12.10.2020

Flugverspätung: Anspruch des Fluggastes auf Erstattung außergerichtlicher Anwaltskosten

Das ausführende Luftverkehrsunternehmen muss einem Fluggast, dem ein Ausgleichsanspruch nach Art. 7 FluggastrechteVO zusteht, grundsätzlich auch die Kosten für die vorgerichtliche Geltendmachung des Anspruchs durch einen Rechtsanwalt ersetzen, wenn es die ihm gemäß Art. 14 Abs. 2 FluggastrechteVO obliegende Informationspflicht verletzt hat.

BGH v. 1.9.2020 - X ZR 97/19
Der Sachverhalt:
Der Kläger unternahm zusammen mit seiner Ehefrau und zwei Kindern eine Flugreise von Köln/Bonn nach Varadero (Kuba) und zurück. Die Flüge, die beide von der Beklagten ausgeführt wurden, hatten eine Ankunftsverspätung von 4 bzw. 25 Stunden. Der Kläger ließ die Beklagte durch vorgerichtliches Anwaltsschreiben wegen der Verspätung des Rückflugs auf Zahlung einer Ausgleichsleistung iHv 2.400 € in Anspruch nehmen. Die Beklagte lehnte eine Zahlung ab.

Der Kläger klagte daraufhin auf Zahlung des genannten Betrags zuzüglich vorgerichtlicher Anwaltskosten iHv 335 € nebst Zinsen. Das AG hat die Beklagte auf deren Anerkenntnis hin durch Teilurteil zur Zahlung des Hauptsachebetrags verurteilt. Die Klage auf Erstattung der Anwaltskosten hat es durch Schlussurteil abgewiesen. Die dagegen gerichtete Berufung des Klägers ist erfolglos geblieben. Die Revision des Klägers hatte nun auch hinsichtlich der Anwaltskosten Erfolg.

Die Gründe:
Das ausführende Luftverkehrsunternehmen muss einem Fluggast, dem ein Ausgleichsanspruch nach Art. 7 FluggastrechteVO zusteht, grundsätzlich auch die Kosten für die vorgerichtliche Geltendmachung des Anspruchs durch einen Rechtsanwalt ersetzen, wenn es die ihm gemäß Art. 14 Abs. 2 FluggastrechteVO obliegende Informationspflicht verletzt hat (Bestätigung von BGH v. 12.2.2019 - X ZR 24/18).

Nach Art. 14 Abs. 2 FluggastrechteVO hat das ausführende Luftverkehrsunternehmen jedem betroffenen Fluggast einen schriftlichen Hinweis auszuhändigen, in dem die Regeln für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen gemäß der Verordnung dargelegt werden. Die Information des Fluggasts dient nach Erwägungsgrund 20 der Verordnung dem Zweck, diesen in die Lage zu versetzen, seine Rechte wirksam wahrnehmen zu können. Da insbesondere die Verpflichtung zur Ausgleichsleistung bei großer Verspätung dem Wortlaut der Verordnung nicht zu entnehmen ist, reicht es zur Darlegung der "Regeln für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen" nicht aus, lediglich den Verordnungstext wiederzugeben. Vielmehr muss der Fluggast dem Hinweis jedenfalls klar entnehmen können, unter welchen Voraussetzungen ihm grundsätzlich ein Ausgleichsanspruch in welcher Höhe zusteht und unter welchen Voraussetzungen das ausführende Luftverkehrsunternehmen nach Art. 5 Abs. 3 FluggastrechteVO von der Verpflichtung zur Ausgleichsleistung frei wird. Ferner muss der Anspruchsgegner jedenfalls dann ausdrücklich angegeben werden, wenn er für den Fluggast nicht ohne weiteres zu erkennen ist.

Dieser Zweck wird entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nur dann erreicht, wenn die Information so gefasst ist, dass sie den Fluggast in die Lage versetzt, ohne anwaltliche Hilfe beurteilen zu können, ob Ausgleichsansprüche aufgrund der aufgetretenen Annullierung oder Verspätung in Betracht kommen und gegen welchen Schuldner diese geltend zu machen sind.

Wie das Berufungsgericht im Ausgangspunkt zutreffend angenommen hat, ist das Luftverkehrsunternehmen allerdings nicht verpflichtet, den konkreten Einzelfall unter die in Betracht kommenden Normen zu subsumieren. Die Informationen müssen auch nicht so detailliert sein, dass der Fluggast das Bestehen eines Anspruchs zweifelsfrei beurteilen kann. Sie müssen den Fluggast aber in die Lage versetzen, ohne Einholung von Rechtsrat eine summarische Antwort auf die Frage zu finden, ob Ausgleichsansprüche in seinem Fall in Betracht kommen. Ferner müssen sie ihm einen ohne Schwierigkeiten nutzbaren Kommunikationsweg aufzeigen, auf dem er sein Begehren gegenüber dem Schuldner geltend machen kann.

Das Berufungsgericht stützt seine abweichende Auffassung im Wesentlichen auf den Wortlaut von Art. 14 Abs. 2 FluggastrechteVO, der auch in anderen Sprachfassungen lediglich einen Hinweis über die Regeln erfordere. Damit verkennt es die Bedeutung der für die Auslegung dieser Vorschrift maßgeblichen Zielsetzung in Erwägungsgrund 20 der Verordnung. Mit seinem Argument, aus diesem Erwägungsgrund könnten keine weitergehenden Anforderungen hergeleitet werden, weil der Verordnungsgeber diese Anforderungen gerade durch Art. 14 Abs. 2 FluggastrechteVO umgesetzt habe, stellt es in unzulässiger Weise alleine auf den Wortlaut der Vorschrift ab, ohne deren Zweck in der gebotenen Weise zu berücksichtigen.

Entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung ergibt sich auch aus Art. 14 Abs. 1 FluggastrechteVO keine abweichende Beurteilung. Nach Art. 14 Abs. 1 FluggastrechteVO muss das ausführende Luftverkehrsunternehmen sicherstellen, dass die Fluggäste bereits bei der Abfertigung durch einen deutlich sichtbaren und klar lesbaren Hinweis darauf aufmerksam gemacht werden, dass sie im Falle einer Beförderungsverweigerung, einer Annullierung oder einer Verspätung um mindestens zwei Stunden am Abfertigungsschalter oder am Flugsteig eine schriftliche Auskunft über ihre Rechte, insbesondere über Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen verlangen können.

Hieraus ergibt sich zwar, dass schriftliche Informationen jedenfalls dann zu erteilen sind, wenn ein Fluggast dies verlangt. Entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung hat dies jedoch nicht zur Folge, dass auch die Information gemäß Art. 14 Abs. 2 FluggastrechteVO nur auf Verlangen des einzelnen Fluggasts zu erteilen ist. Die Regelungen in Art. 14 Abs. 1 und 2 FluggastrechteVO betreffen vielmehr unterschiedliche Tatbestände und sehen dafür unterschiedliche Rechtsfolgen vor.

Die Pflicht aus Art. 14 Abs.1 FluggastrechteVO greift unabhängig davon, ob es zu einer Beförderungsverweigerung, Annullierung oder Verspätung gekommen ist. Sie dient dem Zweck, den Fluggast schon im Vorfeld auf das Bestehen einschlägiger Regelungen und die Möglichkeit, nähere Informationen darüber zu erhalten, hinzuweisen. Die Pflicht aus Art. 14 Abs. 2 FluggastrechteVO greift hingegen nur dann, wenn es tatsächlich zu einer Beförderungsverweigerung oder Annullierung oder zu einer Verspätung von mehr als zwei Stunden gekommen ist. In diesem Fall sind alle betroffenen Fluggäste zu informieren. Eine Beschränkung auf diejenigen Fluggäste, die entsprechende Informationen verlangen, ist gerade nicht vorgesehen.

Entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung ist dieses Regelungskonzept nicht in sich widersprüchlich. Der in Art. 14 Abs. 1 FluggastrechteVO vorgeschriebene Hinweis, dass die in Rede stehenden Informationen auf Verlangen auszuhändigen sind, kann vielmehr auch in den von Art. 14 Abs. 2 FluggastrechteVO erfassten Fällen von Bedeutung sein, insbesondere dann, wenn das Luftverkehrsunternehmen seiner Verpflichtung aus dieser Vorschrift nicht von sich aus nachkommt.

Entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung ist eine Verpflichtung, allen von einer Beförderungsverweigerung, Annullierung oder großen Verspätung betroffenen Fluggästen unaufgefordert die gebotenen Informationen zu erteilen, zumutbar. So kann die Information im Falle einer Verspätung in aller Regel schon im Flugzeug verteilt werden. Bei einer Annullierung oder Beförderungsverweigerung ist die Kontaktaufnahme mit den betroffenen Fluggästen jedenfalls dann nicht mit allzu großem Aufwand verbunden, wenn sich diese bereits am Abfertigungsschalter oder Flugsteig eingefunden haben. In allen anderen Fällen ist eine Kontaktaufnahme in der Regel ohnehin erforderlich, um den Fluggast über die eingetretene Komplikation zu informieren. Bei dieser Gelegenheit kann auch die nach Art. 14 Abs. 2 FluggastrechteVO geschuldete Information übermittelt werden.

Ist das Luftverkehrsunternehmen dieser Verpflichtung nicht oder nicht vollständig nachgekommen, ist die Inanspruchnahme anwaltlicher Hilfe als erforderlich anzusehen, sofern das Luftverkehrsunternehmen nicht darlegt, dass und aus welchen Gründen der Fluggast im Einzelfall über seine Rechte bereits soweit unterrichtet war, dass er des Hinweises nach Art. 14 Abs. 2 FluggastrechteVO nicht bedurfte.

Nach der Rechtsprechung des Senats kann der Fluggast im Falle einer Verletzung der Informationspflicht neben der ihm zustehenden Ausgleichsleistung die Erstattung erforderlicher und zweckmäßiger Anwaltskosten verlangen, die ihm durch die außergerichtliche Geltendmachung des Ausgleichsanspruchs entstanden sind. Zu den danach zu ersetzenden Kosten gehört eine Geschäftsgebühr für die außergerichtliche Vertretung (BGH, 12.02.2019 - X ZR 24/18).

Der Senat hält auch an dieser Auffassung fest. Nach ständiger Rechtsprechung des BGH hat der Schädiger nicht schlechthin alle durch das Schadensereignis adäquat verursachten Rechtsanwaltskosten zu ersetzen, sondern nur solche, die aus Sicht des Geschädigten zur Wahrnehmung seiner Rechte erforderlich und zweckmäßig waren. Maßgeblich ist die ex-ante-Sicht einer vernünftigen, wirtschaftlich denkenden Person. Dabei sind keine überzogenen Anforderungen zu stellen.

Es kommt darauf an, wie sich die voraussichtliche Abwicklung des Schadensfalls aus der Sicht des Geschädigten darstellt. In einfach gelagerten Fällen, bei denen mit rechtlichen oder tatsächlichen Schwierigkeiten nicht zu rechnen ist, obliegt es dem Geschädigten grundsätzlich, seine Rechte zunächst selbst geltend zu machen. Wie bereits oben dargelegt wurde, dient Art. 14 Abs. 2 FluggastrechteVO dem Zweck, dem Fluggast in den davon erfassten Fällen eine solche Geltendmachung zu ermöglichen, obwohl für einen Fluggast typischerweise nicht ohne weiteres ersichtlich ist, welche Ansprüche in Frage kommen und gegen wen sie geltend gemacht werden.

Wenn das Luftverkehrsunternehmen seiner Verpflichtung nach Art. 14 Abs. 2 FluggastrechteVO nicht nachgekommen ist, muss sich ein vernünftig und wirtschaftlich denkender Fluggast in der Regel nicht darauf beschränken, sich die unterbliebenen Informationen durch die Erteilung eines Beratungsmandats zu verschaffen.

Wenn der Fluggast mangels ausreichender Belehrung nicht in der Lage ist, seine Ansprüche ohne anwaltliche Hilfe geltend zu machen, ist es in der Regel nicht zu beanstanden, dass er einen Anwalt mit der Geltendmachung seiner Rechte betraut. Das Luftverkehrsunternehmen hat es in der Hand, die damit verbundenen Kosten durch eine ordnungsgemäße Belehrung zu vermeiden. Wenn es diese Möglichkeit nicht nutzt, kann es nicht erwarten, dass der Fluggast sich darauf beschränkt, sich auf anderem Wege über die ihm zustehenden Rechte zu informieren. Der Fluggast darf den Umstand, dass er seine Rechte mangels ausreichender Information nicht selbst geltend machen kann, grundsätzlich vielmehr zum Anlass nehmen, einen anderen Weg zu suchen, um diese Rechte geltend zu machen. Dazu gehört die Beauftragung eines Anwalts mit der außergerichtlichen Geltendmachung der Ansprüche.

Entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung hat die Ersatzfähigkeit einer Geschäftsgebühr in dieser Konstellation nicht zur Folge, dass der betroffene Fluggast besser steht als er bei Erfüllung dieser Pflicht gestanden hätte. Der Fluggast wird insoweit entlastet, als er nicht selbst mit dem Luftverkehrsunternehmen korrespondieren muss. Dem stehen aber der zeitliche Mehraufwand für die Mandatierung des Anwalts und die Korrespondenz mit diesem gegenüber.
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