04.09.2023

Formgerechte Beschwerde trotz fehlerhafter Bezeichnung der angegriffenen Entscheidung

Eine Beschwerde ist formgerecht eingelegt, wenn trotz fehlerhafter Bezeichnung der angegriffenen Entscheidung aufgrund der Angaben in der Beschwerdeschrift und den sonstigen aus den Verfahrensakten erkennbaren Umständen vor Ablauf der Beschwerdefrist für das Gericht nicht zweifelhaft bleibt, welche Entscheidung angefochten wird, und es anhand der im Übrigen richtigen und vollständigen Angaben in der Rechtsmittelschrift nicht daran gehindert ist, seine verfahrensvorbereitende Tätigkeit aufzunehmen. (im Anschluss an Senatsbeschluss vom 20.5.2015 - XII ZB 368/14 - FamRZ 2015, 1276).

BGH v. 2.8.2023 - XII ZB 432/22
Der Sachverhalt:
Die Beteiligten streiten um die Zahlung von Betreuungsunterhalt. Auf Antrag der Antragstellerin verpflichtete das AG den Antragsgegner mit am 12.5.2021 verkündetem Beschluss, an die Antragstellerin ab Mai 2021 laufenden Betreuungsunterhalt sowie für den Zeitraum März 2019 bis einschließlich April 2021 rückständigen Betreuungsunterhalt zu zahlen. Im Übrigen wies es den Antrag ab. Mit am 14.5.2021 erlassenem Beschluss setzte es den Verfahrenswert fest. Beide Beschlüsse wurden den Verfahrensbevollmächtigten der Beteiligten am 17.5.2021 zugestellt.

Mit Rechtsanwaltsschriftsatz vom 7.6.2021 legte der Antragsgegner gegen den "Beschluss des Amtsgerichts [N]. Familiengericht vom 14.05.2021, zugestellt am 17.05.2021," Beschwerde ein. Mit weiterem Schriftsatz vom 30.6.2021 stellte er klar, dass sich die Beschwerde gegen den Beschluss vom 12.5.2021 richte. Nach entsprechendem Hinweis verwarf das OLG die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss vom 12.5.2021.

Auf die Rechtsbeschwerde des Antragsgegners hob der BGH den Beschluss des OLG auf und verwies die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung dorthin zurück.

Die Gründe:
Entgegen der Auffassung des OLG hat der Antragsgegner mit dem am 7.6.2021 beim AG eingegangenen Schriftsatz seines Verfahrensbevollmächtigten form- und fristgerecht Beschwerde gegen den Beschluss des AG vom 12.5.2021 eingelegt.

Nach § 64 Abs. 2 Satz 3 FamFG muss die Beschwerdeschrift die Bezeichnung des angefochtenen Beschlusses sowie die Erklärung enthalten, dass Beschwerde gegen diesen Beschluss eingelegt wird. Wie bei der für das zivilprozessuale Berufungsverfahren maßgeblichen Regelung in § 519 Abs. 2 Nr. 1 ZPO, an die § 64 Abs. 2 Satz 3 FamFG angelehnt ist, ergibt sich aus dem Wortlaut der Vorschrift allerdings nicht, auf welche Weise die angefochtene Entscheidung bezeichnet werden muss. Da § 64 Abs. 2 Satz 3 FamFG dem Zweck dient, dem Beschwerdegericht und den übrigen Verfahrensbeteiligten Klarheit über den Gegenstand und die Beteiligten des Rechtsmittelverfahrens zu verschaffen, ist in der Beschwerdeschrift die angegriffene Entscheidung in der Regel durch eine vollständige Bezeichnung der Verfahrensbeteiligten, des Gerichts, das den angefochtenen Beschluss erlassen hat, des Verkündungsdatums und des Aktenzeichens zu bezeichnen.

Dabei ist jedoch zu beachten, dass verfahrensrechtliche Formvorschriften kein Selbstzweck sind. Daher dürfen keine übermäßigen Anforderungen an die Beachtung der Förmlichkeiten der Beschwerdeschrift gestellt werden. Ausreichend ist, wenn aufgrund der Angaben in der Beschwerdeschrift und den sonstigen aus den Verfahrensakten erkennbaren Umständen vor Ablauf der Beschwerdefrist für das Gericht nicht zweifelhaft bleibt, welche Entscheidung angefochten wird, und es anhand der im Übrigen richtigen und vollständigen Angaben in der Rechtsmittelschrift nicht daran gehindert ist, seine verfahrensvorbereitende Tätigkeit aufzunehmen (vgl. BGH v. 20.5.2015 - XII ZB 368/14, FamRZ 2015, 1276).

Gemessen hieran hat der Antragsgegner durch die am 7.6.2021 beim AG eingegangene Rechtsmittelschrift rechtzeitig Beschwerde gegen den am 17.5.2021 zugestellten Beschluss des Amtsgerichts vom 12.5.2021 eingelegt. Zwar ist in diesem Schriftsatz der Erlasstermin der Entscheidung, gegen die sich das Rechtsmittel richten sollte, unzutreffend angegeben. Aus dem Inhalt der Verfahrensakten ergaben sich für das Gericht jedoch schon vor Ablauf der Beschwerdefrist hinreichende Anhaltspunkte, aus denen erkennbar war, dass der Antragsgegner die Entscheidung in der Hauptsache und nicht den Beschluss über die Festsetzung des Verfahrenswerts anfechten wollte.

Mehr zum Thema:

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§ 64 Einlegung der Beschwerde
Abramenko in Prütting/Helms, FamFG, Kommentar, 6. Aufl. 2023
6. Aufl./Lfg. 09.2022

Rechtsprechung (die in den Leitsätzen zitierte Entscheidung):
§ 64 II S. 3 FamFG: Formgerechte Beschwerdeeinlegung trotz fehlerhafter Angabe des Verkündungstermins
BGH vom 20.05.2015 - XII ZB 368/14
FamRZ 2015, 1276

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