Haftpflichtversicherer umfassendem Recht auf Auskunft und Vorlage aller Behandlungsunterlagen gegenüber Krankenkasse des Geschädigten
OLG Celle v. 18.6.2025 - 14 U 16/25
Der Sachverhalt:
Die Klägerin ist gesetzliche Krankenversicherungsträgerin, die Beklagte ist Haftpflichtversicherin. Bei einem Verkehrsunfall am 10.4.2022 wurde die Versicherungsnehmerin der Klägerin, die (inzwischen verstorbene) J.B., auf der Rückbank eines bei der Beklagten versicherten Pkw durch einen Frontalzusammenstoß mit einem weiteren, ebenfalls bei der Beklagten versicherten, Pkw schwer verletzt und mittels Rettungshubschrauber ins Krankenhaus zur stationären Behandlung geflogen. Sie erhielt infolgedessen bis zu ihrem Versterben am 11.7.2022 intensive medizinische Behandlung, deren Behandlungskosten die Klägerin i.H.v. insgesamt rd. 175.000 € übernahm.
In der Folgezeit setzten sich die Parteien über Details der Regulierung dieser Kosten auseinander. Die Klägerin forderte die Beklagte auf, den Haftungseintritt zu erklären. Die Beklagte bestätigte daraufhin, dass sich in der Unfallsache "keine Haftungseinwendungen abzeichneten", und forderte die Klägerin auf, ihr sämtliche Rechnungen, Nachweise und Belege zur Regressaufstellung zur Prüfung der geltend gemachten Aufwendungen zu übermitteln. Hieraufhin übermittelte die Klägerin der Beklagten eine Übersicht der getätigten Aufwendungen und stellte der Beklagten am 2.2.2023 die darauf entfallenden Kosten i.H.v. rd. 175.000 € mit einem Zahlungsziel innerhalb von 30 Tagen in Rechnung. Die Beklagte ließ die eingereichten Nachweise und Belege extern überprüfen und der Klägerin mit Schreiben vom 22.2.2023 mitteilen, noch weitere Dokumentationen über die medizinischen Behandlungsmaßnahmen zu benötigen, um die Notwendigkeit der abgerechneten Maßnahmen für die Beklagte überprüfen zu können. Darin forderte sie weitere Unterlagen in Bezug auf die stationäre Behandlung der Versicherungsnehmerin sowie Leistungsnachweise über die abgerechneten Pflegemaßnahmen.
Am 16.3.2023 teilte die Klägerin der Beklagten ihre Rechtsauffassung mit, nach der die bis zu diesem Zeitpunkt übermittelten und von ihr zur Verfügung gestellten Unterlagen ausreichend seien für eine Schadensregulierung, und forderte die Beklagte abermals zur Zahlung der 175.000 € auf. Die Beklagte leistete in diesem zeitlichen Zusammenhang einen Vorschuss auf die Ansprüche i.H.v. 120.000 €; eine Tilgungsbestimmung traf die Beklagte mit der Vorschusszahlung nicht. Zudem teilte sie mit, daran festzuhalten, dass die Klägerin dazu verpflichtet sei, die von ihr geforderten Nachweise und Belege beizubringen und forderte erneut zur Übersendung auf. Am 26.3.2024 legte die Klägerin weitere Behandlungsunterlagen vor. Mit Schriftsatz vom 27.11.2024 teilte die Beklagte zu den Gerichtsakten mit, die Klägerin habe am 30.10.2024 im Nachgang der mündlichen Verhandlung dem LG in dieser Sache vom selben Tage weitere Unterlagen der Heilbehandlung in Bezug auf die Beatmungsstunden übersandt, sodass die Beklagte nunmehr einen Restbetrag i.H.v. rd. 54.500 € zur Anweisung gebracht und an die Klägerin gezahlt habe. Den Differenzbetrag i.H.v. 140 € macht die Klägerin nicht mehr geltend.
Die Klägerin meint, dass die der Beklagten vorgerichtlich zur Verfügung gestellten Heil- und Behandlungsunterlagen ausreichend gewesen seien, um den Haftungsumfang auf Seiten der Beklagten hinreichend überprüfen zu können. Insbesondere sei die Beklagte pauschal in die Schadensregulierung durch Vorschussleistung eingetreten, ohne ihr gegenüber konkrete Abrechnungspositionen angegriffen zu haben. Nach verschiedenen Klageerweiterungen, Klagerücknahmen und Teil-Erledigungserklärungen streiten die Parteien nur noch über Verzugszinsen aus dem Zeitraum zwischen dem 24.3.2023 und dem 20.11.2024.
Das LG gab der Klage statt. Auf die Berufung der Beklagten wies das OLG die Klage ab.
Die Gründe:
Der Klägerin steht der geltend gemachte Anspruch unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zu.
Der Haftpflichtversicherer kann gem. § 119 Abs. 3 S. 1 VVG von einem Dritten, der Schadensersatzansprüche gegen den Versicherungsnehmer des Haftpflichtversicherers bzw. nach § 115 Abs. 1 VVG unmittelbar gegen den Haftpflichtversicherer geltend machen will, Auskunft verlangen, soweit sie zur Feststellung des Schadensereignisses und der Höhe des Schadens erforderlich ist. Dieser gegen den geschädigten Dritten bestehende Auskunftsanspruch begründet ein Zurückbehaltungsrecht des Haftpflichtversicherers gem. § 273 Abs. 1 BGB gegenüber dem erhobenen Anspruch des Dritten auf Zahlung von Schadensersatz.
Die vom Geschädigten zu erteilende Auskunft soll den Versicherer in die Lage versetzen, eine Entscheidung über den Grund und die Höhe seiner Einstandspflicht zu treffen. Allein die Vorlage automatisiert hergestellter Übersichten genügt nicht. Ein "Grouper"-Auszug ist ein reines EDV-Rechenprogramm und stellt lediglich eine Indiztatsache für das Bestehen der behaupteten Ansprüche dar. Dem Schädiger ist nicht zuzumuten, sich auf eine Plausibilitätsprüfung zu beschränken. Vielmehr muss er die Möglichkeit haben, die behaupteten Verletzungen, die eine stationäre Behandlung und damit die geforderten Behandlungskosten erforderlich machten, konkret nachzuvollziehen.
Entgegen der Annahme der Klägerin rechtfertigen sozialrechtliche Anforderungen an das Abrechnungssystem zwischen Krankenhäusern und gesetzlichen Krankenkassen sowie sozialrechtliche Anforderungen an die Datenübermittlung, Prüfung von Rechnungen und Zahlungspflichten der Krankenkassen keine Abweichung von den zivilrechtlichen Grundsätzen der Darlegungs- und Beweislast nach dem Forderungsübergang gem. § 116 Abs. 1 Satz 1 SGB X. Die vom OLG Naumburg in der auch vom LG zitierten Entscheidung vertretenen anderslautende Rechtsauffassung, wonach für Krankenkassen aufgrund ihrer sozialrechtlichen Bindungen reduzierte Nachweispflichten gelten würden, hat der Prüfung vor dem BGH (VI ZR 252/23) nicht standgehalten; das Urteil des OLG Naumburg wurde insoweit aufgehoben.
Der Klägerin war gem. § 119 Abs. 3 VVG die Vorlage der weitergehenden Abrechnungsunterlagen möglich und billigerweise zuzumuten. Dies folgt nicht zuletzt aus dem Umstand, dass der Klägerin die Vorlage der vollständigen und umfangreichen Unterlagen nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung ohne weiteres möglich war. Demzufolge war die Beklagte erstmals mit der außergerichtlichen Übersendung der weiteren, nunmehr vollständigen Unterlagen (255 Seiten zusätzliche Behandlungsdokumentation) durch die Klägerin mit Schriftsatz vom 30.10.2024 zu einer vollständigen Prüfung der Abrechnung in der Lage. Sie hat daraufhin innerhalb der ihr zustehenden Prüffrist den noch ausstehenden Restbetrag am 21.11.2024 (Zahlungseingang) rechtzeitig ausgeglichen. Ein zur Zinszahlung verpflichtender Verzug der Beklagten ist damit i.S.d. §§ 280 Abs. 2, 286 Abs. 1, 288 Abs. 1 BGB nicht eingetreten.
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Der Klägerin war gem. § 119 Abs. 3 VVG die Vorlage der weitergehenden Abrechnungsunterlagen möglich und billigerweise zuzumuten. Dies folgt nicht zuletzt aus dem Umstand, dass der Klägerin die Vorlage der vollständigen und umfangreichen Unterlagen nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung ohne weiteres möglich war. Demzufolge war die Beklagte erstmals mit der außergerichtlichen Übersendung der weiteren, nunmehr vollständigen Unterlagen (255 Seiten zusätzliche Behandlungsdokumentation) durch die Klägerin mit Schriftsatz vom 30.10.2024 zu einer vollständigen Prüfung der Abrechnung in der Lage. Sie hat daraufhin innerhalb der ihr zustehenden Prüffrist den noch ausstehenden Restbetrag am 21.11.2024 (Zahlungseingang) rechtzeitig ausgeglichen. Ein zur Zinszahlung verpflichtender Verzug der Beklagten ist damit i.S.d. §§ 280 Abs. 2, 286 Abs. 1, 288 Abs. 1 BGB nicht eingetreten.
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