29.09.2020

Grundsätzliche Pflicht zur Annahme von Euro-Bargeld zur Begleichung von Geldforderungen

Nach Ansicht von Generalanwalt Pitruzzella sieht das Unionsrecht grundsätzlich eine Pflicht vor, bei der Begleichung von Geldforderungen Euro-Bargeld anzunehmen. Die Union und die Mitgliedstaaten dürfen aber in Ausübung anderer Zuständigkeiten als der des Währungsrechts unter bestimmten Bedingungen die Verwendung von Euro-Banknoten als Zahlungsmittel für die Verfolgung von Gründen des öffentlichen Interesses begrenzen.

EuGH, C-422/19 u.a.: Schlussanträge des Generalanwalts vom 29.9.2020
Der Sachverhalt:
Zwei deutsche Staatsbürger, die in Hessen zur Begleichung des Rundfunkbeitrags verpflichtet sind, haben dem Hessischen Rundfunk angeboten, den Beitrag in bar zu bezahlen. Unter Berufung auf seine Rundfunkbeitragssatzung, die für die Zahlung des Beitrags die Möglichkeit der Barzahlung ausschließt, lehnte der Hessische Rundfunk die Zahlungsangebote der beiden Beitragspflichtigen ab und versandte ihre Festsetzungsbescheide.

Die beiden Beitragspflichtigen fochten diese Bescheide an, und der Rechtsstreit kam vor das BVerwG. Dort trugen diese Beitragspflichtigen vor, dass sowohl das nationale Recht (konkret § 14 BBankG) als auch das Unionsrecht eine unbedingte und unbeschränkte Pflicht zur Annahme von Euro-Banknoten als Mittel für die Begleichung von Geldschulden vorsähen. Diese Pflicht könne nur durch vertragliche Vereinbarung zwischen den Parteien oder aufgrund einer bundesgesetzlichen bzw. unionsrechtlichen Ermächtigung eingeschränkt werden. Gründe der Praktikabilität bei Zahlungen von einer großen Zahl von Beitragspflichtigen ("Massenverfahren") könnten den Ausschluss der Bargeldzahlung nicht rechtfertigen.

Nach Ansicht des BVerwG verstößt der in der Beitragssatzung des Hessischen Rundfunks geregelte Ausschluss der Möglichkeit, den Rundfunkbeitrag in bar zu bezahlen, gegen § 14 BBankG, eine höherrangige bundesrechtliche Bestimmung, die vorsieht, dass EuroBanknoten das einzige "unbeschränkte" gesetzliche Zahlungsmittel sind. Es möchte jedoch wissen, ob diese Bestimmung des BBankG mit der ausschließlichen Zuständigkeit der Union für die Währungspolitik in Einklang steht. Ferner möchte es wissen, ob das Unionsrecht nicht ein Verbot für öffentliche Stellen der Mitgliedstaaten enthält, die Erfüllung einer hoheitlich auferlegten Geldleistungspflicht mit Euro-Banknoten abzulehnen, was dazu führen würde, dass die Beitragssatzung des Hessischen Rundfunks gegen das Unionsrechts verstößt. Diese Rechtssache wirft somit neue verfassungsrechtliche Fragen auf, die den Inhalt der ausschließlichen Zuständigkeit der Union für die Währungspolitik und die Auswirkungen des im Unionsrecht vorgesehenen Status der Euro-Banknoten als gesetzliches Zahlungsmittel betreffen.

Sie wirft auch die Frage auf, ob die Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist, nationale Vorschriften zur Beschränkung der Verwendung von Bargeld erlassen können.

Die Gründe:
In seinen heutigen Schlussanträgen stellt Generalanwalt Giovanni Pitruzzella zunächst fest, dass in dem von den Verträgen vorgesehenen System der Zuständigkeiten der Union in den Fällen, in denen der Union für einen bestimmten Bereich eine ausschließliche Zuständigkeit übertragen ist, nur die Union gesetzgeberisch tätig werden und verbindliche Rechtsakte erlassen kann und die Mitgliedstaaten insoweit alle Befugnisse verlieren. Speziell in Bezug auf die Währungspolitik ist der Generalanwalt der Ansicht, dass sich die der Union zugewiesene ausschließliche Zuständigkeit nicht auf die Festlegung und Durchführung einer Währungspolitik in operativer Hinsicht (Geldpolitik im engeren Sinne) beschränkt, sondern auch alle Zuständigkeiten und Befugnisse umfasst, die für die Schaffung und das reibungslose Funktionieren der einheitlichen Währung, des Euro, erforderlich sind. Dies umfasst eine normative Dimension, die die Festlegung und Regelung des Status und der Eigenschaft der einheitlichen Währung und insbesondere der Euro-Banknoten und -Münzen einschließt. Daraus folgt, dass eine von einem Mitgliedstaat, dessen Währung der Euro ist, erlassene Vorschrift des nationalen Rechts, die aufgrund ihres Zieles und Inhalts die den Euro-Banknoten zukommende Eigenschaft eines gesetzlichen Zahlungsmittels regelt, in die ausschließliche Zuständigkeit der Union eingreift und daher mit dem Unionsrecht unvereinbar ist.

Dies vorausgeschickt, stellt der Generalanwalt jedoch klar, dass die ausschließliche Zuständigkeit der Union für die einheitliche Währung nicht so weit geht, dass sie eine allgemeine Zuständigkeit zur Regelung der Modalitäten der Erfüllung privatrechtlicher oder öffentlich-rechtlicher Geldleistungspflichten umfasst, die bei den Mitgliedstaaten verblieben ist. Demzufolge darf ein Mitgliedstaat nationale Rechtsvorschriften erlassen, die aufgrund ihres Zieles und ihres Inhalts keine Regelung der den Euro-Banknoten zukommenden Eigenschaft eines gesetzlichen Zahlungsmittels, sondern eine Regelung der Organisation und Funktionsweise der öffentlichen Verwaltung darstellen, die diese Verwaltung verpflichtet, Barzahlungen der Bürger anzunehmen.

Es ist Sache des BVerwG, das allein für die Bestimmung der genauen Tragweite der nationalen Rechtsvorschriften zuständig ist, zu prüfen, ob § 14 BBankG eine Regelung darstellt, die aufgrund ihres Zieles und Inhalts eine Regelung der den Euro-Banknoten zukommenden Eigenschaft eines gesetzlichen Zahlungsmittels einführt. Nach dem Eindruck des Generalanwalts soll § 14 BBankG den unionsrechtlichen Begriff der den Banknoten zukommenden Eigenschaft eines gesetzlichen Zahlungsmittels ergänzen. Sollte dies der Fall sein, wäre davon auszugehen, dass § 14 BBankG die den Euro-Banknoten zukommende Eigenschaft eines gesetzlichen Zahlungsmittels regelt und damit in die ausschließliche Zuständigkeit der Union für die Währungspolitik eingreift, so dass sie nicht anzuwenden ist.

In Beantwortung einer weiteren Frage des BVerwG stellt der Generalanwalt fest, dass der Gerichtshof mangels einer Legaldefinition des Begriffs der Euro-Banknoten zukommenden Eigenschaft als gesetzliches Zahlungsmittel durch Auslegung festzustellen hat, welche Tragweite dieser Begriff im Unionsrecht hat.

Anhand einer Prüfung der relevanten Auslegungselemente, die das Unionsrecht zur Verfügung stellt, kommt Generalanwalt Pitruzzella zu dem Ergebnis, dass beim gegenwärtigen Stand des Unionsrechts der Begriff der Banknoten zukommenden Eigenschaft als gesetzliches Zahlungsmittel dahin zu verstehen ist, dass er eine grundsätzliche Pflicht des Gläubigers einer Zahlungsverpflichtung beinhaltet, Banknoten anzunehmen, abgesehen von zwei Ausnahmen: zum einen der Fall, in dem die Vertragsparteien in Ausübung ihrer Privatautonomie andere Zahlungsmittel als Bargeld vereinbart haben, und zum anderen der Fall, in dem die Union oder ein Mitgliedstaat, dessen Währung der Euro ist, in Ausübung ihrer eigenen Zuständigkeiten außerhalb der Währungspolitik Rechtsvorschriften erlassen haben, die aufgrund ihres Zieles und Inhalts keine Regelung der Eigenschaft eines gesetzlichen Zahlungsmittels darstellen, sondern für die Verfolgung von Gründen des öffentlichen Interesses Begrenzungen für die Verwendung von Euro-Banknoten als Zahlungsmittel vorsehen. Solche Beschränkungen sind jedoch nur dann mit dem unionsrechtlichen Begriff der Euro-Banknoten zukommenden Eigenschaft als gesetzliches Zahlungsmittel vereinbar, wenn sie nicht de iure oder de facto zur vollständigen Abschaffung der Euro-Banknoten führen, wenn sie aus Gründen des öffentlichen Interesses beschlossen werden und wenn andere rechtliche Mittel für die Begleichung von Geldschulden bestehen. Sie müssen zudem verhältnismäßig sein und daher geeignet sein, das verfolgte Ziel des öffentlichen Interesses zu erreichen, und dürften nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung dieses Zieles erforderlich ist.

Der Generalanwalt stellt ferner fest, dass die Union zwar nicht in allen Fällen ein absolutes Recht auf Barzahlung vorsieht, doch kann der dem Bargeld zuerkannte Wert, gesetzliches Zahlungsmittel zu sein, eine unmittelbare Verbindung zur Ausübung von Grundrechten in den Fällen haben, in denen die Verwendung von Bargeld ein Element sozialer Eingliederung ist. Die Verwendung von Währung in einer anderen Form als der physischen des Bargeldes setze nämlich gegenwärtig die Verwendung grundlegender Finanzdienstleistungen voraus, zu denen eine nicht unbedeutende Zahl von Personen noch keinen Zugang hat. Für diese schutzbedürftigen Personen ist Bargeld die einzige zugängliche Form von Währung und damit das einzige Mittel zur Ausübung ihrer Grundrechte, die mit der Verwendung von Geld verbunden sind. Maßnahmen, die die Verwendung von Bargeld als Zahlungsmittel beschränken, müssen deshalb die Funktion sozialer Eingliederung berücksichtigen, die Bargeld für solche schutzbedürftigen Personen erfüllt, und gewährleisten, dass tatsächlich andere rechtliche Mittel für die Begleichung von Geldschulden bestehen. Es besteht eine Pflicht, Maßnahmen zu ergreifen, die geeignet sind, es schutzbedürftigen Personen ohne Zugang zu grundlegenden Finanzdienstleistungen zu ermöglichen, ihre Verpflichtungen, insbesondere die öffentlich-rechtlicher Art, ohne zusätzliche Belastungen zu erfüllen.

Es ist jedoch Sache des vorlegenden BVerwG, zu prüfen, ob eine nationale Vorschrift wie die Beitragssatzung des Hessischen Rundfunks, die Begrenzungen für Zahlungen in Banknoten vorsieht, mit dem Unionsrecht und mit der den Euro-Banknoten zukommenden Eigenschaft als gesetzliches Zahlungsmittel vereinbar ist. Insoweit stellt der Generalanwalt fest, dass die Maßnahme für die Zahlung des Rundfunkbeitrags offenbar einen absoluten und ausnahmslosen Ausschluss von Euro-Banknoten vorsieht, ohne dass die Funktion sozialer Eingliederung, die Bargeld für die erwähnten schutzbedürftigen Personen erfüllt, berücksichtigt worden ist.

Schließlich lässt sich weder aus der Vorschrift des AEUV, mit der die Eigenschaft eines gesetzlichen Zahlungsmittels zu einem Begriff des Primärrechts gemacht wird (Art. 128 Abs. 1), noch aus einer anderen Unionsrechtsvorschrift ableiten, dass der Verfassungsgesetzgeber der Union beabsichtigt hat, die Möglichkeit der Union auszuschließen, parallel zu Euro-Banknoten und Euro-Münzen anderen, nicht notwendigerweise körperlichen Formen von Währung den Wert eines gesetzlichen Zahlungsmittels zu verleihen, wie z. B. einer digitalen Währung (Central Bank Digital Currency).

Schlussanträge des Generalanwalts in den verbundenen Rechtssachen
  • C-422/19 Johannes Dietrich / Hessischer Rundfunk und
  • C-423/19 Norbert Häring / Hessischer Rundfunk
EuGH PM Nr. 119 vom 29.9.2020
Zurück