22.01.2024

Haftung des Fahrzeugherstellers wegen unzulässiger Abschalteinrichtung: Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens

Für eine Haftung des Fahrzeugherstellers wegen eines Verstoßes gegen § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV gegenüber dem Käufer eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehenen Fahrzeugs müssen der objektive und der subjektive Tatbestand der Pflichtverletzung - hier: beim Inverkehrbringen des Fahrzeugs - zeitlich zusammenfallen. Für die Frage, ob dem Fahrzeughersteller ein Verschuldensvorwurf gemacht werden kann, kommt es insoweit nur zusätzlich noch auf den Zeitpunkt des Kaufvertragsschlusses an.

BGH v. 11.12.2023 - VIa ZR 340/22
Der Sachverhalt:
Der Kläger, der 2010 einen von der Beklagten hergestellten und mit einem Dieselmotor der Baureihe N47 (Schadstoffklasse Euro 5) ausgerüsteten gebrauchten BMW X1 20d xDrive erwarb, nimmt die Beklagte auf Schadensersatz in Anspruch. Er macht geltend, das Fahrzeug verfüge über mehrere unzulässige Abschalteinrichtungen.

Die auf Erstattung des Kaufpreises nebst Zinsen Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs Klage ist in den Vorinstanzen ohne Erfolg geblieben.

Die Revision des Klägers hat Erfolg und führt zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

Die Gründe:
Es begegnet keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV aus Rechtsgründen abgelehnt hat.

Wie der Senat nach Erlass der Berufungsentscheidung entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers ggü. dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. BGH v. 26.6.2023 - VIa ZR 335/21).

Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung sog. "großen" Schadensersatzes verneint. Es hat jedoch unberücksichtigt gelassen, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann.

Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.

Die angefochtene Entscheidung ist daher aufzuheben, weil sie sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt. Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird der Kläger Gelegenheit haben, einen Differenzschaden darzulegen. Das Berufungsgericht wird sodann nach den näheren Maßgaben des Urteils des Senats vom 26.6.2023 (VIa ZR 335/21) die erforderlichen Feststellungen zu der - bislang lediglich unterstellten - Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung sowie gegebenenfalls zu den weiteren Voraussetzungen und zum Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben.

Mehr zum Thema:

Rechtsprechung:
Zu Voraussetzungen und Berechnung eines Anspruchs auf Ersatz des Differenzschadens im Diesel-Abgasskandal
OLG Bremen vom 20.12.2023 - 1 U 12/22

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