09.10.2023

Grundsätze der Anscheins- und Duldungsvollmacht finden auch im Online-Handel Anwendung

Die Grundsätze der Anscheins- und Duldungsvollmacht finden grundsätzlich auch im Online-Handel Anwendung. Nach dem klassischen Verständnis knüpft die Anscheinsvollmacht daran an, dass der Vertretene das Handeln des Dritten zwar nicht kennt, es bei pflichtgemäßer Sorgfalt aber hätte erkennen und verhindern können. Eine Duldungsvollmacht liegt vor, wenn der Vertretene es willentlich geschehen lässt, dass ein anderer für ihn wie ein Vertreter auftritt, und der Geschäftspartner dieses Dulden dahin versteht und auch verstehen durfte, dass der vermeintliche Vertreter zu den vorgenommenen Erklärungen bevollmächtigt ist.

AG Charlottenburg v. 29.9.2023 - 209 C 33/23
Der Sachverhalt:
Bei der Klägerin war am 23.11.2020 ein Apple iPhone 12 Mini 256 GB für 944,55 € bestellt worden. Hierbei war als Rechnungs- und Lieferadresse die Anschrift der Beklagten angegeben worden. Die per PayPal vorgenommene Zahlung "platzte", sodass das Gerät nicht bezahlt wurde. Die Beklagte hatte zuvor im September 2020 mit einer vermeintlichen russischen Firma einen Vertrag über eine Beschäftigung als Paketagentin abgeschlossen. Sie sollte Pakete an die vermeintliche Firmenanschrift der genannten Person in Russland weiterleiten, als Gegenleistung sollte sie 25 € für jedes weitergeleitete Paket erhalten.

Am 28.9.2020 erhielt die Beklagte erstmals Pakete an Ihre Anschrift. Am 1.10.2020 leitete sie erstmals Waren an ihre Auftraggeberin weiter. Die Beklagte hatte ihrer Auftraggeberin nie erlaubt, Bestellungen unter ihrem Namen aufzugeben. Am 17.11.2020 stellte die Beklagte fest, dass ihre russische Vertragspartnerin unter ihrem Namen bestellt hatte. Sie wies ihre Vertragspartnerin darauf hin, dass auf der Rechnung nur stehen dürfe, dass jemand bestellt habe und sie nur empfange

Die Beklagte erhielt das streitgegenständliche iPhone mit einem Lieferschein, auf dem ihre Anschrift sowohl als Liefer- als auch als Rechnungsadresse angegeben war. Sie leitete das Gerät an ihre russische Vertragspartnerin weiter. Danach wurde sie mehrfach zur Zahlung des Kaufpreises gemahnt, bezahlte jedoch nicht. Die Beklagte war der Ansicht, zwischen ihr und der Klägerin sei kein Vertrag zustande gekommen. Schließlich sei sie selbst ein Opfer, da sie auf ein betrügerisches Jobangebot auf einer russischsprachigen Online-Plattform hereingefallen sei.

Das AG gab der Klage vollumfänglich statt.

Die Gründe:
Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung des Kaufpreises i.H.v. 944,55 € aus § 433 Abs. 2 BGB.

Zwar hat die Beklagte selbst kein Angebot zum Abschluss eines Kaufvertrages abgegeben. Sie wurde aber durch unbekannte Hinterleute, ihre russischsprachigen Vertragspartner, wirksam vertreten. Ihre Vertragspartner hatten zwar keine ausdrückliche Vollmacht die Beklagte zu vertreten. Vielmehr war ihnen seitens der Beklagten spätestens seit dem 17.11.2020 sogar ausdrücklich verboten, im Namen der Beklagten tätig zu werden. Es lag jedoch eine wenigstens Duldungsvollmacht seitens der Beklagten vor.

Die Grundsätze der Anscheins- und Duldungsvollmacht finden nämlich grundsätzlich auch im Online-Handel Anwendung. Nach dem klassischen Verständnis knüpft die Anscheinsvollmacht daran an, dass der Vertretene das Handeln des Dritten zwar nicht kennt, es bei pflichtgemäßer Sorgfalt aber hätte erkennen und verhindern können. Eine Duldungsvollmacht liegt vor, wenn der Vertretene es willentlich geschehen lässt, dass ein anderer für ihn wie ein Vertreter auftritt, und der Geschäftspartner dieses Dulden dahin versteht und auch verstehen durfte, dass der vermeintliche Vertreter zu den vorgenommenen Erklärungen bevollmächtigt ist.

Lässt der Vertretene es - in aller Regel in mehreren Fällen und über einen längeren Zeitraum - zu, dass ein anderer ohne eine Bevollmächtigung als sein Vertreter auftritt, so dass Dritte daraus berechtigterweise auf das Bestehen einer Vollmacht schließen können, so muss er sich so behandeln lassen, als habe er ihm Vollmacht erteilt. Voraussetzung dafür ist, dass der Vertretene das Verhalten des nicht von ihm bevollmächtigten Vertreters kannte und nicht dagegen eingeschritten ist, obgleich ihm das möglich gewesen wäre. Die Duldungsvollmacht stellt daher eine "bewusst hingenommene" Anscheinsvollmacht dar, bei der der Vertretene das unbefugte Auftreten des Vertreters zwar nicht kannte, also auch nicht duldete, aber bei pflichtgemäßer Sorgfalt hätte bemerken und verhindern können.

Die Beklagte bekam von der Klägerin die Bestellung vom 23.11.2020 übersandt, in der sie - trotz ihres am 17.11.2020 ausgesprochenen ausdrücklichen Verbots - gemäß dem Lieferschein wieder als Bestellerin aufgeführt war. Dieses Verhalten nahm sie erneut widerspruchslos hin. Die Beklagte hätte den Online-Kauf unschwer stornieren und das Gerät an die Klägerin zurücksenden können. Stattdessen leitete sie das Paket sogar an ihre russischen Hinterleute weiter. Damit duldete sie nicht nur willentlich das Verhalten ihrer russischen Vertragspartner, die wieder in ihrem Namen gehandelt hatten. Sie genehmigte zudem durch schlüssiges Verhalten mit der Weiterleitung des Smartphones das Handeln ihrer russischen Hinterleute. Dies konnte auch als Genehmigung der Vertretung i.S.d. § 177 Abs. 1 BGB betrachtet werden.

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