01.03.2024

Beratungspflichten eines Rechtsanwalts bei Wegfall der Erfolgsaussicht eines Rechtsstreits nach Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung

Die aktuelle einschlägige höchstrichterliche Rechtsprechung hat ein auf das betroffene Rechtsgebiet spezialisierter Rechtsanwalt, der mit einer Vielzahl ähnlich gelagerter Verfahren mandatiert ist, im besonderen Maße zeitnah zur Kenntnis zu nehmen und bei seiner Beratung zu berücksichtigen. Er ist gehalten, sich über die online verfügbare Entscheidungsdatenbank des BGH über die fortlaufende Rechtsprechung zu informieren.

Thüringer OLG v. 26.1.2024 - 9 U 364/18
Der Sachverhalt:
Die Klägerin ist ein Rechtsschutzversicherer. Sie hatte die beklagten Rechtsanwälte aus übergegangenem Recht ihrer Versicherungsnehmer auf Ersatz eines Kostenschadens in Anspruch genommen. Der Schaden soll dadurch verursacht worden sein, dass die Beklagten für ihre Mandanten einen von vornherein aussichtslosen Rechtsstreit geführt bzw. fortgeführt hatten.

Das LG hat die Beklagten als Gesamtschuldner zu einer Zahlung von 8.419 € verurteilt, weil die Beklagten für ihre Mandanten einen bereits zum Zeitpunkt der Klageerhebung im Juni 2013 aussichtslosen Rechtsstreit eingeleitet hätten und den Mandanten durch diese Pflichtverletzung ein Prozesskostenschaden entstanden sei. Auf die hiergegen gerichtete Berufung der Beklagten hat das OLG die Entscheidung abgeändert und den Betrag reduziert.

Die Gründe:
Der Klägerin steht gegen die Beklagten aus übergegangenem Recht ein Schadensersatzanspruch wegen einer Pflichtverletzung aus Anwaltsvertrag i.H.v. 6.004 € zu (§ 280 Abs. 1, § 675 Abs. 1 BGB, § 86 Abs. 1 Satz 1 VVG).

Der von der Klägerin geltend gemachte Kostenschaden ist von dem Streitgegenstand ihrer ursprünglichen Klage umfasst. In dem Urteil vom 16.9.2021 (IX ZR 165/19) hat der BGH dargelegt, dass ein und derselbe Kostenschaden zwei unterschiedlichen, sich wechselseitig ausschließenden Streitgegenständen unterfallen kann (dort Rn. 25). Der Mandant kann behaupten, der Vorprozess wäre bei pflichtgemäßem Vorgehen des Anwalts gewonnen und ihm folglich keine Kostenpflicht auferlegt worden. Hier tritt der Kostenschaden neben den Schaden, der im Verlust der Hauptsache liegt. Zum anderen kann der Mandant geltend machen, der Anwalt habe den nicht gewinnbaren Vorprozess gar nicht erst einleiten oder fortführen dürfen.

Anders als die Beklagten meinten, lag in der zweiten Alternative nicht nochmals zwei unterschiedliche Streitgegenstände, nämlich die Einleitung und die Fortführung des Rechtsstreits über mehrere Instanzen. Vielmehr bildeten die Einleitung und die Fortführung nach den Ausführungen des BGH erkennbar einen einheitlichen Streitgegenstand. Dies ergibt sich aus Randnummer 31 des Urteils, in der der BGH ausdrücklich die Beratungspflicht über die Erfolgsaussichten über die Einleitung hinaus auf die Fortführung des Verfahrens ausweitet und insbesondere bei Änderung der tatsächlichen oder rechtlichen Ausgangslage die Beratung des Mandanten über diese Umstände verlangt.

Die Beklagten haben die ihnen zukommenden Pflichten aus dem Anwaltsvertrag mit ihren Mandanten verletzt, weil sie sie vor der erstinstanzlichen mündlichen Verhandlung vor dem LG nicht zum Wegfall der Erfolgsaussichten ihrer Klage beraten und nicht von der Einlegung dieses Rechtsmittels abgeraten hatten. Der Annahme der Aussichtlosigkeit der Rechtsverfolgung stand nicht entgegen, dass sich der BGH in einschlägigen Urteilen in Parallelverfahren nicht ausdrücklich mit der Vereinbarkeit seiner Entscheidung mit dem Unionsrecht auseinandergesetzt hatte. Auch die Möglichkeit einer Verfassungsbeschwerde gegen eine letztinstanzliche Entscheidung rechtfertigt die Fortführung eines nach der einschlägigen Rechtsprechung der Fachgerichte aussichtslosen Rechtsstreits grundsätzlich nicht. An der der anwaltlichen Beratung zugrunde zu legenden fehlenden Erfolgsaussicht der weiteren Rechtsverfolgung ändert auch die Tatsache nichts, dass die Rechtsanwälte beim BGH die Durchführung des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens in Parallelverfahren befürwortet haben.

Die aktuelle einschlägige höchstrichterliche Rechtsprechung hat ein auf das betroffene Rechtsgebiet spezialisierter Rechtsanwalt, der mit einer Vielzahl ähnlich gelagerter Verfahren mandatiert ist, im besonderen Maße zeitnah zur Kenntnis zu nehmen und bei seiner Beratung zu berücksichtigen. Er ist gehalten, sich über die online verfügbare Entscheidungsdatenbank des BGH über die fortlaufende Rechtsprechung zu informieren. Ein auf Kapitalanlagerecht spezialisierter Rechtsanwalt, der für die von ihm vertretenen Anleger massenhaft Güteanträge zur Hemmung der Verjährung gestellt hatte und bundesweit Klageverfahren betrieb, musste die Entwicklung der Rechtsprechung zu den Güteanträgen im besonderen Maße verfolgen. Dass im Jahr 2015 zahlreiche Revisions- bzw. Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren beim BGH anhängig waren, bei denen (auch) die Hemmungswirkung von Güteanträgen gegenständlich war, musste einem auf diesem Feld tätigen Rechtsanwalt bekannt sein, so dass er die höchstrichterliche Entscheidung zu erwarten und zeitnah zur Kenntnis zu nehmen hatte. Dieser Zeitpunkt ist zum 30.9.2015 eingetreten.

Mehr zum Thema:

Beratermodul Zöller Zivilprozessrecht:
Die perfekte Basisausstattung zum Zivilprozessrecht finden Praktiker in diesem Modul. Mit neuen Kommentierungen zu digitalen Themen und topaktuellen Annotationen zu Gesetzesänderungen und wichtiger neuer Rechtsprechung. Inklusive LAWLIFT Dokumentautomation Zivilprozessrecht. Nutzen Sie ausgewählte Dokumente zur Bearbeitung mit LAWLIFT. 4 Wochen gratis nutzen!
Online-Verwaltung Thüringen
Zurück