18.08.2025

Ein selbständiges Beweisverfahrens zur Feststellung der ortsüblichen Vergleichsmiete ist unzulässig

Ein rechtliches Interesse gemäß § 485 Abs. 2 ZPO an der Feststellung der ortsüblichen Vergleichsmiete oder an der Feststellung von Wohnwertmerkmalen, besteht grundsätzlich nicht. Die Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens nach § 485 Abs. 2 ZPO lässt sich weder mit der Ausgestaltung des in den §§ 558 ff. BGB geregelten Mieterhöhungsverfahrens noch mit den hiermit verfolgten Zwecken vereinbaren. Auch ist die Anordnung eines solchen Beweisverfahrens zur Vermeidung eines Rechtsstreits über eine von dem Vermieter begehrte Mieterhöhung nicht erforderlich.

BGH v. 15.7.2025 - VIII ZB 69/24
Der Sachverhalt:
Die Antragsteller sind Vermieter, der Antragsgegner ist Mieter einer Wohnung in einem Mehrfamilienhaus in Berlin. Der Antragsgegner stimmte einer Mieterhöhung nicht zu und stellte u.a. die zu ihrer Begründung herangezogenen wohnwerterhöhenden Merkmale in Abrede.

Die Antragsteller haben daraufhin bei dem AG die Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens im Wege eines selbständigen Beweisverfahrens zu 18 Fragen betreffend verschiedene Merkmale des Mietobjekts beantragt. Das AG wies diesen Antrag als unzulässig zurück, das LG wies die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde zurück.

Die Rechtsbeschwerde vor dem BGH hatte ebenfalls keinen Erfolg.

Die Gründe:
Die Anordnung des selbständigen Beweisverfahrens ist nicht gemäß § 485 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, Satz 2 ZPO zulässig. Eine Partei kann gemäß § 485 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO u.a. dann die schriftliche Begutachtung durch einen Sachverständigen beantragen, wenn ein Rechtsstreit noch nicht anhängig ist und sie ein rechtliches Interesse daran hat, dass der Zustand oder der Wert einer Sache festgestellt wird. Ein solches rechtliches Interesse ist anzunehmen, wenn die Feststellung der Vermeidung eines Rechtsstreits dienen kann (§ 485 Abs. 2 Satz 2 ZPO). Ob diese Voraussetzungen im hier gegebenen Fall der begehrten Ermittlung der ortsüblichen Vergleichsmiete vorliegen können, ist in Rechtsprechung und Literatur in vielfacher Weise umstritten.

Nach zutreffender Ansicht ist die Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens zur Feststellung der ortsüblichen Vergleichsmiete dagegen unzulässig. Ein rechtliches Interesse gemäß § 485 Abs. 2 ZPO an der Feststellung der ortsüblichen Vergleichsmiete im Sinne von § 558 Abs. 2 Satz 1 BGB oder - wie im vorliegenden Fall - an der Feststellung von Wohnwertmerkmalen, mit deren Hilfe Zu- und Abschläge vom Mittelwert der einschlägigen Mietspiegelspanne zur Bestimmung der konkreten ortsüblichen Einzelvergleichsmiete vorgenommen werden können, besteht grundsätzlich nicht.

Die Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens nach § 485 Abs. 2 ZPO lässt sich weder mit der Ausgestaltung des in den §§ 558 ff. BGB geregelten Mieterhöhungsverfahrens noch mit den hiermit verfolgten Zwecken vereinbaren. Auch ist die Anordnung eines solchen Beweisverfahrens zur Vermeidung eines Rechtsstreits über eine von dem Vermieter begehrte Mieterhöhung nicht erforderlich.

Könnte der Vermieter bereits vor der Erklärung eines Mieterhöhungsverlangens ein Sachverständigengutachten im selbständigen Beweisverfahren zur Ermittlung der ortsüblichen Vergleichsmiete oder der Wohnwertmerkmale einholen, führte dies regelmäßig dazu, dass die zum Schutz des Mieters in den §§ 558 ff. BGB vorgesehenen Fristen und weiteren Anforderungen umgangen würden.

Hinzu kommt, dass das Gericht gemäß § 494a Abs. 1 ZPO nach Beendigung der Beweiserhebung im selbständigen Beweisverfahren auf Antrag ohne mündliche Verhandlung anzuordnen hat, dass der Antragsteller binnen einer zu bestimmenden Frist Klage zu erheben hat, obwohl im Mieterhöhungsverfahren die Klagefrist gemäß § 558b Abs. 2 Satz 2 BGB erst nach der Erklärung des Erhöhungsverlangens und nach dem Ablauf der dem Mieter gemäß § 558b Abs. 2 Satz 1 BGB zu gewährenden Überlegungsfrist läuft.

Sollte die Anordnung eines selbständigen Beweisverfahrens dagegen im Fall eines bereits erklärten Mieterhöhungsverlangens erst nach dem Ablauf der Überlegungsfrist gemäß § 558b Abs. 2 Satz 1 BGB erfolgen, könnte das selbständige Beweisverfahren seinen Zweck, einen Hauptsacheprozess zu vermeiden, nur erfüllen, wenn es - was aufgrund der verfahrensrechtlichen Ausgestaltung des selbständigen Beweisverfahrens regelmäßig sehr unwahrscheinlich sein dürfte - innerhalb der nur mit drei Monaten bemessenen Ausschlussfrist gemäß § 558b Abs. 2 Satz 2 BGB abgeschlossen wäre. Denn binnen dieser Frist müsste der Vermieter eine Klage auf Zustimmung zur Mieterhöhung erheben, andernfalls verlöre sein Mieterhöhungsverlangen die Wirksamkeit bzw. gälte als nicht gestellt.

Die Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens zur Feststellung der ortsüblichen Vergleichsmiete oder der zu ihrer Bestimmung benötigten Wohnwertmerkmale ist darüber hinaus auch nicht zur Erreichung des mit diesem Verfahren verfolgten Zwecks der Vermeidung eines Hauptsacheverfahrens erforderlich. Dieser Zweck wird durch die sehr differenzierte, einen angemessenen und gerechten Ausgleich der unterschiedlichen Interessen von Mietern und Vermietern herbeiführende Ausgestaltung des Mieterhöhungsverfahrens bereits erreicht.

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Aufsatz:
Aktuelle Entwicklungen im zivilprozessualen Beweisrecht
Holger Jäckel, MDR 2024, 688


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