10.01.2024

Binnensachverhalt i.S.v. Art. 3 Abs. 3 Rom I-VO bei einem Mietvertrag über eine im Inland gelegene Mietwohnung

Nach Art. 3 Abs. 3 Rom I-VO bleiben nicht abdingbare Bestimmungen eines Staates trotz einer abweichenden Rechtswahl anwendbar, wenn alle anderen Elemente des Sachverhalts zum Zeitpunkt in diesem Staat belegen sind. Ob diese Voraussetzung erfüllt ist, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab und ist in erster Linie vom Tatrichter zu beurteilen.

BGH v. 29.11.2023 - VIII ZR 7/23
Der Sachverhalt:
Beim Kläger handelt es sich um einen ausländischen Staat, der in einem ihm gehörenden, neben seiner Botschaft in Berlin belegenen Haus Wohnungen an Botschaftsangehörige und Dritte vermietet. Die nicht in der Botschaft beschäftigten Beklagten sind seit 2003 Mieter einer dieser Wohnungen. In der maßgeblichen Fassung des Mietvertrags war vorgesehen, dass der Vertrag dem Recht des Klägers unterliegt und nach einem Jahr endet. Die Botschaft der Klägerin teilte den Beklagten vor Ablauf der vereinbarten Mietzeit mit, dass eine Verlängerung des Mietverhältnisses nicht in Betracht komme, und forderte ihn ohne Erfolg zur Räumung auf.

Die Räumungsklage blieb in allen Instanzen erfolglos.

Gründe:
Die Beklagten sind weder nach den mietvertraglichen Regelungen noch aus § 985 BGB zur Räumung und Herausgabe der Mietwohnung verpflichtet.

Das Mietverhältnis für die streitgegenständliche Wohnung, auf das trotz der erfolgten Wahl des Rechts des Klägers die Vorschrift des § 575 Abs. 1 BGB anzuwenden war, besteht jedenfalls mangels der nach § 575 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 BGB erforderlichen Mitteilung des Grundes der in dem Mietvertrag vorgesehenen Befristung der Mietzeit auf ein Jahr gem. § 575 Abs. 1 Satz 2 BGB auf unbestimmte Zeit fort und berechtigt die Beklagten zum weiteren Besitz der Wohnung. Es konnte offen bleiben, ob § 575 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 BGB eine zwingende Formvorschrift i.S.v. Art. 11 Abs. 5 Rom I-VO darstellt. Die Regelung war im vorliegenden Fall schon deshalb maßgeblich, weil ein Binnensachverhalt i.S.v. Art. 3 Abs. 3 Rom I-VO vorlagt.

Nach Art. 3 Abs. 3 Rom I-VO bleiben nicht abdingbare Bestimmungen eines Staates trotz einer abweichenden Rechtswahl anwendbar, wenn alle anderen Elemente des Sachverhalts zum Zeitpunkt in diesem Staat belegen sind. Ob diese Voraussetzung erfüllt ist, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab und ist in erster Linie vom Tatrichter zu beurteilen. Im vorliegenden Fall ergab sich aus den tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanzen, dass ein Binnensachverhalt i.S.v. Art. 3 Abs. 3 Rom I-VO vorlag. Ausschlaggebend dafür waren folgende Umstände:
  • die vermietete Wohnung ist in Deutschland belegen;
  • die Beklagten haben seit 2003 in Deutschland ihren gewöhnlichen Aufenthalt;
  • Abschluss und Abwicklung des Mietvertrags einschließlich des Einzugs der Miete erfolgten durch die Botschaft der Klägerin in Deutschland (diese ist als Zweigniederlassung i.S.v. Art. 19 Abs. 2 Rom I-VO anzusehen).


Nicht ausschlaggebend waren infolgedessen folgende Umstände:

  • die Staatsangehörigkeit der Vertragsparteien;
  • gesetzliche Regelungen der Klägerin über die Verwendung von Staatseigentum;
  • die Erfüllung diplomatischer Aufgaben (weil die die in Streit stehende Wohnung nicht zu diesem Zweck vermietet worden ist);
  • die Abfassung des Mietvertrags in der Amtssprache der Klägerin;
  • die Frage, ob die Rechtswahl mit dem Ziel der Gesetzesumgehung erfolgt ist.


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