Gemeinschaft: Wirksamer Mehrheitsbeschluss unterliegt bei unveränderter Sachlage keiner Billigkeitskontrolle
BGH v. 29.4.2025 - II ZR 47/24
Der Sachverhalt:
Die Parteien sind Miteigentümer eines mit einem privaten Parkhaus bebauten Grundstücks, das in 108 Miteigentumsanteile aufgeteilt ist. Das Parkhaus verfügt über 40 überirdische Stellplätze und 68 Tiefgaragenstellplätze mit zwei Doppel- und 16 Vierfachparkplätzen, die jeweils hydraulische Hebebühnen erfordern. Die Stell- und Tiefgaragenplätze wurden ursprünglich von der I. GmbH errichtet und verkauft. Sämtliche Kaufverträge enthielten in § 8b folgende Regelung zu den Unterhaltungskosten der Anlage:
"Die Kosten der Unterhaltung der Garagenanlage (Tiefgarage und oberirdisches Parkdeck) tragen die Miteigentümer entsprechend ihren Miteigentumsanteilen. Dies gilt insbesondere für Reparaturen und Instandhaltungen und die Grünflächenpflege sowie für die laufenden Betriebskosten einschließlich der abgeschlossenen Versicherungen."
Die Beklagte zu 1) hält 54 Miteigentumsanteile; ihr sind alle 40 oberirdischen und weitere 14 Tiefgaragenstellplätze zugeordnet. Der Beklagte zu 2) ist Geschäftsführer der I. GmbH und der Beklagten zu 1). Gemeinsam verfügen die Beklagten über eine Mehrheit von 55 der insgesamt 108 Miteigentumsanteile der Bruchteilsgemeinschaft. Nachdem umfangreiche Instandhaltungsmaßnahmen an den Hydraulikzylindern der Tiefgaragenstellplätze erforderlich wurden, beschlossen die Teilhaber in der Eigentümerversammlung vom 19.10.2020 unter TOP 1 mehrheitlich bei 2 Enthaltungen, 37 Nein-Stimmen und 55 Ja-Stimmen eine Änderung des Kostenverteilungsschlüssels dahingehend, dass die Eigentümer weiterhin gemeinschaftlich die Kosten von Reinigung und Instandhaltung des Gebäudes tragen sollen; die Kosten für die Reinigung und Instandhaltung der Tiefgaragenplätze jedoch von den Eigentümern der Tiefgaragenplätze und die Kosten für die Reinigung und Instandhaltung der oberirdischen Stellplätze von den Eigentümern der oberirdischen Stellplätze zu tragen sind.
Mit ihrer Klage verfolgen die Kläger die Feststellung, dass der Beschluss zur Änderung des Kostenverteilungsschlüssels nichtig ist, und dass die Kosten für die Reinigung und Instandhaltung von den Miteigentümern weiterhin entsprechend ihrer Miteigentumsanteile zu tragen sind.
LG und OLG gaben der Klage statt. Auf die Revision der Beklagten hob der BGH das Urteil des OLG auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung dorthin zurück.
Die Gründe:
Mit der Begründung des OLG kann die Unwirksamkeit des Beschlusses vom 19.10.2020 nicht bejaht werden.
Die Teilhaber der Bruchteilsgemeinschaft, haben nach den Feststellungen des OLG am 19.10.2020 mit der nach § 745 Abs. 1 Satz 2 BGB erforderlichen Mehrheit eine von der gesetzlichen Regelung des § 748 BGB abweichende Verteilung der auf das Parkhaus entfallenden Kosten beschlossen. Eine von § 748 BGB abweichende Kostenverteilung kann Gegenstand eines Mehrheitsbeschlusses nach § 745 Abs. 1 BGB sein. Das OLG hat rechtsfehlerhaft angenommen, dass die Änderung der Kostenverteilung eine wesentliche Veränderung des gemeinschaftlichen Gegenstands i.S.v. § 745 Abs. 3 Satz 1 BGB darstelle.
Das OLG richtet seine Prüfung zudem unzutreffend an der Frage aus, ob die Änderung der Kostenverteilung dem Interesse aller Teilhaber nach billigem Ermessen gem. § 745 Abs. 2 BGB entspricht. Nach § 745 Abs. 2 BGB kann jeder Teilhaber eine dem Interesse aller Teilhaber nach billigem Ermessen entsprechende Verwaltung und Benutzung verlangen, sofern die Verwaltung und Benutzung der gemeinschaftlichen Sache nicht durch Vereinbarung oder Mehrheitsbeschluss geregelt sind. Ein Anspruch nach § 745 Abs. 2 BGB auf eine Verwaltungsregelung durch gerichtliche Entscheidung besteht auch dann, wenn eine bestimmte Regelung zwar vereinbart oder mehrheitlich beschlossen wurde, aber lückenhaft ist oder zwischenzeitlich eine tatsächliche Änderung eingetreten ist.
Umstritten ist, ob Mehrheitsbeschlüsse, die sich im Rahmen ordnungsgemäßer Verwaltung und Benutzung halten, auch bei unveränderter Sachlage unter Hinweis auf § 745 Abs. 2 BGB angegriffen werden können, wenn die beschlossene Regelung nicht allseitig interessengemäß ist. Teilweise wird vertreten, dass auch Mehrheitsbeschlüsse einer Billigkeitskontrolle unterfielen und § 745 Abs. 2 BGB eine allgemeine Kontrollfunktion zukomme, mit der Folge, dass die Mehrheitsinteressen über den in § 745 Abs. 3 BGB verankerten spezifischen Minderheitsschutz hinaus eingeschränkt werden können. Nach anderer Ansicht können lückenlose Mehrheitsbeschlüsse, die sich im Rahmen ordnungsmäßiger Verwaltung und Benutzung halten, bei unveränderter Sachlage nicht mit einem auf § 745 Abs. 2 BGB gestützten Anspruch auf eine abweichende, dem Interesse aller Teilhaber nach billigem Ermessen entsprechende Regelung in Frage gestellt werden.
Richtig ist die zuletzt genannte Auffassung. Ein Mehrheitsbeschluss der Teilhaber einer Gemeinschaft nach Bruchteilen ist am Maßstab der in § 745 Abs. 1 und Abs. 3 BGB festgelegten Grenzen zu messen. Ein danach wirksamer Mehrheitsbeschluss unterfällt bei unveränderter Sachlage keiner Billigkeitskontrolle nach § 745 Abs. 2 BGB.
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Die Parteien sind Miteigentümer eines mit einem privaten Parkhaus bebauten Grundstücks, das in 108 Miteigentumsanteile aufgeteilt ist. Das Parkhaus verfügt über 40 überirdische Stellplätze und 68 Tiefgaragenstellplätze mit zwei Doppel- und 16 Vierfachparkplätzen, die jeweils hydraulische Hebebühnen erfordern. Die Stell- und Tiefgaragenplätze wurden ursprünglich von der I. GmbH errichtet und verkauft. Sämtliche Kaufverträge enthielten in § 8b folgende Regelung zu den Unterhaltungskosten der Anlage:
"Die Kosten der Unterhaltung der Garagenanlage (Tiefgarage und oberirdisches Parkdeck) tragen die Miteigentümer entsprechend ihren Miteigentumsanteilen. Dies gilt insbesondere für Reparaturen und Instandhaltungen und die Grünflächenpflege sowie für die laufenden Betriebskosten einschließlich der abgeschlossenen Versicherungen."
Die Beklagte zu 1) hält 54 Miteigentumsanteile; ihr sind alle 40 oberirdischen und weitere 14 Tiefgaragenstellplätze zugeordnet. Der Beklagte zu 2) ist Geschäftsführer der I. GmbH und der Beklagten zu 1). Gemeinsam verfügen die Beklagten über eine Mehrheit von 55 der insgesamt 108 Miteigentumsanteile der Bruchteilsgemeinschaft. Nachdem umfangreiche Instandhaltungsmaßnahmen an den Hydraulikzylindern der Tiefgaragenstellplätze erforderlich wurden, beschlossen die Teilhaber in der Eigentümerversammlung vom 19.10.2020 unter TOP 1 mehrheitlich bei 2 Enthaltungen, 37 Nein-Stimmen und 55 Ja-Stimmen eine Änderung des Kostenverteilungsschlüssels dahingehend, dass die Eigentümer weiterhin gemeinschaftlich die Kosten von Reinigung und Instandhaltung des Gebäudes tragen sollen; die Kosten für die Reinigung und Instandhaltung der Tiefgaragenplätze jedoch von den Eigentümern der Tiefgaragenplätze und die Kosten für die Reinigung und Instandhaltung der oberirdischen Stellplätze von den Eigentümern der oberirdischen Stellplätze zu tragen sind.
Mit ihrer Klage verfolgen die Kläger die Feststellung, dass der Beschluss zur Änderung des Kostenverteilungsschlüssels nichtig ist, und dass die Kosten für die Reinigung und Instandhaltung von den Miteigentümern weiterhin entsprechend ihrer Miteigentumsanteile zu tragen sind.
LG und OLG gaben der Klage statt. Auf die Revision der Beklagten hob der BGH das Urteil des OLG auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung dorthin zurück.
Die Gründe:
Mit der Begründung des OLG kann die Unwirksamkeit des Beschlusses vom 19.10.2020 nicht bejaht werden.
Die Teilhaber der Bruchteilsgemeinschaft, haben nach den Feststellungen des OLG am 19.10.2020 mit der nach § 745 Abs. 1 Satz 2 BGB erforderlichen Mehrheit eine von der gesetzlichen Regelung des § 748 BGB abweichende Verteilung der auf das Parkhaus entfallenden Kosten beschlossen. Eine von § 748 BGB abweichende Kostenverteilung kann Gegenstand eines Mehrheitsbeschlusses nach § 745 Abs. 1 BGB sein. Das OLG hat rechtsfehlerhaft angenommen, dass die Änderung der Kostenverteilung eine wesentliche Veränderung des gemeinschaftlichen Gegenstands i.S.v. § 745 Abs. 3 Satz 1 BGB darstelle.
Das OLG richtet seine Prüfung zudem unzutreffend an der Frage aus, ob die Änderung der Kostenverteilung dem Interesse aller Teilhaber nach billigem Ermessen gem. § 745 Abs. 2 BGB entspricht. Nach § 745 Abs. 2 BGB kann jeder Teilhaber eine dem Interesse aller Teilhaber nach billigem Ermessen entsprechende Verwaltung und Benutzung verlangen, sofern die Verwaltung und Benutzung der gemeinschaftlichen Sache nicht durch Vereinbarung oder Mehrheitsbeschluss geregelt sind. Ein Anspruch nach § 745 Abs. 2 BGB auf eine Verwaltungsregelung durch gerichtliche Entscheidung besteht auch dann, wenn eine bestimmte Regelung zwar vereinbart oder mehrheitlich beschlossen wurde, aber lückenhaft ist oder zwischenzeitlich eine tatsächliche Änderung eingetreten ist.
Umstritten ist, ob Mehrheitsbeschlüsse, die sich im Rahmen ordnungsgemäßer Verwaltung und Benutzung halten, auch bei unveränderter Sachlage unter Hinweis auf § 745 Abs. 2 BGB angegriffen werden können, wenn die beschlossene Regelung nicht allseitig interessengemäß ist. Teilweise wird vertreten, dass auch Mehrheitsbeschlüsse einer Billigkeitskontrolle unterfielen und § 745 Abs. 2 BGB eine allgemeine Kontrollfunktion zukomme, mit der Folge, dass die Mehrheitsinteressen über den in § 745 Abs. 3 BGB verankerten spezifischen Minderheitsschutz hinaus eingeschränkt werden können. Nach anderer Ansicht können lückenlose Mehrheitsbeschlüsse, die sich im Rahmen ordnungsmäßiger Verwaltung und Benutzung halten, bei unveränderter Sachlage nicht mit einem auf § 745 Abs. 2 BGB gestützten Anspruch auf eine abweichende, dem Interesse aller Teilhaber nach billigem Ermessen entsprechende Regelung in Frage gestellt werden.
Richtig ist die zuletzt genannte Auffassung. Ein Mehrheitsbeschluss der Teilhaber einer Gemeinschaft nach Bruchteilen ist am Maßstab der in § 745 Abs. 1 und Abs. 3 BGB festgelegten Grenzen zu messen. Ein danach wirksamer Mehrheitsbeschluss unterfällt bei unveränderter Sachlage keiner Billigkeitskontrolle nach § 745 Abs. 2 BGB.
Kommentierung | BGB
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