17.01.2024

Interesse auf Akteneinsicht in Nachlassakten eines verfahrensfremden Dritten

Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach § 23 EGGVG ist der statthafte Rechtsbehelf gegen eine Entscheidung des Nachlassgerichts nach § 13 Abs. 7 FamFG über die Nichtgewährung von Einsicht in die Nachlassakten eines abgeschlossenen Verfahrens für einen am Verfahren nicht beteiligten Dritten. Zum berechtigten Interesse auf Akteneinsicht in Nachlassakten eines verfahrensfremden Dritten nach § 13 Abs. 2 FamFG.

BGH v. 15.11.2023 - IV ZB 6/23
Der Sachverhalt:
Die Parteien streiten über das Recht der Beteiligten zu 1), Einsicht in die Nachlassakten betreffend ihren im Jahr 2021 verstorbenen Kommanditisten Ulrich C zu nehmen. In § 18 Abs. 2 des Gesellschaftsvertrags der Beteiligten zu 1) ist geregelt, dass Gesellschafter durch letztwillige Verfügungen über ihre Gesellschaftsbeteiligung verfügen können, aber stets nur einen Nachfolger in ihre Gesellschafterstellung benennen dürfen. Der Beteiligten zu 2) wurde unter dem 20.1.2022 antragsgemäß ein Erbschein erteilt, der sie als Alleinerbin ihres Ehemanns, Ulrich C ausweist.

Die Beteiligte zu 1) hat mit Schreiben vom 10.2.2022 beantragt, ihr Einsicht in die Nachlassakten zu gewähren. Zur Begründung hat sie ausgeführt, ihr sei nach dem Tod ihres Kommanditisten mitgeteilt worden, die Beteiligte zu 2) habe die Erbschaft nach ihrem Ehemann ausgeschlagen. Von der Beteiligten zu 2) habe sie ferner erfahren, die Ausschlagungserklärung sei angefochten worden. Die Beteiligte zu 1) wolle prüfen, inwieweit sich die Ausschlagung und die Anfechtung der Ausschlagungserklärung auf die Erbenstellung ausgewirkt hätten.

Das Nachlassgericht hat das Akteneinsichtsgesuch der Beteiligten zu 1) zurückgewiesen und ein berechtigtes Interesse i.S.v. § 13 Abs. 2 FamFG der Beteiligten zu 1) an der beantragten Akteneinsicht verneint, denn sie habe schon aufgrund des übersandten Erbscheins ausreichend Kenntnis von der Erbfolge. Im Rahmen des Erbscheinverfahrens sei inzident über die Erbausschlagung entschieden worden. Gegen diese Entscheidung hat die Beteiligte zu 1) Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach § 23 EGGVG gestellt, hilfsweise Beschwerde nach §§ 58 ff. FamFG eingelegt.

Im Verfahren nach §§ 23 ff. EGGVG hat das OLG der Beteiligten zu 1) Wiedereinsetzung in die Antragsfrist des § 26 Abs. 1 EGGVG gewährt und das Nachlassgericht angewiesen, den Antrag der Beteiligten zu 1) auf Einsicht in die Nachlassakten unter Beachtung der Rechtsauffassung des OLG neu zu bescheiden. Die hiergegen gerichtete die Rechtsbeschwerde der Beteiligten zu 2) hatte vor dem BGH keinen Erfolg.

Die Gründe:
Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach § 23 EGGVG ist der statthafte Rechtsbehelf gegen die von dem Nachlassgericht nach § 13 Abs. 2 und Abs. 7 FamFG getroffene Entscheidung über die Nichtgewährung der Einsicht in die Nachlassakten für Dritte - hier die Beteiligte zu 1) - bei einem abgeschlossenen Verfahren. Jedenfalls in einem solchen Fall handelt es sich bei der Entscheidung über das Akteneinsichtsgesuch um einen Justizverwaltungsakt, über den im Verfahren nach §§ 23 ff. EGGVG zu entscheiden ist.

Es ist allerdings umstritten, ob die nach § 13 Abs. 7 FamFG zu treffende Entscheidung über ein Akteneinsichtsgesuch eines nicht am Verfahren beteiligten Dritten als im Verfahren nach § 23 EGGVG zu überprüfender Justizverwaltungsakt oder als im Beschwerdeverfahren nach §§ 58 ff. FamFG zu überprüfende Endentscheidung zu qualifizieren ist. Vielfach wird angenommen, dass es sich bei der Entscheidung nach § 13 Abs. 7 FamFG um eine im Beschwerdeverfahren zu überprüfende Endentscheidung i.S.v. § 38 Abs. 1 Satz 1 FamFG handelt, gegen welche die Beschwerde nach § 58 Abs. 1 FamFG statthaft ist. Nach anderer Ansicht handelt es sich bei der Entscheidung über das Akteneinsichtsgesuch eines Dritten nach § 13 Abs. 2 und Abs. 7 FamFG hingegen um einen im Verfahren nach § 23 EGGVG zu überprüfenden Justizverwaltungsakt. Teilweise wird dies jedenfalls dann angenommen, wenn das Verfahren beendet ist. Die letztgenannte Auffassung trifft zu. Jedenfalls in einem Fall, in dem das Nachlassverfahren abgeschlossen ist, ist das Einsichtsgesuch eines Dritten in die Nachlassakten als Justizverwaltungsakt anzusehen.

Das OLG hat zu Recht ein berechtigtes Interesse der Beteiligten zu 1) als Dritte auf Gewährung von Einsicht in die Nachlassakten gem. § 13 Abs. 2 FamFG angenommen. Ein berechtigtes Interesse muss sich nicht auf ein bereits vorhandenes Recht stützen, es geht über ein rechtliches Interesse hinaus und ist anzunehmen, wenn ein vernünftiges, durch die Sachlage gerechtfertigtes Interesse besteht, das auch tatsächlicher, etwa wirtschaftlicher oder wissenschaftlicher Art sein kann und im allgemeinen dann vorliegen wird, wenn ein künftiges Verhalten des Antragstellers durch Kenntnis vom Akteninhalt beeinflusst werden kann. Es wird nicht durch den Gegenstand des Verfahrens, dessen Akten eingesehen werden sollen, begrenzt. Ein berechtigtes Interesse liegt regelmäßig vor, wenn Rechte des Antragstellers durch den Streitstoff der Akten auch nur mittelbar berührt werden können und Kenntnis vom Inhalt der Akten für ihn zur Verfolgung von Rechten oder zur Abwehr von Ansprüchen erforderlich ist.

Die Entscheidung über die Akteneinsicht steht im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts. Die Ermessensausübung hat aufgrund einer Abwägung zu erfolgen, der eine mehrstufige Prüfung vorauszugehen hat. Zunächst ist festzustellen, ob der Dritte ein berechtigtes Interesse dargelegt hat. Erforderlich ist im nächsten Schritt eine Glaubhaftmachung. Weiter dürfen keine schutzwürdigen Interessen eines Beteiligten oder Dritten entgegenstehen. Sodann sind ggf. die unterschiedlichen Interessen abzuwägen. Danach hat das OLG hier rechtsfehlerfrei angenommen, die Beteiligte zu 1) habe für die Beurteilung, wer nach dem Tod des bisherigen Kommanditisten dessen Rechtsnachfolger geworden ist, ein berechtigtes Interesse auf Einsicht in die Nachlassakten glaubhaft dargelegt, weil die Einsichtnahme in die Nachlassakten ihr eine eigenständige Nachprüfung ermöglichen könne, wer an Stelle des verstorbenen Kommanditisten in ihre Gesellschaft eingetreten ist.

Nach dem Vortrag der Beteiligten zu 1) ergaben sich Zweifel an der Erbenstellung der Beteiligten zu 2), weil diese die Erbschaft nach ihrem Ehemann zunächst ausgeschlagen und in der Folge dann die Ausschlagung angefochten habe. Diese von der Beteiligten zu 1) vorgetragene Sachlage kann ihre Rechte berühren, auch wenn die Beteiligte zu 2) in der Folge einen Erbschein erhalten hat, der sie als Erbin ausweist. Für die Beteiligte zu 1) kann es gleichwohl u.a. von Interesse sein zu erfahren, ob für den Fall, dass die Beteiligte zu 2) nicht an die Stelle des Erblassers treten sollte, weitere Nachfolger benannt sind. Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde steht die in § 2365 BGB normierte Vermutung der Richtigkeit des Erbscheins der Annahme des OLG, die Beteiligte zu 1) habe ein berechtigtes Interesse an einer Einsicht in die Nachlassakten dargelegt, nicht entgegen.

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Ahn-Roth in Prütting/Helms, FamFG, Kommentar, 6. Aufl. 2023
6. Aufl./Lfg. 09.2022

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