26.10.2020

Erneut Klage gegen Betriebsschließungsversicherung weitgehend erfolgreich

Das LG München I hat einer weiteren Klage gegen eine Versicherung auf Zahlung einer Entschädigung i.H.v. 430.000 € aufgrund der Corona-bedingten Betriebsschließung eines Gasthauses weitgehend stattgegeben.

LG München I v. 22.10.2020 - 12 O 5868/20
Der Sachverhalt:
Geklagt hatte die Betreiberin eines Gasthauses in München. Das Bayerische Staatsministerium für Gesundheit und Pflege hatte den klägerischen Betrieb ab dem 21.3.2020 aufgrund des Coronavirus geschlossen. Die Klägerin verlangte von der Versicherung die Zahlung einer Entschädigung i.H.v. 430.000 €.

Die beklagte Versicherung war der Ansicht, dass der Versicherungsumfang durch § 1 Ziffer 2 der Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB) eingeschränkt sei.

§ 1 AVB lautet auszugsweise wie folgt:

"§ 1 Gegenstand der Versicherung, versicherte Gefahren

1. Versicherungsumfang
Der Versicherer leistet Entschädigung, wenn die zuständige Behörde aufgrund des Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz - IfSG) beim Auftreten meldepflichtiger Krankheiten oder Krankheitserreger (siehe Nr. 2)

a) den versicherten Betrieb [...] schließt; [...].

2. Meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger
Meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger im Sinne dieser Bedingungen sind die folgenden, im Infektionsgesetz in den §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger:

a) Krankheiten [...]
b) Krankheitserreger [...]"

Das LG München I gab der Klage weitgehend statt. Das Urteil ist nicht rechtskräftig.

Die Gründe:
Es besteht eine Leistungspflicht der Versicherung. Dabei kommt es auf die Rechtsform und die Rechtmäßigkeit der Anordnung für die Einstandspflicht der Versicherung nicht an.

Dass das Coronavirus nicht im Betrieb des Klägers aufgetreten ist, steht dem Anspruch ebenfalls nicht entgegen, denn nach den Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB) ist allein maßgeblich, dass der Betrieb aufgrund des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) geschlossen wurde.

Der Betrieb der Klägerin ist auch vollständig geschlossen gewesen, ein - rechtlich zulässiger - Außerhausverkauf war der Klägerin nicht zumutbar. Ein Außerhausverkauf - wenn er für den Restaurantbetrieb lediglich ein vollkommen untergeordnetes Mitnahmegeschäft ist - stellt keine unternehmerische Alternative dar, auf die sich der Versicherungsnehmer verweisen lassen muss.

Der Versicherungsumfang wurde - entgegen der Ansicht der beklagten Versicherung - nicht wirksam eingeschränkt, denn die von der Beklagten in § 1 Ziffer 2 AVB verwendete Klausel ist intransparent und daher unwirksam. Dem Versicherungsnehmer muss, wenn der Versicherungsschutz durch eine AVB-Klausel eingeschränkt wird, deutlich vor Augen geführt werden, in welchem Umfang Versicherungsschutz trotz der Klausel besteht.

Diesen Anforderungen wird § 1 Ziffer 2 AVB nicht gerecht. Denn der Versicherungsnehmer geht auf Basis des Wortlauts der AVB davon aus, dass der Versicherungsschutz dem Grunde nach umfassend ist und sich mit dem IfSG deckt und in § 1 Ziffer 2 AVB eine bloße Wiedergabe der gesetzlich erfassten Krankheiten und Krankheitserreger erfolgt. Dass die Auflistung der Krankheiten und Krankheitserreger in § 1 Ziffer 2 AVB jedoch im Vergleich zum IfSG unvollständig ist, ist für den Versicherungsnehmer nicht naheliegend, denn eine klare und deutliche Formulierung wie zum Beispiel "nur die folgenden", "ausschließlich die folgenden" oder "diese Auflistung ist abschließend" enthält die Klausel nicht.

Um den wahren Gehalt des Versicherungsschutzes zu erfassen, müsste der Versicherungsnehmer letztlich die Auflistung in § 1 Ziffer 2 AVB Wort für Wort mit der aktuellen geltenden Fassung des IfSG vergleichen. Eine Klausel, deren Tragweite nur durch den Vergleich mit einer gesetzlichen Vorschrift erkennbar wird, die der durchschnittliche Versicherungsnehmer dieser Versicherung nicht kennt, ist jedoch intransparent.

Im Hinblick auf die Höhe der zu zahlenden Entschädigung sind weder Kurzarbeitergeld noch staatliche Corona-Liquiditätshilfen anspruchsmindernd zu berücksichtigen, da es sich hierbei nicht um Schadensersatzzahlungen gerade für die Betriebsschließungen handelt.
LG München I PM Nr. 21 vom 22.10.2020
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