Erschütterung der Beweiskraft eines elektronisch abgegebenen Empfangsbekenntnisses?
OLG Nürnberg v. 12.9.2025 - 1 U 2003/24 Erb
Der Sachverhalt:
In einem erbrechtlichen Verfahren rügte der Beklagte die nicht fristgemäße Einlegung der Berufung. Das Empfangsbekenntnis der Klägervertreter über den Erhalt des Ersturteils trägt das Datum 16.9.2024. Gegen dieses Urteil hat der Kläger Berufung eingelegt, die am15.10.2024 beim OLG eingegangen ist.
Der Beklagte bestritt, dass das Endurteil der Klagepartei erst am 16.9.2024 zugestellt worden ist. Denn der Berufungskläger habe sich persönlich mit Schreiben vom 10.9.2024, eingegangen am 12.9.2024 in der Kanzlei der Beklagtenpartei, an den Prozessbevollmächtigten des Beklagten gewandt und in diesem Schreiben das Endurteil vom 4.9.2024 zitiert. Daraus lasse sich ein früherer Zustellungszeitpunkt als der 16.9.2024 ableiten, weshalb die Berufung unzulässig, weil verfristet sei.
Das OLG folgte dieser Argumentation nicht und hielt die Berufung für zulässig.
Die Gründe:
Die Berufung ist fristgerecht binnen der Notfrist von einem Monat eingelegt worden. Das Urteil des LG ist dem Kläger am 16.9.2024 zugestellt worden, was durch das Empfangsbekenntnis des Klägervertreters nachgewiesen wird.
Das von einem Rechtsanwalt elektronisch abgegebene Empfangsbekenntnis erbringt - wie das herkömmliche papiergebundene (analoge) Empfangsbekenntnis - gegenüber dem Gericht den vollen Beweis nicht nur für die Entgegennahme des Dokuments als zugestellt, sondern auch für den angegebenen Zeitpunkt der Entgegennahme und damit der Zustellung. Der Gegenbeweis der Unrichtigkeit des Empfangsbekenntnisses ist zwar grundsätzlich zulässig, setzt aber voraus, dass dessen Beweiswirkung vollständig entkräftet und jede Möglichkeit ausgeschlossen ist, dass die Angaben des Empfangsbekenntnisses richtig sein können; die bloße Möglichkeit der Unrichtigkeit genügt nicht. Selbst eine erhebliche zeitliche Diskrepanz zwischen dem Zeitpunkt der Übersendung des Dokuments und dem im Empfangsbekenntnis angegebenen Zustelldatum erbringt den Gegenbeweis der Unrichtigkeit des Datums für sich genommen noch nicht.
Nach diesen Maßstäben hat der Beklagte den mit dem Empfangsbekenntnis geführten Beweis nicht entkräftet. Insbesondere beweist das Schreiben des Klägers vom 10.9.2024 an den Prozessbevollmächtigten des Beklagten einen früheren Zustellungszeitpunkt als den 16.9.2024 nicht. Zutreffend ist zwar, dass der Kläger in dem Schreiben das Urteil vom 4.9.2024 zitiert und sich daraus schließen lässt, dass der Kläger bei Abfassung des Schreibens vom Inhalt des Urteilstenors Kenntnis hatte. Allerdings kommt es nicht auf eine Kenntniserlangung einer Prozesspartei, sondern auf die förmliche Zustellung des Urteils, hier an den Klägervertreter, an. Dass der Kläger von dem Inhalt des Urteils bereits am 10.9.2024 Kenntnis hatte, erklärt sich durch den Umstand, dass der Kläger beim Verkündungstermin persönlich anwesend war.
Eine erhebliche zeitliche Diskrepanz (12 Tage) zwischen dem Urteilserlass und der Zeichnung des Empfangsbekenntnisses, die Zweifel an der Richtigkeit des angegebenen Zustelldatums begründen würde, liegt nicht vor, zumal der Klägervertreter angegeben hat, bis einschließlich 15.9.2024 im Urlaub gewesen zu sein. Auf die Frage, ob der Klägervertreter standesrechtlich verpflichtet gewesen wäre, in der Urlaubszeit für eine Vertretung zu sorgen, kommt es in Bezug auf den Beweis des Zustellzeitpunkts nicht an.
Mehr zum Thema:
Rechtsprechung:
Beweiswirkung des über beA abgegebenen anwaltlichen Empfangsbekenntnisses
BGH vom 17.1.2024 - VII ZB 22/23
CR 2024, 495
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In einem erbrechtlichen Verfahren rügte der Beklagte die nicht fristgemäße Einlegung der Berufung. Das Empfangsbekenntnis der Klägervertreter über den Erhalt des Ersturteils trägt das Datum 16.9.2024. Gegen dieses Urteil hat der Kläger Berufung eingelegt, die am15.10.2024 beim OLG eingegangen ist.
Der Beklagte bestritt, dass das Endurteil der Klagepartei erst am 16.9.2024 zugestellt worden ist. Denn der Berufungskläger habe sich persönlich mit Schreiben vom 10.9.2024, eingegangen am 12.9.2024 in der Kanzlei der Beklagtenpartei, an den Prozessbevollmächtigten des Beklagten gewandt und in diesem Schreiben das Endurteil vom 4.9.2024 zitiert. Daraus lasse sich ein früherer Zustellungszeitpunkt als der 16.9.2024 ableiten, weshalb die Berufung unzulässig, weil verfristet sei.
Das OLG folgte dieser Argumentation nicht und hielt die Berufung für zulässig.
Die Gründe:
Die Berufung ist fristgerecht binnen der Notfrist von einem Monat eingelegt worden. Das Urteil des LG ist dem Kläger am 16.9.2024 zugestellt worden, was durch das Empfangsbekenntnis des Klägervertreters nachgewiesen wird.
Das von einem Rechtsanwalt elektronisch abgegebene Empfangsbekenntnis erbringt - wie das herkömmliche papiergebundene (analoge) Empfangsbekenntnis - gegenüber dem Gericht den vollen Beweis nicht nur für die Entgegennahme des Dokuments als zugestellt, sondern auch für den angegebenen Zeitpunkt der Entgegennahme und damit der Zustellung. Der Gegenbeweis der Unrichtigkeit des Empfangsbekenntnisses ist zwar grundsätzlich zulässig, setzt aber voraus, dass dessen Beweiswirkung vollständig entkräftet und jede Möglichkeit ausgeschlossen ist, dass die Angaben des Empfangsbekenntnisses richtig sein können; die bloße Möglichkeit der Unrichtigkeit genügt nicht. Selbst eine erhebliche zeitliche Diskrepanz zwischen dem Zeitpunkt der Übersendung des Dokuments und dem im Empfangsbekenntnis angegebenen Zustelldatum erbringt den Gegenbeweis der Unrichtigkeit des Datums für sich genommen noch nicht.
Nach diesen Maßstäben hat der Beklagte den mit dem Empfangsbekenntnis geführten Beweis nicht entkräftet. Insbesondere beweist das Schreiben des Klägers vom 10.9.2024 an den Prozessbevollmächtigten des Beklagten einen früheren Zustellungszeitpunkt als den 16.9.2024 nicht. Zutreffend ist zwar, dass der Kläger in dem Schreiben das Urteil vom 4.9.2024 zitiert und sich daraus schließen lässt, dass der Kläger bei Abfassung des Schreibens vom Inhalt des Urteilstenors Kenntnis hatte. Allerdings kommt es nicht auf eine Kenntniserlangung einer Prozesspartei, sondern auf die förmliche Zustellung des Urteils, hier an den Klägervertreter, an. Dass der Kläger von dem Inhalt des Urteils bereits am 10.9.2024 Kenntnis hatte, erklärt sich durch den Umstand, dass der Kläger beim Verkündungstermin persönlich anwesend war.
Eine erhebliche zeitliche Diskrepanz (12 Tage) zwischen dem Urteilserlass und der Zeichnung des Empfangsbekenntnisses, die Zweifel an der Richtigkeit des angegebenen Zustelldatums begründen würde, liegt nicht vor, zumal der Klägervertreter angegeben hat, bis einschließlich 15.9.2024 im Urlaub gewesen zu sein. Auf die Frage, ob der Klägervertreter standesrechtlich verpflichtet gewesen wäre, in der Urlaubszeit für eine Vertretung zu sorgen, kommt es in Bezug auf den Beweis des Zustellzeitpunkts nicht an.
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