14.06.2023

Bindungswirkung eines die Erbunwürdigkeit aussprechenden Versäumnisurteils für das Erbscheinsverfahren

Ein die Erbunwürdigkeit aussprechendes Urteil gem. §§ 2342, 2344 BGB hat auch dann Bindungswirkung für ein Erbscheinsverfahren, wenn es sich um ein Versäumnisurteil handelt.

BGH v. 26.4.2023 - IV ZB 11/22
Der Sachverhalt:
Die Beteiligten streiten darüber, ob das Nachlassgericht im Rahmen eines Erbscheinsverfahrens an die durch rechtskräftiges Versäumnisurteil ausgesprochene Erbunwürdigkeitserklärung der Beteiligten zu 2) gebunden ist.

Die Beteiligte zu 1) ist das einzige Kind des am 9.11.2018 verstorbenen Erblassers, die Beteiligte zu 2) seine Ehefrau. Das Nachlassgericht eröffnete ein von der Beteiligten zu 2) handschriftlich verfasstes gemeinschaftliches Testament, das eine wechselseitige Einsetzung der Beteiligten zu 2) und des Erblassers als Alleinerben enthielt. Die Beteiligte zu 1) erhob im Juli 2020 gegen die Beteiligte zu 2) Klage auf Feststellung der Erbunwürdigkeit. Zur Begründung trug sie vor, sie vermute, dass die Beteiligte zu 2) einen vom Erblasser unterzeichneten Blankopapierbogen zur Erstellung des Testaments nach dessen Tod verwendet habe. Das Verfahren endete mit einem rechtskräftig gewordenen Versäumnisurteil des LG Köln vom 28.1.2021, durch das die Beteiligte zu 2) hinsichtlich des Nachlasses des Erblassers für erbunwürdig erklärt wurde.

Die Beteiligte zu 2) hatte im Erbscheinsverfahren angeführt, dass sie wegen des plötzlichen Unfalltods des Erblassers auch eineinhalb Jahre danach und weiterhin (Ende September 2021) stark traumatisiert gewesen sei. Wegen eines seelischen Zusammenbruchs, infolgedessen sie sich mit geschäftlichen und gerichtlichen Dingen nicht habe auseinandersetzen können, habe sie diverse Gerichtspost erst am 4.6.2021 geöffnet. Die Beteiligte zu 1) beantragte unter Berufung auf das Versäumnisurteil einen Erbschein, der sie als Alleinerbin ausweist.

Das AG erachtete die dafür erforderlichen Tatsachen für festgestellt. Das OLG wies die dagegen gerichtete Beschwerde der Beteiligten zu 2) zurück. Die Rechtsbeschwerde der Beteiligten zu 2) hatte vor dem BGH keinen Erfolg.

Die Gründe:
Das OLG hat zu Recht angenommen, dass die Beteiligte zu 1) nach § 1924 Abs. 1 BGB als einziges Kind des Erblassers seine gesetzliche Alleinerbin geworden ist, da die Beteiligte zu 2) als Erbin aufgrund ihrer durch rechtskräftiges Versäumnisurteil des LG Köln erklärten Erbunwürdigkeit ausscheidet (§§ 2342 Abs. 2, 2344 Abs. 1 BGB). Das Nachlassgericht ist im Erbscheinsverfahren an diese sich aus dem Versäumnisurteil im Rechtsstreit über die Erbunwürdigkeit ergebende Rechtsfolge gebunden.

Für die Frage der Bindung ist nicht entscheidend, ob das in diesem Verfahren ergehende Urteil als Gestaltungsurteil, das die Rechtslage hinsichtlich der Erbenstellung des Erbunwürdigen selbst verändert und damit bereits wegen dieser ihm innewohnenden rechtsgestaltenden Wirkung zu berücksichtigen ist, oder als Feststellungsurteil, das die Wirkung einer der Klage innewohnenden, materiell-rechtlichen Anfechtungserklärung feststellt, anzusehen ist. Das aufgrund einer Anfechtungsklage auf Erklärung der Erbunwürdigkeit ergehende Urteil beansprucht jedenfalls aufgrund der gesetzlichen Anordnung des § 2344 Abs. 1 BGB, wonach der Anfall an den für erbunwürdig erklärten Erben als nicht erfolgt gilt, Wirkung gegenüber jedermann und ist daher auch vom Nachlassgericht zu berücksichtigen. Das gilt auch für den Fall, dass es sich um ein Versäumnisurteil gegen den Beklagten i.S.v. § 331 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Halbsatz 1 ZPO handelt.

Hierbei besteht Einigkeit darüber, dass das Nachlassgericht in den objektiven und subjektiven Grenzen der Rechtskraft an ein rechtskräftiges, in einem Rechtsstreit vor den ordentlichen Gerichten ergangenes streitiges Endurteil über die Feststellung des Erbrechts gebunden ist. Dabei wird überwiegend die Bindung auch dann bejaht, wenn es sich bei dem Urteil um ein Versäumnisurteil handelt. Nach anderer Auffassung wird eine Bindung des Nachlassgerichts an ein Versäumnisurteil gem. § 331 ZPO aus einem Feststellungsrechtsstreit teilweise verneint, da eine solche der im Erbscheinsverfahren geltenden Amtsermittlungspflicht gem. § 26 FamFG widerspreche und dem Nachlassgericht nicht die erforderliche Überzeugung verschaffen könne.

Auf letztgenannte Ansicht kommt es indessen jedenfalls für ein Urteil gem. §§ 2342, 2344 BGB über die Erbunwürdigkeit von vornherein nicht an. Die Bindungswirkung eines die Erbunwürdigkeit aussprechenden Urteils ergibt sich aus dem materiellen Recht. Die Erbunwürdigkeit kann ausschließlich durch Anfechtungsklage gem. § 2342 Abs. 1 BGB, nicht aber im Erbscheinsverfahren geltend gemacht werden und nur durch Urteil gem. § 2342 Abs. 2 BGB eintreten. Das Nachlassgericht darf wegen dieses Urteilsvorbehalts ein rechtskräftiges Urteil über die Erbunwürdigkeit auch nicht selbst inhaltlich überprüfen. Dies gilt auch für ein im Erbunwürdigkeitsprozess ergangenes Versäumnisurteil.

Verneinte man eine Bindung des Nachlassgerichts an ein solches, könnte dies zu dem Ergebnis führen, dass ein gem. § 2339 BGB materiell erbunwürdiger Erbe durch seine Säumnis im Rechtsstreit über seine Erbunwürdigkeit dauerhaft verhindern könnte, dass diese im Erbscheinsverfahren berücksichtigt wird. Das Nachlassgericht dürfte die Voraussetzungen einer Erbunwürdigkeit nicht selbst prüfen. Einer erneuten Klage derselben Klagepartei auf Erbunwürdigerklärung stünde wiederum die Rechtskraft des Versäumnisurteils entgegen. Das Nachlassgericht könnte sich in diesem Fall bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen dazu verpflichtet sehen, dem erbunwürdigen (Nicht-)Erben auf seinen Antrag hin einen Erbschein zu erteilen.

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