14.10.2025

Bei wem soll das Kind über­wie­gend leben? Umgangsregelung hat Vorrang vor einem Ein­griff in das Auf­ent­halts­be­stim­mungs­recht

Betrifft ein Streit gemeinsam sorgeberechtigter Eltern ausschließlich die Frage, bei welchem Elternteil das Kind seinen überwiegenden Aufenthalt hat, besteht kein Regelungsbedürfnis für eine sorgerechtliche Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrecht nach § 1671 Abs.1 Satz 2 Nr. 2 BGB, sondern vielmehr ein Vorrang einer Regelung des Umgangsrechts nach § 1684 Abs. 3 S. 1 BGB.

OLG Frankfurt a.M. v. 31.7.2025 - 6 UF 134/25
Der Sachverhalt:
Die Beteiligte zu 3. (im Folgenden Kindesmutter) wendet sich mit ihrer Beschwerde gegen die Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts für den gemeinsamen 14jährigen Sohn auf den Beteiligten zu 4. (im Folgenden Kindesvater).

Das betroffene Kind ist aus der zwischenzeitlich rechtskräftig geschiedenen Ehe der Kindeseltern hervorgegangen. Nach der Trennung der Eltern Ende des Jahres 2013 verblieb das Kind im Haushalt der Kindesmutter und es fanden Umgangskontakte mit dem Kindesvater statt.

Der Kindesvater hat das vorliegende sorgerechtliche Verfahren im April 2023 mit dem Ziel eingeleitet, den Lebensmittelpunkt des Kindes in seinem Haushalt zu begründen. Den Antrag, ihm das Aufenthaltsbestimmungsrecht zu übertragen, hat er mit dem Wunsch des Kindes, bei ihm zu leben, begründet. Das Kind fühle sich bei ihm viel wohler als bei der Kindesmutter, die durch Erziehungsfehler das Kindeswohl gefährde.

Die Kindesmutter sah den Lebensmittelpunkt des Sohnes in ihrem Haushalt. Zur Begründung führte sie u.a. an, dass das Kind im Haushalt des Kindesvaters gegen sie aufgehetzt und ihr entfremdet werde. Der Kindesvater lasse auch das notwendige Interesse an der Kindesentwicklung vermissen. Die bisherige positive soziale und kognitive Entwicklung des Kindes sei einzig und allein ihrem durchgängigen Engagement geschuldet. Ein inniges Vater-Sohn-Verhältnis sei schließlich nicht festzustellen.

Mit dem angefochtenen Beschluss hat das AG dem Kindesvater das Aufenthaltsbestimmungsrecht für das Kind entsprechend der Empfehlung der Sachverständigen und des Verfahrensbeistands übertragen. Die Sachverständige habe empfohlen, den dauernden Aufenthalt des Kindes im Haushalt des Kindesvaters zu belassen. Hinzu komme, dass auf Seiten der Kindesmutter Einschränkungen in der Erziehungsfähigkeit, insbesondere in der Förderfähigkeit und der Bindungstoleranz, bestünden. Der Kindesvater erscheine eher geeignet, dem Kind den notwendigen Freiraum zu belassen, ohne hierbei die schulischen Belange zu vernachlässigen. Insbesondere sei der Wille des Kindes, zukünftig seinen Lebensmittelpunkt im Haushalt des Kindesvaters zu haben, zu berücksichtigen.

Die Beschwerde der Kindesmutter hatte vor dem OLG insoweit Erfolg, als die Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts für das betroffene Kind auf den Kindesvater aufgehoben und der Antrag des Kindesvaters, ihm das Aufenthaltsbestimmungsrecht zu übertragen, zurückgewiesen wurde.

Die Rechtsbeschwerde wurde zur Frage der Abgrenzung von Sorge- und Umgangsrecht bei einem elterlichen Streit über den Lebensmittelpunkt des Kindes zugelassen, weil der Senat von der Entscheidung anderer OLG abweicht.

Die Gründe:
Das AG hätte keine Entscheidung über die Aufhebung des gemeinsamen Aufenthaltsbestimmungsrechts nach § 1671 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BGB treffen dürfen, sondern den Antrag des Kindesvaters zurückweisen müssen. Denn die vom Kindesvater erstrebte Aufteilung der überwiegenden Kinderbetreuungszeiten zu Gunsten eines Elternteils ist einer umgangsrechtlichen Regelung nach § 1684 Abs. 3 Satz 1 BGB vorbehalten und es besteht insoweit kein Rechtsschutzbedürfnis für eine Übertragung des alleinigen Aufenthaltsbestimmungsrechts auf einen Elternteil.

Nach der Rechtsprechung des Senats gebührt bei einem Elternstreit um die Aufteilung der Kinderbetreuungszeiten - auch außerhalb eines im Raum stehenden Wechselmodells - der umgangsrechtlichen Lösung dieser Frage nach § 1684 BGB gegenüber einer Entscheidung über das Aufenthaltsbestimmungsrecht nach § 1671 BGB der Vorrang. Denn es besteht im Hinblick auf das von Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG geschützte elterliche Sorgerecht kein Regelungsbedürfnis für eine Übertragung des alleinigen Aufenthaltsbestimmungsrechts auf den anderen Elternteil. Der Eingriff in das Elternrecht ist unverhältnismäßig, weil dem begünstigten Elternteil mehr Rechtsmacht verliehen wird als notwendig und eine Umgangsregelung, die nur die tatsächliche Ausübung der elterlichen Sorge betrifft ohne in das Sorgerecht als Status einzugreifen.

Der Streit um den Lebensmittelpunkt des Kindes wird in der obergerichtlichen Rechtsprechung zwar zum Teil nach wie vor auf der sorgerechtlichen Ebene durch Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts gelöst (vgl. OLG Brandenburg v. 29.3.2023 - 13 UF 157/22).

Für die Auffassung des Senats spricht schließlich auch, dass der BGH bereits ausdrücklich entschieden hat, dass die Abänderung eines in einem Umgangsrechtsverfahren vereinbarten Wechselmodell stets in einem Umgangsverfahren zu erfolgen hat und nicht über die Zuweisung des Aufenthaltsbestimmungsrechtes entschieden werden kann (vgl. BGH v. 19.1.2022 - XII ZA 12/21).

Im vorliegenden Fall ist der Streit der Eltern um die Betreuungsanteile umgangsrechtlich zu lösen. Der Kindesvater strebt die Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechtes an, um den Lebensmittelpunkt des Kindes, das sich seit März 2024 überwiegend bei ihm aufhält, bei sich beizubehalten. Er hat in dem Verfahren selbst wiederholt deutlich gemacht, dass es ihm um eine Beibehaltung der Betreuungszeiten im Sinne einer überwiegenden Betreuung durch ihn geht. Die Kindesmutter hingegen erstrebt eine Einführung des Wechselmodells. Es steht weder ein Umzug eines Elternteils im Raum noch fasst ein Elternteil ernsthaft eine Fremdunterbringung des betroffenen Kindes ins Auge, was eine Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts ggf. rechtfertigen kann.

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Aufsatz:
Die Entwicklung der Rechtsprechung zur elterlichen Sorge und zum Umgangsrecht seit 2022
FuR 2025, 114

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