13.11.2023

beA-Störung: Glaubhaftmachung einer vorübergehenden technischen Unmöglichkeit gem. § 130d Satz 3 ZPO durch Vorlage eines Screenshots

Die Vorlage eines Screenshots kann geeignet sein, um eine behauptete Störung des beA gem. § 130d Satz 3 ZPO glaubhaft zu machen. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn sein Inhalt mit den Angaben in der beA-Störungsdokumentation auf der Internetseite der BRAK und in dem Archiv der auf der Störungsseite des Serviceportals des beA-Anwendersupports veröffentlichten Meldungen übereinstimmt, wonach die beA-Webanwendung im fraglichen Zeitraum nicht zur Verfügung stand und eine Adressierung von beA-Postfächern bzw. eine Anmeldung am beA nicht möglich war.

BGH v. 10.10.2023 - XI ZB 1/23
Der Sachverhalt:
Die Parteien streiten um die Rechtsfolgen des von dem Kläger erklärten Widerrufs seiner auf den Abschluss eines Verbraucherdarlehensvertrags gerichteten Willenserklärung.

Das LG wies die Klage ab. Der Kläger legte gegen das ihm am 22.8.2022 zugestellte Urteil am 22.9.2022 Berufung ein. Die Frist zur Begründung der Berufung wurde auf Antrag des Klägers bis zum 24.11.2022 verlängert. Am 24.11.2022 um 22:18 Uhr übermittelte die Prozessbevollmächtigte des Klägers zwei Schriftsätze nebst einem Screenshot per Telefax an das OLG. Mit dem ersten dieser Schriftsätze teilte sie mit, dass aufgrund von Störungen derzeit überhaupt keine Verbindung zu dem beA aufgebaut werden könne. Auf der Seite der BRAK sei angegeben, dass seit rd. 14:06 Uhr die beA-Webanwendung nicht zur Verfügung stehe und mit Hochdruck an der Störungsbeseitigung gearbeitet werde. Da aufgrund der Größe des Schriftsatzes ein weiteres Zuwarten nicht mehr angezeigt sei, werde der beigefügte Fristverlängerungsantrag per Fax eingereicht. Mit dem zweiten Schriftsatz wurde beantragt, die Berufungsbegründungsfrist im versicherten Einvernehmen der Gegenseite wegen starker Arbeitsüberlastung nochmals um einen Monat zu verlängern. Beide Schriftsätze übermittelte die Prozessbevollmächtigte des Klägers zudem unaufgefordert am 25.11.2022 per beA an das OLG.

Mit Verfügung des Vorsitzenden vom 30.11.2022 wurde der Kläger darauf hingewiesen, dass der Berufungssenat beabsichtigte, die Berufung des Klägers gem. § 522 Abs. 1 ZPO als unzulässig zu verwerfen, da sie nicht innerhalb der bis zum 24.11.2022 verlängerten Frist begründet worden sei und die an diesem Tag per Telefax eingereichten Schriftsätze nicht den Anforderungen des § 130d ZPO genügten, weil die vorübergehende Unmöglichkeit der Übermittlung als elektronisches Dokument aus technischen Gründen nicht gem. § 130d Satz 3 ZPO glaubhaft gemacht worden sei. Daraufhin legte die Prozessbevollmächtigte des Klägers mit Schriftsatz vom 8.12.2022 eine Berufungsbegründung vor, versicherte mit weiterem Schriftsatz vom gleichen Tag die Richtigkeit des am 24.11.2022 geschilderten Sachverhalts unter Bezugnahme auf ihre Berufspflichten anwaltlich und beantragte vorsorglich die Wiedereinsetzung in die Berufungsbegründungsfrist.

Mit dem angefochtenen Beschluss verwarf das OLG die Berufung des Klägers als unzulässig, weil der Kläger die Berufungsbegründungsfrist des § 520 Abs. 2 ZPO versäumt habe. Zwar enthalte der Schriftsatz der Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 24.11.2022 eine ausreichende Mitteilung, dass die Einreichung des Antrags auf erneute Verlängerung der Frist zur Berufungsbegründung in der Form des § 130d Satz 1 ZPO aus technischen Gründen vorübergehend unmöglich sei. Für die Zulässigkeit einer Ersatzeinreichung nach § 130d Satz 2 ZPO fehle allerdings die nach § 130d Satz 3 ZPO erforderliche Glaubhaftmachung. Hierfür sei wenigstens eine (formgerechte) anwaltliche Versicherung des Scheiterns der Übermittlung erforderlich. Eine solche Versicherung enthalte der Schriftsatz vom 24.11.2022 nicht und die in dem Schriftsatz vom 8.12.2022 enthaltene anwaltliche Versicherung sei nicht mehr unverzüglich i.S.v. § 130d Satz 3 ZPO erfolgt.

Auf die Rechtsbeschwerde des Klägers hob der BGH den Beschluss des OLG auf, gewährte dem Kläger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist und verwies die Sache zur erneuten Entscheidung an das OLG zurück.

Die Gründe:
Das OLG hat zu Unrecht nicht geprüft, ob dem Kläger die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist zu gewähren ist.

Der Kläger hat am 8.12.2022 und damit innerhalb der Monatsfrist aus § 234 Abs. 1 Satz 2 ZPO Wiedereinsetzung in die Berufungsbegründungsfrist beantragt und gleichzeitig die versäumte Prozesshandlung nachgeholt, indem er die Berufungsbegründung eingereicht hat. Der Kläger war ohne sein Verschulden und ohne ein ihm gem. § 85 Abs. 2 ZPO zurechenbares Verschulden seiner Prozessbevollmächtigten an der Einhaltung der Berufungsbegründungsfrist verhindert. Er durfte darauf vertrauen, dass sein am 24.11.2022 per Telefax übermittelter Antrag, die bis zu diesem Tag verlängerte Berufungsbegründungsfrist gem. § 520 Abs. 2 Satz 2 ZPO im Einverständnis mit der Beklagten erneut zu verlängern, nicht abgelehnt werde.

Der Fristverlängerungsantrag ist auch wirksam gestellt worden. Eine elektronische und damit formgerechte Übermittlung des Verlängerungsantrags vor Ablauf der Berufungsbegründungsfrist ist hier zwar nicht erfolgt. Allerdings waren die Voraussetzungen für eine Ersatzeinreichung gem. § 130d Satz 2, 3 ZPO erfüllt. Das OLG ist noch zutreffend davon ausgegangen, dass die am 24.11.2022 bestehende Störung des beA, die dazu führte, dass mehrere Stunden lang keine Verbindung zum beA aufgebaut werden konnte, eine vorübergehende technische Unmöglichkeit der Übermittlung als elektronisches Dokument i.S.v. § 130d Satz 2 ZPO begründete und dass der Schriftsatz vom 24.11.2022 eine ausreichende Schilderung der einen Ausnahmefall nach § 130d Satz 2 ZPO begründenden Tatsachen enthält. Allerdings überspannt das OLG die sich aus § 130d Satz 3 ZPO ergebenden Anforderungen an die Glaubhaftmachung einer auf technischen Gründen beruhenden vorübergehenden Unmöglichkeit der Übermittlung als elektronisches Dokument, indem es im vorliegenden Fall eine anwaltliche Versicherung des Scheiterns der Übermittlung für zwingend erforderlich erachtet, ohne den vorgelegten Screenshot zu berücksichtigen.

Die Vorlage dieses Screenshots, bei dem es sich um ein Augenscheinsobjekt i.S.v. § 371 Abs. 1 ZPO handelt, war im vorliegenden Fall geeignet, die behauptete Störung glaubhaft zu machen. Denn sein Inhalt stimmt überein mit den Angaben in der beA-Störungsdokumentation auf der Internetseite der BRAK und in dem Archiv der auf der Störungsseite des Serviceportals des beA-Anwendersupports veröffentlichten Meldungen für den Zeitraum Juli - Dezember 2022, nach denen vom 24.11.2022, 14:06 Uhr, bis zum 25.11.2022, 3:33 Uhr eine Störung des beASystems bestand, wodurch die beA-Webanwendung nicht zur Verfügung stand und eine Adressierung von beA-Postfächern bzw. eine Anmeldung am beA nicht möglich war. Unter diesen Umständen kann dahinstehen, ob das OLG die von der Prozessbevollmächtigten des Klägers geschilderte Störung angesichts der auf der Internetseite der BRAK verfügbaren Informationen als offenkundig (§ 291 ZPO) hätte behandeln können.

Mehr zum Thema:

Kommentierung | ZPO
§ 130d Nutzungspflicht für Rechtsanwälte und Behörden
Greger in Zöller, Zivilprozessordnung, 35. Aufl. 2024
10/2023

Rechtsprechung:
Ersatzeinreichung per Telefax statt über beA
BGH vom 25.07.2023 - X ZR 51/23
MDR 2023, 1405
MDR0060509

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