08.12.2025

Bestandsinteresse des Mieters schlägt Verwertungsinteresse des Vermieters: Räumungsklage erfolglos

Das AG Berlin Mitte hat die auf eine erneute Verwertungskündigung gestützte Räumungsklage der Vermieterin gegen eine Mieterin eines Wohngebäudekomplexes in der Habersaathstraße abgewiesen. Das Bestandsinteresse der Mieterin überwiege das Verwertungsinteresse des Vermieters. Ein den Abriss rechtfertigender Erneuerungsbedarf des Gebäudes insgesamt sei nicht dargetan.

AG Berlin Mitte v. 3.12.2025 - 9 C 5083/25
Der Sachverhalt:
Die Klägerin ist seit dem Jahr 2018 Eigentümerin und Vermieterin des Wohngebäudekomplexes Habersaathstraße 40-48, das im Jahr 1984 errichtet wurde und zunächst als Schwesternwohnheim der Charité diente. Die Beklagte ist seit dem Jahr 1998 Mieterin einer in dem Gebäudekomplex gelegenen 2-Zimmer-Wohnung.

Die Klägerin plant nach Abriss des Bestandsgebäudes die Neuerrichtung eines Wohngebäudes u.a. mit einer voraussichtlichen Anzahl von 111 Wohnungen, 3 Ladeneinheiten und 45 Tiefgaragenplätzen. Die hierfür erforderliche Baugenehmigung ist der Klägerin erteilt worden. Die Klägerin verfügt ferner über eine zeitlich befristete Abrissgenehmigung u.a. für die von der Beklagten bewohnte Wohnung.

Nachdem eine frühere Räumungsklage der Klägerin gegen die Beklagte wegen einer im Jahr 2022 ausgesprochenen Verwertungskündigung in beiden Instanzen ohne Erfolg geblieben war, kündigte die Klägerin im Oktober 2024 das Mietverhältnis mit der Beklagten erneut. Zur Begründung führte die Klägerin aus, das Mietverhältnis stehe dem Abriss und Neubau nebst anschließendem Verkauf als einzig wirtschaftlich vertretbarer Möglichkeit der Verwertung des Grundstücks entgegen. Zugleich bot sie der Beklagten den Abschluss eines unbefristeten Wohnungsmietvertrages in einem anderen Objekt an.

Die von der Beklagten bewohnte Wohnung wurde bis Anfang November 2025 mit Fernwärme versorgt. Seitdem werden die in der Wohnung installierten Heizkörper bei geöffnetem Thermostatventil nicht mehr warm. Der Vertrag zwischen der Klägerin und dem bisherigen Fernwärmeversorger war zum 31.10.2025 ausgelaufen. Die Klägerin stellte der Beklagten als Ersatz für die Versorgung mit Fernwärme elektrische Heizradiatoren zur Verfügung.

Das AG hat die auf die erneute Verwertungskündigung gestützte Räumungsklage abgewiesen und die Vermieterin auf die Widerklage der Mieterin hin verurteilt, die Funktionsfähigkeit der in der Wohnung der Mieterin installierten Heizkörper wiederherzustellen. Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Die Klägerin kann hiergegen binnen eines Monats ab Zustellung des Urteils Berufung zum LG einlegen.

Die Gründe:
Die erneut ausgesprochene Verwertungskündigung ist nicht wirksam. Der Klägerin entsteht durch den Fortbestand des Mietverhältnisses kein erheblicher Nachteil. Bei der Abwägung zwischen dem Bestandsinteresse der Beklagten und dem Verwertungsinteresse der Klägerin ist mit ganz erheblichem Gewicht zu berücksichtigen, dass die Klägerin das Objekt in Kenntnis der Beklagten und der eingeschränkten Möglichkeiten zur Änderung oder gar Beendigung der bestehenden Mietverhältnisse erworben hat. Die geplante Verwertung mit der weiterhin angestrebten Rendite ist von vorneherein ein hochriskantes und im Rahmen der Abwägung damit weniger schutzwürdiges Geschäft gewesen. Der Klägerin hätte es oblegen, sich vor dem Erwerb - wie marktüblich - im Rahmen einer sachgerechten Due Diligence ein hinreichendes Bild von den baulichen Verhältnissen zu machen. Auch hätte es ihr oblegen, die nicht fernliegende Möglichkeit des Fortbestandes der Mietverhältnisse wirtschaftlich sinnvoll zu kalkulieren. Dass sich der Erwerb nunmehr als Fehlkalkulation herausstellt, kann nicht zu Lasten der Mieter gehen.

Ein den Abriss rechtfertigender Erneuerungsbedarf des Gebäudes insgesamt ist nicht dargetan. Es ist der Klägerin auch unter Erhalt der Bausubstanz mit vertretbarem Aufwand möglich, die Wohnung in einen Zustand zu versetzen, der einer angemessenen Wohnraumversorgung entspricht. Eine angemessene Wohnraumversorgung ist nicht gleichzusetzen mit dem heutigen Komfort und Stand der (Neubau-)Technik. Vielmehr meint der Begriff die Versorgung mit nach Größe, Ausstattung und Miete für breite Schichten der Bevölkerung geeigneten Wohnraum. Ausreichend ist ein mangelfreier Durchschnittszustand. Soweit hierfür Modernisierungsmaßnahmen erforderlich sind, könnten die dabei entstehenden Kosten in den gesetzlichen Grenzen auf die Mieter umgelegt werden.

Die Funktionslosigkeit der Heizkörper in der Wohnung stellt einen Mangel der Wohnung dar, weil die Wohnung mit funktionierenden Heizkörpern vermietet wurde. Dies stellt den von der Klägerin geschuldeten Soll-Zustand dar. Die gestellten Elektroheizkörper stellen keinen geeigneten Ersatz für eine ordnungsgemäße Fernwärmeversorgung dar. Der Dauerbetrieb von Elektroheizkörpern führt zu unverhältnismäßig hohen Stromkosten und verbraucht zusätzlichen Platz in der Wohnung. Ein unbilliger Kontrahierungszwang mit dem bisherigen Fernwärmeversorger trifft die Klägerin nicht. Es bleibt ihr überlassen, wie sie den Betrieb der in der streitgegenständlichen Wohnung befindlichen Heizkörper sicherstellt.

+++ Hinweis: +++
Beim AG Mitte sind derzeit noch vier weitere Räumungsklagen anhängig, die denselben Gebäudekomplex betreffen und ebenfalls auf Verwertungskündigungen gestützt werden.

Mehr zum Thema:

Rechtsprechung:
Grundlegende Umgestaltung der Mietwohnung rechtfertigt Verwertungskündigung
LG Lübeck vom 26.6.2024 - 14 S 38/24
Norbert Monschau, MietRB 2024, 243

Interessenabwägung bei Verwertungskündigung gem. § 573 BGB
AG Dachau vom 10.5.2023 - 4 C 240/22
Bastian Kiehn, MietRB 2024, 217

Verwertungskündigung: Räumungsklage bei angemessener wirtschaftlicher Verwertung
AG Köln vom 8.1.2022 - 205 C 215/21
Fabian Bagusche, MietRB 2022, 103

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