24.01.2022

Folgen eines Wohnraummietvertrags per E-Mail und ohne Widerrufsbelehrung

Ist ein Wohnraummietvertrag im Rahmen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- oder Dienstleistungssystems geschlossen worden und hat der Vermieter den Mieter nicht über dessen Widerrufsrecht belehrt, hat der Vermieter dem Mieter im Falle des wirksamen Widerrufs durch den Mieter jedenfalls sämtliche bis dahin geleistete Mietzahlungen einschließlich der erbrachten Nebenkostenvorauszahlungen zurück zu gewähren, ohne dass der Mieter dem Vermieter Nutzungs- oder Wertersatz für die Ingebrauchnahme der Mietsache schuldet.

LG Berlin v. 21.10.2021 - 67 S 140/21
Der Sachverhalt:
Der klagende Mieter und die beklagte Vermieterin hatten einen Wohnraummietvertrag im Rahmen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- oder Dienstleistungssystems abgeschlossen. Dabei hatte die Beklagte den Kläger nicht über dessen Widerrufsrecht belehrt. Später hat der Kläger den Mietvertrag widerrufen. Er verlangte die Erstattung sämtlicher bis zum Monat des Widerrufs geleisteter Mieten. Die Beklagte hat zunächst widerklagend die Räumung der Mietsache beansprucht; in der Folge haben die Parteien den Rechtsstreit hinsichtlich der widerklagend verfolgten Ansprüche noch im ersten Rechtszug übereinstimmend für erledigt erklärt.

Das AG hat die Klage ganz überwiegend abgewiesen und die Beklagte unter Berücksichtigung einer Aufrechnung wegen minderungsbedingter Überzahlungen zu einer Zahlung von 1,74 € nebst anteiliger Zinsen verurteilt. Die übrigen Zahlungsansprüche hat es verneint, da der Mietvertrag zwar wirksam widerrufen worden sei, die von der Beklagten zur Aufrechnung gestellten Gegenansprüche wegen Wert- und Nutzungsersatzes aber auch ohne ausdrückliche widerrufsrechtliche Regelung begründet seien.

Der Kläger rügte, das AG hätte der Beklagte zu Unrecht aufrechenbare Ansprüche auf Wertersatz bis zur Ausübung des Widerrufsrechts zuerkannt. Diese seien jedenfalls dann gesetzlich ausgeschlossen, wenn der Mieter - so wie hier - nicht auf sein Widerrufsrecht hingewiesen worden sei. Auf die Berufung des Klägers hat das LG die Entscheidung des AG abgeändert und die Beklagte zur Zahlung von rund 10.363 € verurteilt. Allerdings wurde wegen grundsätzlicher Bedeutung die Revision zum BGH zugelassen.

Die Gründe:
Dem Kläger steht ein Anspruch auf Rückzahlung der im Zeitraum Februar 2019 bis Januar 2020 gezahlten Mieten gem. §§ 312 Abs. 4, Abs. 3 Nr. 7 i.V.m. 312g BGB 355 Abs. 1, Abs. 3, 357 Abs. 8, 361 BGB zu.

Der Kläger hat das mit der Beklagten geschlossene Mietverhältnis wirksam widerrufen und kann deshalb die im genannten Zeitraum geleisteten Mietzahlungen zurückverlangen. Für zwischen einem Verbraucher und einem Unternehmer geschlossene Wohnraummietverträge ist das Widerrufsrecht gem. § 312 Abs. 4, Abs. 3 Nr. 7 i.V.m. § 312g BGB eröffnet, es sei denn, der Mieter hat die Mietsache vor Vertragsschluss besichtigt, § 312 Abs. 4 Satz 2 BGB. Auf den Ausschlusstatbestand des § 312 Abs. 4 Satz 2 BGB kann sich die Beklagte nicht mit Erfolg berufen, da der Kläger die Mietsache vor dem Vertragsschluss unstreitig nicht besichtigt hatte.

Die persönlichen und situativen Voraussetzungen der §§ 312 Abs. 1, 310 Abs. 3, 312g, 312c Abs. 1, 2 BGB zur wirksamen Ausübung des Widerrufsrechts sind ebenfalls erfüllt. Der Kläger ist Verbraucher i.S.d § 13 BGB, während es sich bei der beklagten Vermieterin um eine Unternehmerin i.S.d § 14 BGB handelt. Der zu beurteilende Mietvertrag stellt einen gem. §§ 312 Abs. 1, 310 Abs. 3, 312g, 312c Abs. 1, Abs, 2 BGB widerruflichen Fernabsatzvertrag dar. Steht - wie hier - fest, dass der Unternehmer sowohl für die Vertragsverhandlungen als auch für den Vertragsschluss ausschließlich Fernkommunikationsmittel verwendet hat, wird nach der gesetzlichen Regelung in § 312c Abs. 1 BGB widerleglich vermutet, dass der Vertrag im Rahmen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- oder Dienstleistungssystems abgeschlossen worden ist.

Der Kläger hat seinen weniger als ein Jahr nach dem Vertragsschluss ausgesprochenen Widerruf rechtzeitig erklärt. Das Widerrufsrecht des Klägers ist gem. § 356 Abs. 3 Satz 2 BGB erst zwölf Monate und 14 Tage nach Vertragsschluss erloschen. Die kurze Widerrufsfrist des § 555 Abs. 2 BGB ist nicht in Gang gesetzt worden, da es die Beklagte verabsäumt hatte, den Kläger über sein Widerrufsrecht den Anforderungen der Art. 246a § 1 EGBGB oder Art. 246b § 2 EGBGB entsprechend zu unterrichten, § 356 Abs. 3 Satz 1 BGB. Auch die Erlöschentatbestände des § 356 Abs. 4 und 5 BGB sind nicht erfüllt, da beide vorausgesetzt hätten, dass der Verbraucher zuvor über den Verlust seines Widerrufsrechts bei teilweiser oder vollständiger Vertragserfüllung durch den Unternehmer in Kenntnis gesetzt wird. Auch daran fehlte es.

Die Beklagte hat keinen Anspruch auf Nutzungsentschädigung. Auf einen wie auch immer gearteten Ersatzanspruch neben den §§ 355 ff. BGB kann sich die Beklagte nicht berufen, da ausweislich der eindeutigen und deshalb auch nicht auslegungsfähigen Regelung des § 361 Abs. 1 BGB über die §§ 355 ff. BGB hinaus keine weiteren Ansprüche des Unternehmers gegen den Verbraucher infolge des Widerrufs bestehen. Wegen der Eindeutigkeit und Ausdrücklichkeit der getroffenen gesetzgeberischen Wertung ist weder Raum für die vom AG zu Gunsten der Beklagten gebildete Analogie noch für eine teleologische Reduktion der gesetzlichen Widerrufsvorschriften. Allerdings wurde die Revision zugelassen, da es bislang höchstrichterlich ungeklärt ist, ob und gegebenenfalls unter welchen Umständen der Mieter in Fällen fehlender Widerrufsbelehrung für den Zeitraum bis zum wirksamen Widerruf des Mietvertrages Wert- oder Nutzungsersatz für die Ingebrauchnahme der Mietsache an den Vermieter zu leisten hat.

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