05.05.2023

Beharren auf Zahlungsanspruch durch eine private Krankenkasse kann Schikane darstellen

Kein Anspruch der privaten Krankenkasse auf Beiträge nach erfolgter Kündigung, wenn Anschlussversicherungsnachweis nicht beweisbar vorgelegt worden war, aber gesetzliche Pflichtversicherung tatsächlich ununterbrochen besteht. Die Ausübung eines Rechts ist unzulässig, wenn sie nur den Zweck haben kann, einem anderen Schaden zuzufügen (§ 226 BGB - Schikaneverbot).

AG Halle (Saale) v. 6.4.2023 - 98 C 519/22
Der Sachverhalt:
Der Beklagte hatte - im Zuge einer Insolvenz 2015 - am 26.6.2015 seinen bestehenden Krankenversicherungsvertrag gegenüber der Klägerin gekündigt. Die Klägerin teilt ihm am 23.7.2015 mit, dass die Kündigungsfrist drei Monate beträgt - so dass zum 1.12.2015 die Kündigung wirksam sei, allerdings nur, wenn er einen Nachweis zur Pflichtversicherung innerhalb der Kündigungsfrist vorlegen würde. Seit dem 22.6.2015 ist der Beklagte gesetzlich Kranken- und Pflegeversicherung pflichtversichert.

Am 16.9.2015 hatten die Parteien telefonischen Kontakt. Die Klägerin behauptete, den Beklagten darüber informiert zu haben, dass ein Nachweis über die Anschlussversicherung ihr nicht vorliege und deshalb der Vertrag unverändert fortlaufe. Mit Mahnbescheid vom 8.12.2021 verfolgte sie ihre Zahlungsansprüche und erklärte nach Verjährungseinwand den Rechtsstreit für den Zeitraum 2016 und 2017 für erledigt - dem der Beklagte zugestimmt hat.

Die Klägerin forderte weiterhin vom Beklagten einen Betrag i.H.v. 1.536 € für den Zeitraum 2018-2019. Das AG hat die Klage abgewiesen.

Die Gründe:
Der seinen Prämienanspruch geltend machende Versicherer kann sich nicht auf die Unwirksamkeit einer vom Versicherungsnehmer ausgesprochenen Kündigung wegen Fehlens eines Anschlussversicherungsnachweises gem. § 205 Abs. 6 VVG berufen, wenn er den Versicherungsnehmer nicht nachweisbar auf dessen Fehlen hingewiesen hat.

Insoweit fehlte es hier an einer eindeutigen Zurückweisung der Kündigung wegen Fehlens des Nachweises über die Erfüllung der Krankenversicherungspflicht. Die Klägerin hat keinen Beweis dafür angeboten, dass ein Schreiben mit der deutlichen Zurückweisung der Kündigung den Beklagten erreicht hatte. Die Hinweispflicht des Versicherers umfasst nicht nur die Absendung eines entsprechenden Hinweisschreibens, sondern auch dessen Zugang beim Versicherungsnehmer. Die dem Versicherungsnehmer nach Treu und Glauben geschuldeten Informationen sind empfangsbedürftig.

Zwar hatte die Klägerin bereits am 23.7.2015 auf die Notwendigkeit der Vorlage des Nachweises und etwaiger künftiger Folgen hingewiesen. Es kam auch zu einem telefonischen Kontakt. Nach ständiger Rechtsprechung ist der Versicherer jedoch verpflichtet, seinen Kunden bei unvollständiger, formunwirksamer, verspäteter oder aus anderem Grund ungültigen Kündigung unverzüglich über den Mangel zu informieren. Unterlässt er dies, wird die ansonsten ungültige Kündigung nach Treu und Glauben als wirksam angesehen. Nach überwiegender Auffassung schafft der Versicherer durch sein Untätigbleiben einen Vertrauenstatbestand.

Diese strengen Voraussetzungen für die ausdrückliche Aufklärung des Versicherungsnehmers sind auch deshalb notwendig, weil andernfalls der Versicherer auf unabsehbare Zeit sich eines Zahlungsanspruchs rühmen könnte, dem keine Gegenleistung gegenübersteht, wenn und weil der Versicherungsnehmer tatsächlich - wie hier - gesetzlich krankenversichert ist. Es widerspricht Treu und Glauben, einen Zahlungsanspruch zu generieren - ohne Gegenleistung. Die Klägerin trug hier seit dem 22.6.2015 für den Beklagten weder das Risiko, Heilbehandlungskosten für ihn zu übernehmen, noch gab es in dieser Zeit eine Kostentragung. Insofern kam nicht nur ein Verbot nach § 242 BGB in Betracht, sondern darüber hinaus auch § 226 BGB - das Schikaneverbot: Die Ausübung eines Rechts ist unzulässig, wenn sie nur den Zweck haben kann, einem anderen Schaden zuzufügen.

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