27.09.2021

Betreuervorschlag erfordert weder die Geschäftsfähigkeit noch die natürliche Einsichtsfähigkeit des Betroffenen

Ein Betreuervorschlag nach § 1897 Abs. 4 Satz 1 BGB erfordert weder die Geschäftsfähigkeit noch die natürliche Einsichtsfähigkeit des Betroffenen. Vielmehr genügt, dass der Betroffene seinen Willen oder Wunsch kundtut, eine bestimmte Person solle sein Betreuer werden. Der Wille des Betroffenen kann nur dann unberücksichtigt bleiben, wenn die Bestellung der vorgeschlagenen Person seinem Wohl zuwiderläuft. Dies setzt voraus, dass sich aufgrund einer umfassenden Abwägung aller relevanten Umstände Gründe von erheblichem Gewicht ergeben, die gegen die Bestellung der vorgeschlagenen Person sprechen. Es muss die konkrete Gefahr bestehen, dass der Vorgeschlagene die Betreuung des Betroffenen nicht zu dessen Wohl führen kann oder will.

BGH v. 18.8.2021 - XII ZB 151/20
Der Sachverhalt:
Der 1922 geborene Betroffene ist der verwitwete Vater von vier Kindern, den Beteiligten zu 3 bis 5 und eines weiteren am Verfahren nicht beteiligten Sohnes. Er leidet an fortgeschrittener Demenz. Bei der Erteilung einer notariellen Vorsorgevollmacht für die Beteiligten zu 4 und 5 im Juni 2015 war er bereits geschäftsunfähig. Seit März 2019 lebt er in einem Seniorenheim.

Das AG hat - nach Aufgabenkreisen differenziert - teilweise die Beteiligte zu 1 als Berufsbetreuerin und teilweise die Beteiligte zu 4 als Betreuerin bestellt. Auf die hiergegen gerichteten Beschwerden der Beteiligten zu 3 und 5 hat das LG - unter Zurückweisung der weitergehenden Beschwerden - die Beteiligten zu 4 und 5 als jeweils alleinvertretungsberechtigte Betreuer für den Aufgabenkreis der Bestimmung des Aufenthalts im Rahmen der Gesundheitssorge, Entgegennahme und Öffnen der Post, Gesundheitssorge, Vermögensangelegenheiten, Vertretung ggü. Behörden und Institutionen sowie Wohnungsangelegenheiten bestellt.

Die dagegen gerichtete Rechtsbeschwerde der Beteiligten zu 3, mit der sie weiterhin die Bestellung eines Berufsbetreuers anstelle ihrer Geschwister erreichen wollte, hat der BGH zurückgewiesen.

Die Gründe:
Gemäß § 1897 Abs. 4 Satz 1 BGB ist grundsätzlich die Person zum Betreuer zu bestellen, die der Betroffene wünscht. Ein solcher Vorschlag erfordert weder Geschäftsfähigkeit noch natürliche Einsichtsfähigkeit. Vielmehr genügt, dass der Betroffene seinen Willen oder Wunsch kundtut, eine bestimmte Person solle sein Betreuer werden. Auch die Motivation des Betroffenen ist für die Frage, ob ein betreuungsrechtlich beachtlicher Vorschlag vorliegt, ohne Bedeutung.

Die Vorschrift des § 1897 Abs. 4 Satz 1 BGB räumt dem Tatrichter bei der Auswahl des Betreuers kein Ermessen ein. Der Wille des Betroffenen kann nur dann unberücksichtigt bleiben, wenn die Bestellung der vorgeschlagenen Person seinem Wohl zuwiderläuft. Dies setzt voraus, dass sich aufgrund einer umfassenden Abwägung aller relevanten Umstände Gründe von erheblichem Gewicht ergeben, die gegen die Bestellung der vorgeschlagenen Person sprechen. Es muss die konkrete Gefahr bestehen, dass der Vorgeschlagene die Betreuung des Betroffenen nicht zu dessen Wohl führen kann oder will.

Nach § 1897 Abs. 5 Satz 1 BGB ist, wenn der Betroffene niemanden als Betreuer vorgeschlagen hat, bei der Auswahl des Betreuers auf die verwandtschaftlichen Beziehungen des Betroffenen, insbesondere auf dessen persönliche Bindungen Rücksicht zu nehmen. Diese Regelung gilt auch dann, wenn der Betroffene einen nahen Angehörigen als Betreuer benannt hat. Denn der nahe Angehörige wird nach Maßgabe dieser Vorschrift "erst recht" zum Betreuer zu bestellen sein, wenn der Betroffene ihn ausdrücklich als Betreuer seiner Wahl benannt hat, mag der Betroffene auch bei der Benennung nicht oder nur eingeschränkt geschäftsfähig gewesen sein. In Würdigung der in § 1897 Abs. 4 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 BGB getroffenen Wertentscheidungen wird ein naher Angehöriger des Betroffenen, der zu diesem persönliche Bindungen unterhält und den der Betroffene wiederholt als Betreuer benannt hat, deshalb bei der Betreuerauswahl besonders zu berücksichtigen sein und nur dann zugunsten eines Berufsbetreuers übergangen werden können, wenn gewichtige Gründe des Wohls des Betreuten seiner Bestellung entgegenstehen.

Die vom Tatrichter vorgenommene Beurteilung der Eignung einer Person als Betreuer kann gemäß § 72 Abs. 1 Satz 1 FamFG im Rechtsbeschwerdeverfahren nur auf Rechtsfehler überprüft werden. Sie ist rechtlich fehlerhaft, wenn der Tatrichter den unbestimmten Rechtsbegriff der Eignung verkennt, relevante Umstände in unvertretbarer Weise bewertet oder bei der Subsumtion wesentliche Umstände unberücksichtigt lässt.

Gemessen an diesen Grundsätzen ist die Betreuerauswahl des Beschwerdegerichts nicht zu beanstanden.

Entgegen der Auffassung der Beteiligten zu 3 ist das Beschwerdegericht zutreffend davon ausgegangen, dass die Erteilung der Vorsorgevollmacht im Juni 2015 im Zustand der Geschäftsunfähigkeit zugleich den natürlichen Willen des Betroffenen erkennen lässt, die Beteiligten zu 4 und 5 zu Betreuern zu bestellen.

Die Mutmaßung der Rechtsbeschwerde, der Wille des Betroffenen bei der Beurkundung der Vollmacht könne von der Beteiligten zu 4 und deren Ehemann "überformt" gewesen sein, weil diese bei der Beurkundung anwesend waren und den Termin organisiert hatten, ist durch die persönlichen Anhörungen des Betroffenen vor dem AG im Dezember 2015 und vor dem Beschwerdegericht im Oktober 2019 widerlegt, in denen er seinen Betreuerwunsch ausweislich der Anhörungsvermerke wiederholt hat.

Frei von Rechtsfehlern ist das Beschwerdegericht weiter davon ausgegangen, dass konkrete Bedenken gegen die Führung der Betreuung durch die Beteiligten zu 4 und 5 weder dargelegt noch ersichtlich sind. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde hat das Beschwerdegericht im Rahmen seiner Gesamtwürdigung insbesondere die familiären Streitigkeiten, die die Beteiligte zu 3 durch die Anregung des Betreuungsverfahrens ausgelöst hat, ebenso berücksichtigt wie die bisherige Wahrnehmung der Gesundheitsversorgung und der finanziellen Interessen des Betroffenen durch die Beteiligten zu 4 und 5. Die Rechtsbeschwerde vermag für ihre anderweitige Bewertung keine tatsächlichen Anhaltspunkte aufzuzeigen. Dies gilt insbesondere auch, soweit die Beteiligte zu 3 auf die familiären Verwerfungen als Folge der Anregung des Betreuungsverfahrens verweist, da weder dargelegt noch ersichtlich ist, dass der Streit unter den Geschwistern sich nachteilig auf das Wohl des Betroffenen auswirkt.

 

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