:
Der Beschwerdeführer ist Notar a.D. Mit Verfügung der Einzelrichterin beim LG wurde er als Zeuge zu einem Termin in einer Nachlasssache geladen. Der Beschwerdeführer erklärte, dass er den Termin u.a. aufgrund einer derzeit von ihm erfolgenden Notariatsvertretung nicht wahrnehmen könne. Er sei aber zu einer schriftlichen Aussage bereit. Im Termin erschien der Beschwerdeführer nicht. Die Einzelrichterin ordnete die schriftliche Einvernahme des Beschwerdeführers als Zeugen gem. § 377 Abs. 3 Satz 1 ZPO an. Mit Fax erstattete der Beschwerdeführer im Oktober 2022 eine schriftliche Zeugenaussage, wobei er im Begleitschreiben darauf hinwies, dass bei Erforderlichkeit einer mündlichen Aussage der Termin wegen vieler Notarvertretungen in der Vorweihnachtszeit mit ihm abzusprechen sei.

Der Kläger bestand auf einer mündlichen Zeugenaussage des Beschwerdeführers. Daraufhin bestimmte die Einzelrichterin Termin zur mündlichen Verhandlung und Beweisaufnahme unter formloser Ladung des Beschwerdeführers. Der Termin wurde nachfolgend auf den 16.2.2023, 11 Uhr verlegt. Der Beschwerdeführer wandte sich gegen die Ladung unter Hinweis auf seine bereits erfolgten schriftlichen Angaben. Weitere Angaben zum Sachverhalt könne er nicht machen. Zudem sei es ihm aus Altersgründen unzumutbar, am frühen Vormittag per Zug bei Gericht zu erscheinen. Er sei bereit, sich im Wege der Rechtshilfe beim LG München vernehmen zu lassen. Daraufhin legte der Kläger ausführlich dar, aus welchen Gründen er die persönliche Einvernahme des Zeugen vor dem Prozessgericht für erforderlich halte.

Der Beschwerdeführer erklärte, dass er den Termin nicht wahrnehmen werde, da ihm dies nicht zumutbar sei. An einem neu zu bestimmenden Termin könnte er mittels Nutzung der Videokonferenzanlage des LG München teilnehmen. Daraufhin verlegte die Einzelrichterin den Termin vom 16.2.2023 von 11:00 Uhr auf 12:00 Uhr, um dem Beschwerdeführer eine einfachere Anreise zu ermöglichen. Am 15.2.2023 teilte der Beschwerdeführer dem LG per Fax unter Vorlage eines ärztlichen Attests mit, dass er zum Termin nicht erscheinen werde und darauf bestehe, dass von der Möglichkeit einer Videovernehmung Gebrauch gemacht werde. Das von einem Arzt für Allgemeinmedizin und Sportmedizin ausgestellte ärztliche Zeugnis attestierte dem Beschwerdeführer eine Reiseunfähigkeit, da er aufgrund einer chronischen Erkrankung nicht in der Lage sei, lange zu sitzen. Der Termin wurde ohne den Beschwerdeführer durchgeführt und endete mit einer Terminsbestimmung zur Beweisaufnahme durch Einvernahme des Beschwerdeführers als Zeuge.

Das LG verhängte gegen den Beschwerdeführer wegen des Nichterscheinens im Termin ein Ordnungsgeld i.H.v. 200 €, ersatzweise zwei Tage Ordnungshaft und erlegte ihm zugleich die durch das Ausbleiben im Termin verursachten Kosten auf. Der sofortigen Beschwerde des Beschwerdeführers hatte weder vor dem LG noch vor dem OLG Erfolg.

Die Gründe:
Das LG hat zu Recht gem. § 380 Abs. 1 ZPO gegen den ordnungsgemäß geladenen und im Termin zur Beweisaufnahme am 16.2.2023 nicht erschienenen Zeugen von Amts wegen ein Ordnungsgeld verhängt und ihm die durch das Ausbleiben verursachten Kosten auferlegt.

Eine genügende Entschuldigung des Beschwerdeführers für sein Ausbleiben gem. § 381 Abs. 1 Satz 1 ZPO liegt nicht vor. Insbesondere ist das vorgelegte privatärztliche Attest der Reiseunfähigkeit nicht hinreichend. Ein ärztliches Attest, das einem Zeugen aus Gesundheitsgründen die Fähigkeit abspricht, den Vernehmungstermin wahrzunehmen, stellt grundsätzlich eine genügende Entschuldigung für sein Ausbleiben dar. Allerdings ist der Verhinderungsgrund i.S.d. § 381 Abs. 1 ZPO so darzulegen und zu untermauern, dass das Gericht ohne weitere Nachforschungen selbst beurteilen kann, ob er vorliegt. Ein ärztliches Attest, das einem Zeugen aus Gesundheitsgründen die Fähigkeit abspricht, den Vernehmungstermin wahrzunehmen, erfordert, dass das Gericht aus der vorgelegten ärztlichen Bescheinigung Art, Schwere und voraussichtliche Dauer der Erkrankung entnehmen und so die Frage einer etwaigen Reise- oder Verhandlungsunfähigkeit selbst beurteilen kann.

Nach dieser Maßgabe liegt keine hinreichende Entschuldigung des Antragstellers vor. Dabei ist vorliegend bereits das Attest nicht geeignet, eine Beurteilung der Reisefähigkeit des Beschwerdeführers zu ermöglichen. Die Diagnose einer "chronischen Erkrankung" ist vollkommen unbestimmt und nicht geeignet, Grundlage einer Plausibiltätsprüfung einer aus ihr folgenden Reiseunfähigkeit zu sein. In gleicher Weise unspezifisch ist ferner die einzige weitere Information, dass der Patient "nicht lange sitzen" könne. Ohne die Angabe, in welchen Abständen eine Haltungsänderung erforderlich ist, kann eine Überprüfung der Möglichkeit der Bewältigung der Strecke zum Gerichtsort nicht vorgenommen werden. Zudem erscheint es insbesondere bei einer chronischen, mithin bereits länger währenden Erkrankung als sehr erhebliche und damit erläuterungsbedürftige Folge, wenn tatsächlich ein längeres Sitzen unmöglich wäre, da dies eine massive Einschränkung des Alltags darstellen würde, zumal wenn der Zeuge, wie hier, fortwährend mit zeitaufwändigen Notariatsvertretungen betraut ist und diese auch wahrnimmt. Aus den Gesamtumständen ergibt sich daher deutlich der Unwillen des Beschwerdeführers zur Wahrnehmung des Termins als Zeuge beim LG.

Der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen des Beschwerdeführers vor Gericht wird ferner nicht durch die zunächst erfolgte Gestattung der schriftlichen Beantwortung der Beweisfrage gem. § 377 Abs. 3 ZPO aufgehoben. Ob nach einer schriftlichen Aussage eine erneute persönliche Vernehmung erfolgen soll, steht im Ermessen des Gerichts, § 398 Abs. 1 ZPO. Die Anordnung der Beweisaufnahme ist unanfechtbar (§ 355 Abs. 2 ZPO), was eine weitere Überprüfung im gegenständlichen Ordnungsgeldverfahren ausschließt. Soweit das LG nachträglich eine Videovernehmung des Beschwerdeführers ermöglichen sollte, berührt dies die durch das Nichterscheinen im Termin vom 16.2.2023 verwirklichten Voraussetzungen des § 380 Abs. 1 ZPO nicht. Die Auferlegung der durch das Nichterscheinen verursachten Kosten sowie die Verhängung eines Ordnungsgeldes ist obligatorisch.

Mehr zum Thema:

Kommentierung | ZPO
§ 380 Folgen des Ausbleibens des Zeugen
Greger in Zöller, Zivilprozessordnung, 34. Aufl. 2022

Kommentierung | ZPO
§ 381 Genügende Entschuldigung des Ausbleibens
Greger in Zöller, Zivilprozessordnung, 34. Aufl. 2022

Kommentierung | ZPO
§ 389 Zeugnisverweigerung vor beauftragtem oder ersuchtem Richter
Greger in Zöller, Zivilprozessordnung, 34. Aufl. 2022

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