20.05.2025

Kann der Rechtsanwalt der Verpflichtung zur Ablieferung eines Testaments die Pflicht zur Verschwiegenheit entgegenhalten?

Die Ablieferungspflicht des § 2259 Abs. 1 BGB umfasst auch die Seiten eines Abschiedsbriefs, dessen weitere dem Nachlassgericht bereits vorliegende Seiten als Testament in Frage kommen. Dies gilt auch dann, wenn deren Besitzer erklärt, dass diese keine erbrechtlich relevanten, sondern nur vom Erblasser ausdrücklich als vertraulich gekennzeichnete persönliche Ausführungen enthielten. Handelt es sich bei dem ablieferungspflichtigen Besitzer um einen Rechtsanwalt, kann dieser die Ablieferung nicht mit der Begründung verweigern, das Schriftstück sei ihm von seinem Mandanten mit der ausdrücklichen Anweisung übergeben worden, es vertraulich zu behandeln. Denn ein Erblasser kann die Eröffnung eines Testaments nach § 2263 BGB nicht wirksam ausschließen.

OLG Frankfurt v. 15.1.2025 - 20 W 220/22
Der Sachverhalt:
Der Beschwerdeführer ist Rechtsanwalt. Er wendet sich gegen einen Beschluss des Nachlassgerichts, mit welchem dieses angeordnet hat, dass er die in seinem Besitz befindlichen Seiten 1 bis 4 eines Abschiedsbriefs des Erblassers im Original an das Nachlassgericht abzuliefern hat.

Das Nachlassgericht war der Ansicht, dass anhand des bereits vorliegenden Teils des Briefs (ab Seite 5) nicht eindeutig festgestellt werden könne, ob der vorherige Teil nicht auch Verfügungen von Todes wegen enthalte. Die anwaltliche Versicherung, dass solches nicht der Fall sei, reiche nicht aus, weil sich das Nachlassgericht davon selbst zu überzeugen habe.

Das OLG hat die Beschwerde des Anwalts zurückgewiesen. Die Entscheidung ist nicht anfechtbar.

Die Gründe:
Der Beschwerdeführer ist aus § 2259 Abs. 1 BGB zur Ablieferung der in seinem unmittelbaren Besitz befindlichen Seiten 1 bis 4 des Abschiedsbriefs des Erblassers verpflichtet. Diese Schriftstücke stellen nämlich ein ablieferungspflichtiges Testament im Sinne der genannten Vorschrift dar und der Beschwerdeführer kann der Ablieferungspflicht auch nicht seine Verpflichtung zur Berufsverschwiegenheit als Rechtsanwalt entgegenhalten.

Ablieferungspflichtig ist nicht nur der bereits vorgelegte Teil des Abschiedsbriefs, der ausweislich der Ausführungen des Erblassers nicht mehr vertraulich sein sollte und seine genannten Erklärungen mit erbrechtlichem Bezug enthält. Die Ablieferungspflicht umfasst vielmehr auch die ersten vier Seiten des Briefs, der insgesamt ein Testament im Sinne des § 2259 Abs. 1 BGB darstellt und damit vollständig in Urschrift abzuliefern ist.

Denn Schriftstücke, die sowohl erbrechtliche als auch sonstige private Erklärungen enthalten, sind vollständig in Urschrift bei dem Nachlassgericht abzuliefern. Dies gilt auch für eine auf mehreren nicht physisch verbundenen Blättern niedergeschriebene zusammenhängende Erklärung.

Weil eine auf physisch nicht verbundenen Blättern errichtete, aber aus anderen Merkmalen als zusammenhängend aufzufassende Erklärung insgesamt ein Testament darstellen kann, kommt es auch nicht darauf an, ob einzelne Blätter ausschließlich private Erklärungen ohne erbrechtlichen Bezug enthalten.

Daran, dass alle Seiten des Abschiedsbriefs Gegenstand der Ablieferungspflicht sind, ändert sich auch nichts dadurch, dass es sich nach den dortigen Ausführungen des Erblassers erst ab Seite 5 um einen nicht vertraulichen Teil handeln sollte, im Umkehrschluss demnach die vorhergehenden vier Seiten vertraulich sein sollten.


Die Ablieferungspflicht nach § 2259 Abs. 1 BGB trifft den Beschwerdeführer als unmittelbaren Besitzer der Schriftstücke. Der Beschwerdeführer kann dem nicht entgegenhalten, dass er als Rechtsanwalt zur Berufsverschwiegenheit verpflichtet sei und ihm die fraglichen Blätter von dem Erblasser unter ausdrücklicher Bezugnahme auf die Schweigepflicht als dessen Verteidiger überlassen worden seien.

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