22.01.2021

Ersatzloser Abriss eines Gebäudes ist keine wirtschaftliche Verwertung

Der ersatzlose Abriss eines Gebäudes ist keine wirtschaftliche Verwertung i.S.d. § 573 Abs. 2 Nr. 3 BGB. Der BGH hat sich vorliegend zudem mit den Anforderungen an eine zu dem vorgenannten Zweck ausgesprochene Kündigung eines Wohnraummietvertrags nach Maßgabe des generalklauselartigen Kündigungstatbestands des § 573 Abs. 1 Satz 1 BGB befasst.

BGH v. 16.12.2021 - VIII ZR 70/19
Der Sachverhalt:
Die Beklagten sind seit mehreren Jahrzehnten Mieter eines ehemaligen Landarbeiterhauses in Braunschweig. Ein schriftlicher Mietvertrag besteht nicht; die Nettomiete beläuft sich auf mtl. 60 €. Das Badezimmer der Beklagten befindet sich nicht im Hauptgebäude, sondern in einem - ansonsten ungenutzten - Seitenflügel. Im Haupthaus befindet sich eine weitere vermietete Wohnung. Mit Anwaltsschreiben vom 23.6.2017 erklärte der Kläger, der Erbe der Liegenschaft geworden war, die ordentliche Kündigung des Mietverhältnisses.

Zur Begründung führte er - unter Hinweis auf ein den Beklagten bereits übersandtes Privatgutachten vom 3.6.2015 - aus, der Seitenflügel müsse aus "wirtschaftlichen und statischen Gründen" abgerissen werden; eine Wiederherstellung sei "nicht ansatzweise darstellbar". Der Bereich, in dem sich das Badezimmer befinde, sei "sehr baufällig" und nur "unter erheblichen Gefahren begehbar". Während des Rechtstreits - am 28.3.2018 und erneut am 14.5.2018 - wiederholte der Kläger die Kündigung des Mietverhältnisses und machte - nach zwischenzeitlicher Einholung eines Kostenvoranschlags vom 7.5.2018 - geltend, der Anbau eines neuen Badezimmers koste rd. 26.000 €; in Anbetracht der geringen Miete trage sich dies wirtschaftlich nicht.

AG und LG wiesen die auf Räumung gerichtete Klage ab. Die Revision des Klägers hatte vor dem BGH keinen Erfolg.

Die Gründe:
Das LG hat im Ergebnis zu Recht angenommen, dass die Beklagten nicht gem. § 546 Abs. 1 BGB zur Rückgabe der Mietwohnung verpflichtet sind, weil das Mietverhältnis der Parteien durch die vom Kläger erklärten Kündigungen vom 23.6.2017, 28.3.2018 und 14.5.2018 nicht beendet worden ist.

Rechtsfehlerfrei ist das LG davon ausgegangen, dass die besonderen Voraussetzungen einer Verwertungskündigung i.S.v. § 573 Abs. 2 Nr. 3 BGB nicht erfüllt sind. Nach dieser Bestimmung liegt ein berechtigtes Interesse des Vermieters an der Beendigung des Mietverhältnisses vor, wenn er durch dessen Fortsetzung an einer angemessenen wirtschaftlichen Verwertung des Grundstücks gehindert wäre und dadurch erhebliche Nachteile erleiden würde. Nach BGH-Rechtsprechung können durch den ersatzlosen Abriss eines Gebäudes oder Gebäudeteils zwar Unkosten vermieden werden. Er stellt jedoch keine Realisierung des dem Grundstück innewohnenden materiellen Werts und damit keine wirtschaftliche Verwertung i.S.d. § 573 Abs. 2 Nr. 3 BGB dar. Danach sind die Voraussetzungen einer Verwertungskündigung hier nicht gegeben. Der Kläger hat bereits keinen Sachvortrag dazu gehalten, in welcher Weise er nach dem geplanten Abriss mit dem Objekt verfahren will; vielmehr hat er in der mündlichen Berufungsverhandlung erklärt, er wisse nicht, was er mit dem geerbten Grundstück "anfangen" wolle.

Somit sind, wie das LG zu Recht angenommen hat, die vom Kläger erklärten Kündigungen am Maßstab der Generalklausel des § 573 Abs. 1 Satz 1 BGB zu messen, wonach der Vermieter das Mietverhältnis kündigen kann, wenn er ein berechtigtes Interesse an dessen Beendigung hat. Ein berechtigtes Interesse des Klägers hat das LG unter den hier gegebenen Umständen des Einzelfalls rechtsfehlerfrei verneint. Da der generalklauselartige Kündigungstatbestand in § 573 Abs. 1 Satz 1 BGB gleichgewichtig mit den in § 573 Abs. 2 BGB genannten Kündigungsgründen ist, kommt es für das Vorliegen eines berechtigten Interesses i.S.v. § 573 Abs. 1 Satz 1 BGB darauf an, ob das geltend gemachte Interesse des Vermieters ebenso schwer wiegt wie die in § 573 Abs. 2 BGB beispielhaft aufgeführten Kündigungsgründe.

Hiernach erfordert die Beantwortung der Frage, ob ein im Sinne der vorgenannten Grundsätze berechtigtes Interesse des Vermieters an der Beendigung des Mietverhältnisses i.S.v. § 573 Abs. 1 Satz 1 BGB vorliegt, eine umfassende Würdigung aller Umstände des Einzelfalls. Da die Generalklausel des § 573 Abs. 1 Satz 1 BGB eine Vielzahl möglicher Kündigungstatbestände umfasst, entzieht sich die Beurteilung, unter welchen Voraussetzungen ein in diesem Sinne berechtigtes Interesse des Vermieters gegeben ist, auch im Hinblick auf die Vielgestaltigkeit der Geschehensabläufe und der auf beiden Seiten zu berücksichtigenden Belange einer verallgemeinerungsfähigen Betrachtung.

Danach hält die Beurteilung des LG, bei einer Fortsetzung des Mietverhältnisses entstünden dem Kläger keine erheblichen Nachteile, einer revisionsrechtlichen Überprüfung im Ergebnis stand. Dabei kann dahinstehen, ob hier ein (gegenwärtiges) berechtigtes Interesse des Klägers an der Beendigung des Mietverhältnisses unter Umständen schon deshalb zu verneinen ist, weil der Kläger nach eigenen Angaben selbst noch nicht weiß, auf welche Weise er die Liegenschaft weiter nutzen will. Jedenfalls hat das LG weder den maßgeblichen rechtlichen Beurteilungsmaßstab noch die Anforderungen an den Sachvortrag des Vermieters zur Erheblichkeit der wirtschaftlichen Nachteile verkannt.
BGH online
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