23.09.2025

Drittschadensliquidation: Aufrechnung gegenüber dem Schädiger durch Inhaber der verletzten Rechtsstellung

In den Fällen der Drittschadensliquidation ist der Inhaber der verletzten Rechtsstellung grundsätzlich zur Aufrechnung gegenüber dem Schädiger berechtigt. Das Aufrechnungsverbot des § 394 Satz 1 BGB i.V.m. § 850 Abs. 1 und 2, § 850c Abs. 1 ZPO kann auch dann bestehen, wenn die vergüteten Dienstleistungen (§ 850 Abs. 2 ZPO) von einem freiberuflich Tätigen erbracht werden.

BGH v. 3.7.2025 - III ZR 274/23
Der Sachverhalt:
Der Kläger nimmt die Beklagte auf Zahlung einer vertraglich vereinbarten Vergütung in Anspruch. Die Parteien unterzeichneten im Juli 2010 einen als "Vorvertrag" bezeichneten Vertrag, nach welchem der Kläger die Beklagte dabei unterstützen sollte, den Forderungsbestand der P. GmbH & Co. KG (Insolvenzschuldnerin) einzuziehen, welchen die Beklagte von deren Insolvenzverwalter erwerben wollte. Der Kläger sollte freiberuflich tätig werden. Eine feste Arbeitszeit wurde nicht vereinbart. Ihm sollte ein Büro nebst Lagerfläche für die Akten zur Verfügung stehen. Die Beklagte verpflichtete sich, dem Kläger mtl. pauschal 1.000 € zu zahlen. Darüber hinaus sollte er nach Beendigung seiner Aufgabe bzw. nach Ablauf des Vertrags eine erfolgsabhängige Prämie erhalten.

Die Beklagte gründete die a. GmbH & Co. KG (a.). Diese erwarb am 28./30.9.2010 und am 8.6./15.7.2011 vom Insolvenzverwalter den wesentlichen Teil - Nennwert rd. 7,5 Mio. € - der insgesamt rd. 10 Mio. € umfassenden Forderungen der Insolvenzschuldnerin. Die a. mietete eine unter Zwangsverwaltung stehende Wohnung an, in welcher der Kläger die nach dem (Vor-)Vertrag geschuldete Tätigkeit ausübte und Akten lagerte.

Die Beklagte zahlte dem Kläger bis zum 31.1.2019 mtl. 1.000 €. Zum 1.2.2019 stellte sie die Zahlungen ein und kündigte mit Schreiben vom 27.8.2020 den (Vor-)Vertrag zum 30.11.2020. Die a. kündigte den die vorgenannte Wohnung betreffenden Mietvertrag. Der Kläger räumte die ihm überlassenen Räume nicht, sondern nutzte sie jedenfalls bis zum 12.6.2023 weiter. Mit der Klage begehrt der Kläger die Zahlung der Vergütung von mtl. 1.000 € für die Monate Februar 2019 bis einschließlich November 2020 - insgesamt 22.000 € - nebst Zinsen. Die Beklagte erklärte hilfsweise die Aufrechnung mit Forderungen, die ihre Grundlage in den Mietzahlungen der a. an den Zwangsverwalter der vom Kläger weitergenutzten Räume haben.

LG und OLG wiesen die Klage ab. Auf die Revision des Klägers hob der BGH das Urteil des OLG auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung dorthin zurück.

Die Gründe:
In den Fällen der Drittschadensliquidation ist der Inhaber der verletzten Rechtsstellung grundsätzlich zur Aufrechnung gegenüber dem Schädiger berechtigt.

Das OLG hat zunächst zutreffend angenommen, dass die Beklagte dem Kläger die vereinbarte Pauschalvergütung für die Monate Februar 2019 bis November 2020 - insgesamt 22.000 € - schuldet und zu verzinsen hat. Das OLG hat zudem richtig gesehen, dass der Kläger die ihm von der Beklagten zur Verfügung gestellte Bürofläche nach wirksamer Kündigung des (Vor-)Vertrags zum 30.11.2020 durch die Beklagte vertragswidrig nicht herausgab, sondern jedenfalls bis zum 12.6.2023 weiter nutzte, ihm insoweit weder ein Zurückbehaltungsrecht aus § 273 Abs. 1 BGB noch mangels Gegenseitigkeit die Einrede des nicht erfüllten Vertrags aus § 320 Abs. 1 Satz 1 BGB zustand und er infolgedessen gem. § 280 Abs. 1 BGB zum Schadensersatz verpflichtet ist. 

Auch die weitere Begründung des OLG, die Beklagte könne die ihr von der a. abgetretenen Forderungen nach den Grundsätzen der Drittschadensliquidation geltend machen, ist im Wesentlichen zutreffend. Die Drittschadensliquidation greift ein, wenn das durch einen Vertrag geschützte Interesse infolge besonderer Rechtsbeziehungen dergestalt auf einen Dritten verlagert ist, dass der Schaden - aus Sicht des Schädigers zufällig - den Dritten und nicht den Gläubiger trifft. Der Kläger war bei Beendigung des (Vor-)Vertrags mit Ablauf des 30.11.2020 gegenüber der Beklagten verpflichtet, die von ihm als Büro und Aktenlager genutzten Räume zu räumen und herauszugeben. Diese Pflicht verletzte er, indem er die Räumlichkeiten weiter nutzte. Durch die Pflichtverletzung des Klägers entstand jedoch der Beklagten kein Schaden, weil nicht sie, sondern die a. die Räume angemietet hatte und deswegen die a. die Nutzungsentschädigung (§ 546a Abs. 1 BGB) von mtl. 775 € an den Vermieter (fort-)entrichten musste. Damit wurde - aus Sicht des Klägers zufällig - das durch den Vertrag vom 22.7.2010 geschützte Interesse der Beklagten in der Weise auf die a. als Dritte verlagert, dass der aus der Pflichtverletzung des Klägers resultierende Schaden sie und nicht die Beklagte trifft. Dass der Kläger hieraus keinen Vorteil ziehen darf, liegt auf der Hand.

Die Aufrechnung der Beklagten scheitert nicht an einer fehlenden Gegenseitigkeit der Forderungen. Auch insoweit ist das angefochtene Urteil rechtsfehlerfrei. Bei der Aufrechnung nach § 387 BGB muss die Gegenforderung eine eigene Forderung des Schuldners sein. Das ist hier der Fall. Denn Gläubiger des Schadensersatzanspruchs ist bei der Drittschadensliquidation nicht derjenige, der den Schaden erlitten hat, sondern der Inhaber der verletzten Rechtsstellung, vorliegend mithin die Beklagte. Die grundsätzliche Berechtigung zur Aufrechnung ergibt sich daraus ohne Weiteres.

Nicht gefolgt werden kann dem OLG hingegen insoweit, als es das Eingreifen des Aufrechnungsverbots aus § 394 Satz 1 BGB i.V.m. den §§ 850 ff ZPO mit der Begründung verneint hat, der Kläger habe nach dem Vertrag vom 22.7.2010 eine freiberufliche Tätigkeit erbracht und die dafür gewährte Vergütung stelle kein Arbeitseinkommen i.S.v. § 850c Abs. 1 ZPO dar. Das OLG hat übersehen, dass nach ständiger BGH-Rechtsprechung beim Arbeitseinkommen i.S.d. § 850 Abs. 1 und 2, § 850c Abs. 1 ZPO nicht danach unterschieden wird, ob die vergüteten Dienste in abhängiger oder in freier Stellung geleistet werden. Die vorgenannten Vorschriften wollen gerade auch freiberuflich Tätige erfassen, sofern sie fortlaufend Vergütungen für persönliche Dienste erhalten, die ihre Erwerbstätigkeit ganz oder zu einem wesentlichen Teil in Anspruch nehmen und deshalb ihre Existenzgrundlage bilden.

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