01.10.2025

Eigenbedarfskündigung: Vorstellungen des Gerichts von angemessenem Wohnen sind nicht verbindlich

Die Gerichte haben den Entschluss des Vermieters, die vermietete Wohnung nunmehr selbst zu nutzen oder durch den - eng gezogenen - Kreis privilegierter Dritter nutzen zu lassen, grundsätzlich zu achten und ihrer Rechtsfindung zugrunde zu legen. Ebenso haben sie grundsätzlich zu respektieren, welchen Wohnbedarf der Vermieter für sich oder seine Angehörigen als angemessen ansieht. Die Gerichte sind nicht berechtigt, ihre Vorstellungen von angemessenem Wohnen verbindlich an die Stelle der Lebensplanung des Vermieters (oder seiner Angehörigen) zu setzen.

BGH v. 24.9.2025 - VIII ZR 289/23
Der Sachverhalt:
Die Beklagte ist 2006 Mieterin einer Zweizimmerwohnung im dritten Obergeschoss eines Mehrparteienhauses in Berlin. Der Kläger war durch Eigentumserwerb an der Wohnung in das Mietverhältnis eingetreten. Er selbst bewohnt die unmittelbar darüber liegende Wohnung, die ähnlich groß und geschnitten ist wie die von der Beklagten gemietete Wohnung. Über der Wohnung des Klägers befindet sich das bislang nicht ausgebaute Dachgeschoss des Hauses. Auch diese beiden Einheiten - die von ihm selbst bewohnte Wohnung und das Dachgeschoss - stehen im Eigentum des Klägers.

Im November 2021 kündigte der Kläger das Mietverhältnis mit der Beklagten zum 31.7.2022 wegen Eigenbedarfs. Der Kläger beabsichtige, das Dachgeschoss auszubauen und mit seiner Wohnung im vierten Obergeschoss zu verbinden. Seine eigene Wohnung im vierten Obergeschoss stehe ihm dann während der Umbauzeit nicht mehr zur Verfügung, so dass er die Wohnung der Beklagten im dritten Obergeschoss benötige. Nach Abschluss der Arbeiten wolle er nicht mehr in die Wohnung im vierten Obergeschoss zurückkehren, sondern diese verkaufen.

Das AG hat der Räumungsklage stattgegeben. Das LG hat sie abgewiesen. Auf die hiergegen gerichtete Revision des Klägers hat der BGH das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an eine andere Kammer des LG zurückverwiesen.

Gründe:
Mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung konnte ein Anspruch des Klägers auf Räumung und Herausgabe der von der Beklagten gemieteten Wohnung (§ 546 Abs. 1, § 985 BGB) nicht verneint werden. Das LG hatte bereits die nach Rechtsprechung des BVerfG und des Senats geltenden Maßstäbe für das Vorliegen von Eigenbedarf i.S.d. Vorschrift des § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB verkannt, demgegenüber einen Fall der Verwertungskündigung nach § 573 Abs. 2 Nr. 3 BGB angenommen und rechtsfehlerhaft gemeint, das Berufen des Klägers auf einen Eigenbedarf sei deshalb rechtsmissbräuchlich.

Das Tatbestandsmerkmal des Benötigens erfordert nicht, dass der Vermieter oder einer der in § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB genannten Angehörigen auf die Nutzung der Wohnung angewiesen ist. Vielmehr benötigt ein Vermieter eine Mietwohnung bereits dann i.S.d. § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB, wenn sein (ernsthafter) Wunsch, die Wohnung künftig selbst zu nutzen oder nahen Angehörigen zu Wohnzwecken zur Verfügung zu stellen, auf vernünftige und nachvollziehbare Gründe gestützt wird. Eine solche Auslegung ist im Hinblick auf die sowohl dem Vermieter als auch dem Mieter zukommende Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG geboten.

Infolgedessen haben die Gerichte den Entschluss des Vermieters, die vermietete Wohnung nunmehr selbst zu nutzen oder durch den - eng gezogenen - Kreis privilegierter Dritter nutzen zu lassen, grundsätzlich zu achten und ihrer Rechtsfindung zugrunde zu legen. Ebenso haben sie grundsätzlich zu respektieren, welchen Wohnbedarf der Vermieter für sich oder seine Angehörigen als angemessen ansieht. Die Gerichte sind somit nicht berechtigt, ihre Vorstellungen von angemessenem Wohnen verbindlich an die Stelle der Lebensplanung des Vermieters (oder seiner Angehörigen) zu setzen.

Diesen Maßstäben wurde die Beurteilung des Berufungsgerichts hinsichtlich des Tatbestandsmerkmals des Benötigens der Wohnung i.S.d. § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB nicht gerecht. Es hatte zu Unrecht angenommen, der vom Kläger beabsichtigte Verkauf seiner Wohnung stehe unter den hier gegebenen Umständen der Annahme von Eigenbedarf hinsichtlich der Wohnung der Beklagten entgegen, die hierauf gestützte Kündigung sei vielmehr rechtsmissbräuchlich, zumal sich durch den vom Kläger beabsichtigten Umzug dessen Wohnverhältnisse nicht änderten. Anders als das LG offenbar gemeint hat, ist das Nutzungsinteresse des Vermieters - hier des Klägers - hinsichtlich der vermieteten Wohnung auch dann zu respektieren, wenn er den Bedarfsgrund willentlich herbeigeführt bzw. selbst verursacht hat. Im weiteren Verfahren muss das LG noch prüfen, ob der Eigenbedarfswunsch von ernsthaften, vernünftigen und nachvollziehbaren Gründen getragen ist.

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Aufsatz
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