28.05.2025

Ist eine Kündigungserklärung gegenüber verschollenem Mitmieter zwingend erforderlich?

Indem sich die Mieterin auf die nur auf dem Papier bestehende, seit mehreren Jahrzehnten nicht mehr gelebte und schutzwürdige Belange nicht mehr tangierende, folglich rein formale Rechtsposition - dem einst gemeinsam eingegangenen Mietverhältnis - beruft, verhält sie sich treuwidrig. Die Einschätzung, ob dies so ist, unterliegt der tatrichterlichen Würdigung.

LG Darmstadt v. 29.4.2025, 30 S 59/25
Der Sachverhalt:
Die Kläger hatten ein vermietetes abbruchreifes Einfamilienhaus erworben. Sie planten den Abriss und einen Neubau zur anschließenden Selbstnutzung. Mit dieser Begründung kündigten sie nach Eigentumsübertragung das im Jahr 1981 mit einem Ehepaar geschlossene Mietverhältnis. Die Kündigung richtete sich ausschließlich gegen die beklagte Mieterin. Der unbekannt verzogene und seit geraumer Zeit von der inzwischen neuverheirateten Beklagten geschiedene Ehemann bewohnt das Haus seit Mitte der 1980er Jahre nicht mehr.

Die Kläger forderten die Beklagte und ihren neuen Mann gerichtlich zur Räumung des Hauses auf. Die Beklagten waren der Ansicht, die Kündigung sei unwirksam gewesen, weil sie nicht auch gegenüber dem Ex-Mann der Beklagten ausgesprochen worden war.

Das AG gab der Klage statt. So sei es ausreichend gewesen, dass die Kläger die Kündigung nur gegenüber der Beklagten ausgesprochen hatten. Das Mietverhältnis mit dem Ex-Ehemann der Beklagten sei infolge seines bereits vor ca. 40 Jahren erfolgten Auszugs konkludent beendet worden.

Das LG bestätigte die Entscheidung im Berufungsverfahren.

Die Gründe:
Die Kläger haben gegen die Beklagten einen Räumungsanspruch.

Unerheblich war, ob das Mietverhältnis mit dem Ex-Mann konkludent beendet ist, denn die Beklagte konnte sich nicht auf die Unwirksamkeit der Kündigung berufen. Indem sie sich auf die nur auf dem Papier bestehende, seit mehreren Jahrzehnten nicht mehr gelebte und schutzwürdige Belange nicht mehr tangierende, folglich rein formale Rechtsposition - dem einst gemeinsam eingegangenen Mietverhältnis - berufen hatte, hat sie sich treuwidrig verhalten.

Es hängt es von den besonderen Umständen des jeweiligen Einzelfalls ab und entzieht sich einer allgemeinen Betrachtung, ob ein Verhalten als treuwidrig oder rechtsmissbräuchlich (§ 242 BGB) zu bewerten ist. Die Einschätzung, ob sich der beklagte Mieter rechtsmissbräuchlich auf eine nur auf dem Papier bestehende, seit Jahren nicht mehr gelebte und keine schutzwürdigen Interessen tangierende, formale Rechtsposition beruft, unterliegt der tatrichterlichen Würdigung (BGH v. 14.9.2010 -- VIII ZR 83/10).

Der Vortrag der Beklagten, sie habe die Entlassung ihres Ex-Mannes aus dem Mietverhältnis nicht gewollt, da sie gemeinsam mit ihm für mögliche Ansprüche aus dem Mietverhältnis haften wolle, war angesichts des Zeitablaufs seit dem Auszug des Ex-Mannes und des Aufbaus der neuen Existenz mit ihrem aktuellen Gatten realitätsfern und stellte eine reine Schutzbehauptung dar. Nicht zuletzt aufgrund des nicht mehr bestehenden Kontakts zwischen den ehemaligen Eheleuten war auch nicht erkennbar, dass der Ex-Mann ein schützenswertes Interesse an der Fortsetzung des vor knapp 40 Jahren von ihm durch Auszug faktisch beendeten Mietverhältnisses hat.

Mehr zum Thema:

Beratermodul Mietrecht und WEG-Recht
Stets topaktuell informiert durch die monatlichen Ausgaben des MietRB und den wichtigen Großkommentaren. Neu: Otto Schmidt Answers optional dazu buchen und die KI 4 Wochen gratis nutzen! Mit Otto Schmidt Answers haben Sie die Möglichkeit, gezielte Fragen zu mietrechtlichen Themen zu stellen. Sie erhalten punktgenaue Antworten und direkte Verweise auf die hochwertigen Quellen aus diesem Beratermodul.
4 Wochen gratis nutzen!
LG Darmstadt