04.06.2025

Bestellung eines Betreuers trotz fehlender Kenntnis vom Aufenthalt des Betroffenen

Die Bestellung eines Betreuers kann auch dann in Betracht kommen, wenn im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung der Aufenthalt des Betroffenen nicht bekannt ist. In diesem Fall kann ein Betreuungsbedarf iSv § 1815 Abs. 1 Satz 3 BGB jedenfalls dann angenommen werden, wenn der Betreuer trotz der fehlenden Kenntnis vom Aufenthalt des Betroffenen durch rechtliche Entscheidungen einen für diesen positiven Einfluss nehmen kann oder sich aufgrund der bisherigen Kenntnisse über die Lebenssituation des Betroffenen abzeichnet, dass ein konkreter Betreuungsbedarf entsteht, falls der Aufenthalt des Betroffenen ermittelt wird oder dieser an seinen bisherigen Aufenthaltsort wieder zurückkehrt. Eine Betreuung kann in diesen Fällen aber nur dann angeordnet werden, wenn das Gericht nach Ausschöpfung aller sonstigen Erkenntnismöglichkeiten auch von der Betreuungsbedürftigkeit des Betroffenen überzeugt ist.

BGH v. 9.4.2025 - XII ZB 235/24
Der Sachverhalt:
Der Betroffene wendet sich gegen die Bestellung eines Betreuers und die Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts für die Vermögenssorge. Der Betroffene leidet an einer kognitiven Störung, mutmaßlich im Rahmen einer dementiellen Entwicklung bei Verdacht auf eine bereits bestehende leichte Intelligenzminderung.

Im April 2018 erteilte er der Beteiligten zu 3 eine notariell beurkundete Generalvollmacht u.a. für die Wahrnehmung vermögensrechtlicher und persönlicher Angelegenheiten einschließlich Gesundheitssorge und Unterbringungen. Nach Einholung eines Sachverständigengutachtens und Anhörung des Betroffenen bestellte das AG den Beteiligten zu 1 zum beruflichen Betreuer des Betroffenen mit dem Aufgabenkreis Überwachung und Widerruf der erteilten Vollmacht, Aufenthaltsbestimmung, Entscheidung über Unterbringung, Gesundheitssorge, Heimplatz,- Wohnungs- und Vermögensangelegenheiten, Vertretung gegenüber Behörden und Sozialversicherungsträgern sowie Postangelegenheiten.

Im November 2023 widerrief der Beteiligte zu 1 die der Beteiligten zu 3 erteilte Generalvollmacht. Nach der betreuungsgerichtlichen Genehmigung des Widerrufs händigte die Beteiligte zu 3 dem Beteiligten zu 1 auf dessen Veranlassung die Generalvollmacht im Original aus. Auf Antrag des Beteiligten zu 1 hat das AG nach Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens und erneuter Anhörung des Betroffenen zusätzlich einen Einwilligungsvorbehalt für die Vermögenssorge angeordnet. Gegen die amtsgerichtlichen Entscheidungen haben der Betroffene bzw. die Beteiligte zu 3 Beschwerden eingelegt.

Am 24. Dezember 2023 verließ der Betroffene die Wohneinrichtung, in der er sich mit seiner Zustimmung aufgehalten hat, unter ungeklärten Umständen. Sein Aufenthaltsort ist unbekannt. Das LG hat ohne Anhörung des Betroffenen die Beschwerden zurückgewiesen.

Die Rechtsbeschwerde vor dem BGH hatte keinen Erfolg.

Die Gründe:
Das LG hat zur Begründung seiner Entscheidung Folgendes ausgeführt: Dem Betroffenen sei es aufgrund seiner Erkrankung nicht möglich, seine Belange selbständig und realitätsbezogen zu regeln. Er könne weder die Ausübung der erteilten Generalvollmacht überwachen noch seine rechtlichen Angelegenheiten eigenverantwortlich und interessengerecht regeln. Aufgrund seiner Erkrankung sei er zu einer freien Willensbildung nicht in der Lage. Der Betroffene bedürfe der Unterstützung durch einen Betreuer im Umfang des angeordneten Aufgabenkreises. Soweit dem Beteiligten zu 1 der Aufgabenbereich Widerruf der Vollmacht übertragen worden sei, habe dies eine rein deklaratorische Wirkung.

Die Voraussetzungen für die Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts im Bereich der Vermögenssorge seien ebenfalls erfüllt. Die krankheitsbedingten Defizite des Betroffenen führten im Zusammenwirken mit der erheblichen Suggestibilität und einer extrem abhängigen Persönlichkeitsstruktur dazu, dass dieser sich finanziell und persönlich von Dritten ausbeuten lasse, ohne dies auch nur zu bemerken.

Damit drohe ihm konkret der Entzug seines gesamten Einkommens. Die hieraus resultierende wesentliche Gefährdung für das Vermögen des Betroffenen lasse sich nur durch einen entsprechenden Einwilligungsvorbehalt verhindern.

Gegen die Betreuerauswahl seien etwaige Bedenken nicht nachvollziehbar vorgebracht oder ersichtlich. Soweit der Betroffene sich dahingehend geäußert habe, dass die Beteiligte zu 3 seine Betreuung übernehmen solle, könne dem angesichts der Gesamtumstände nicht entsprochen werden. Das AG habe auch den Widerruf der Vollmacht durch den Beteiligten zu 1 zu Recht genehmigt. Eine persönliche Anhörung des Betroffenen sei trotz Einschaltung von Staatsanwaltschaft und Polizei und eingehender Befragung der Beteiligten zu 3 nach dem Aufenthaltsort des Betroffenen nicht möglich gewesen. Seine Verfahrensbevollmächtigte sowie die Beteiligten zu 1 und zu 2 seien über den Verbleib des Betroffenen in Unkenntnis.

Diese Ausführungen halten rechtlicher Überprüfung stand. Soweit die Rechtsbeschwerde die Auffassung vertritt, das Beschwerdegericht habe sich bei seinen Ausführungen zur Erforderlichkeit der jeweiligen Aufgabenbereiche mit der geänderten persönlichen Situation des Betroffenen, die unbekannt sei, nicht ausreichend auseinandergesetzt, kann dem nicht gefolgt werden.

Das Beschwerdegericht hat den Betreuungsbedarf für die im angeordneten Aufgabenkreis enthaltenen Angelegenheiten rechtsfehlerfrei festgestellt.

Die Übertragung des Aufgabenbereichs Gesundheitssorge hat das Beschwerdegericht damit begründet, dass schon aufgrund der somatischen Erkrankungen des Betroffenen, der dementiellen Entwicklung sowie der zuletzt aufgetretenen Verwahrlosungssituation jederzeit das Bedürfnis auftreten könne, dass medizinische oder therapeutische Entscheidungen zu treffen oder Behandlungsmaßnahmen zu veranlassen seien. Hiergegen ist aus rechtsbeschwerderechtlicher Sicht nichts zu erinnern.

Auch die Übertragung des Aufgabenbereichs Entscheidung über Unterbringungen wird vom Beschwerdegericht ausreichend mit der Erwägung dargelegt, dass die krankheitsbedingt erst im Oktober 2023 erforderliche Verbringung des desorientierten und verwahrlosten Betroffenen in den geschützt-geschlossenen Bereich einer psychiatrischen Klinik wegen akuter Eigengefährdung die Erforderlichkeit der Übertragung dieses Aufgabenbereichs zeige. Gleiches gilt für die Ausführungen des Beschwerdegerichts zur Übertragung des Aufgabenbereichs Wohnungsangelegenheiten einschließlich der Aufenthaltsbestimmung. Insoweit stellt das Beschwerdegericht zu Recht darauf ab, dass der Betroffene bis zur Betreuerbestellung in einem Umfeld gelebt habe, das seinen Erkrankungen in keiner Form gerecht geworden sei, und ihm bei Ermittlung seines Aufenthaltsortes unmittelbar eine seinen Bedürfnissen angemessene Wohnperspektive eröffnet sein müsse, wozu er der Unterstützung durch einen Betreuer bedürfe. Die Erforderlichkeit einer Betreuerbestellung für den Aufgabenbereich Vermögenssorge leitet das Beschwerdegericht daraus ab, dass nach den getroffenen Feststellungen der Beteiligte zu 1 derzeit versuche, die durch die Beteiligte zu 3 unrechtmäßig vereinnahmten Summen im Klagewege für den Betroffenen zurück zu erlangen. Auch hiergegen bestehen keine rechtlichen Bedenken. Denn insoweit besteht derzeit trotz des unbekannten Aufenthalts des Betroffenen ein konkreter Betreuungsbedarf im Bereich der Vermögenssorge. Schließlich hat das Beschwerdegericht auch ausreichend dargelegt, weshalb für den Betroffenen eine Betreuerbestellung für die Aufgabenbereiche Entgegennahme, Öffnen und Anhalten der Post und Vertretung gegenüber Behörden und Sozialversicherungsträgern erforderlich ist.

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