07.07.2023

Haftung wegen unzureichender Erstversorgung nach einem Unfall an Bord

Der EuGH hat sich vorliegend mit der Haftung wegen unzureichender Erstversorgung nach einem Unfall an Bord eines Flugzeugs befasst. Die nach dem Übereinkommen von Montreal vorgesehene verschuldensunabhängige Haftung von Fluggesellschaften erstreckt sich danach auf eine unzureichende medizinische Erstversorgung an Bord.

EuGH v. 6.7.2023 - C-510/21
Der Sachverhalt:
Während eines von der beklagten Austrian Airlines durchgeführten Fluges fiel eine Kanne mit heißem Kaffee von einem Servierwagen und verbrühte den klagenden Passagier. Der Kläger erhielt daraufhin an Bord des Flugzeugs medizinische Erstversorgung. Mit seiner vor den österreichischen Gerichten erhobenen Klage begehrt der Kläger von der Beklagten Schadenersatz und die Feststellung der Haftung für alle künftigen Schäden infolge der Verschlimmerung der Verbrühungen durch die unzureichende medizinische Erstversorgung an Bord.

Die Beklagte macht geltend, die Klage sei abzuweisen, da sie nach Ablauf der Frist von zwei Jahren erhoben worden sei, die nach dem Übereinkommen von Montreal für Schadenersatzklagen betreffend einen Unfall an Bord gelte. Der Kläger vertritt dagegen die Auffassung, das Übereinkommen von Montreal sei nicht anwendbar, da die medizinische Erstversorgung an Bord nicht unter den Begriff "Unfall" im Sinne des Übereinkommens falle. Ihm zufolge ist die im österreichischen Recht vorgesehene Frist von drei Jahren anwendbar und die Klage daher nicht verspätet.

Zwecks Klarstellung, für welche Schäden die Beklagte haftbar gemacht werden kann, hat der mit der Sache befasste österreichische Oberste Gerichtshof das Verfahren ausgesetzt und den EuGH gefragt, ob die unzureichende medizinische Erstversorgung eines Reisenden an Bord eines Flugzeugs, die zu einer Verschlimmerung der durch einen "Unfall" i.S.d. Übereinkommens von Montreal verursachten Körperverletzung geführt hat, als Teil dieses Unfalls anzusehen ist.

Die Gründe:
Der EuGH bejaht diese Frage. Ein Schadenseintritt kann nicht immer auf ein isoliertes Ereignis zurückgeführt werden, wenn dieser Schaden sich als Folge eines Bündels von Ereignissen darstellt, die einander gegenseitig bedingen. Somit ist ein innerlich zusammenhängender Vorgang ohne räumlich-zeitliche Zäsur als ein einheitlicher "Unfall" i.S.d. Übereinkommens von Montreal anzusehen.

Vorliegend besteht in Anbetracht der räumlichen und zeitlichen Kontinuität zwischen dem Umfallen der Kaffeekanne und der medizinischen Erstversorgung des dadurch verletzten Klägers unbestreitbar ein Kausalzusammenhang zwischen diesem Umfallen und der Verschlimmerung der dadurch verursachten Körperverletzung aufgrund der unzureichenden medizinischen Erstversorgung.

Diese Auslegung steht auch im Einklang mit den Zielen des Übereinkommens von Montreal, das eine Regelung der verschuldensunabhängigen Haftung von Fluggesellschaften vorsieht, um den Schutz der Verbraucherinteressen sicherzustellen und zugleich auf einen gerechten Ausgleich mit den Interessen der Fluggesellschaften zu achten. Der Umstand, dass die Fluggesellschaft gegen ihre Sorgfaltspflichten verstoßen hat, vermag diese Feststellungen nicht in Frage zu stellen: Für die Einstufung als "Unfall" genügt es, dass sich das Geschehen, durch das die Körperverletzung eines Reisenden verursacht wurde, an Bord ereignet hat.

Mehr zum Thema:

Aufsatz:
Die Entwicklung des Reiserechts der Luftbeförderung einschließlich der EU-Fluggastrechte-VO im Jahr 202
Charlotte Achilles-Pujol, MDR 2023, 65

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EuGH PM Nr. 116 vom 6.7.2023
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