Kann eine gemeinsame Verpflichtung eine gesamtschuldnerische Haftung begründen?
AG Hannover v. 18.6.2025 - 480 C 7761/24
Der Sachverhalt:
Die Klägerin ist eine Gemeinschaft der Wohnungs- und Teileigentümer in Hannover. Die Beklagte ist Beteiligte der Klägerin mit einer Gewerbeeinheit. In § 18 Abs. 1 der Gemeinschaftsordnung ist u.a. eine Verteilung der Kosten für Instandhaltung und Instandsetzung sowie für die Verwaltung des gemeinschaftlichen Eigentums festgelegt. Einige Wohnungseinheiten sind demnach von den Kosten und Lasten freigestellt.
Die Wohnungs- und Teileigentümer hatten in einer Versammlung am 15.1.2020 mehrheitlich den Beschluss gefasst, einen beim AG Hannover protokollierten Vergleich anzunehmen. Der Beschluss ist in Bestandskraft erwachsen, ebenso ein gerichtlicher Vergleich vom 21.2.2021. Dieser enthält u.a. die Regelung einer weiteren Sonderumlage für jeweils abgestimmte erforderliche Einzelmaßnahmen, die wiederum von der Raumeigentümern zu tragen ist, während die Wohnungseigentümer freigestellt sind. Die Höhe der Sonderumlage richte sich nach einem Verteilungsschlüssel.
Aufgrund des gerichtlichen Vergleichs hat der Verwaltungsbeirat am 15.9.2022 in seiner Beiratssitzung eine neue Mittelanforderung beschlossen, und zwar über den Betrag von 4,1 Mio. €. Die P. GmbH, eine weitere Miteigentümerin (Gewerbe), war zur Zahlung eines anteiligen Betrages i.H.v. 3.954.643 € verpflichtet worden. Sie hat jedoch keine Zahlung geleistet. Das Insolvenzverfahren gegen sie ist eröffnet.
Am 24.5.2024 wurde die Beklagte aufgefordert, als gesamtschuldnerisch Haftende den offenen Betrag bis zum 5.6.2024 zu zahlen. Die Klägerin behauptete, die Beklagte hafte aus dem Vergleich als Gesamtschuldnerin. Da eine Gesamtschuld durch Gesetz oder durch vertragliche Vereinbarung entstehen kann, sei im Falle einer vertraglichen Regelung durch Auslegung zu ermitteln, ob eine Gesamtschuld vorliege. § 427 BGB sehe vor, im Zweifelsfall von der Annahme einer Gesamtschuld bei einer gemeinschaftlichen vertraglichen Verpflichtung auszugehen. Im Hinblick auf die "ausgefallene P. GmbH" sei die Beklagte in Anspruch zu nehmen.
Das AG hat die Klage abgewiesen.
Die Gründe:
Eine gesamtschuldnerische Haftung i.S.d. § 421 BGB liegt nur vor, wenn sich dies aus dem Gesetz oder aus ausdrücklicher Vereinbarung ergibt. Dies ist im Verhältnis der Wohnungseigentümer untereinander nicht ohne Weiteres anzunehmen.
Nach ständiger BGH-Rechtsprechung ist bei Auslegung von Teilungserklärungen und Gemeinschaftsordnungen vorrangig auf Wortlaut und systematischen Zusammenhang abzustellen. Die Formulierung in § 18 Abs. 1 der Gemeinschaftsordnung, wonach die Kosten "von der Gesamtheit der Raumeigentümer" zu tragen sind, beschreibt keine gesamtschuldnerische Außenhaftung, sondern stellt eine interne Lastenverteilung im Verhältnis zu den Wohnungseigentümern dar. Gegen die Annahme einer Gesamtschuld sprach zudem, dass in der Gemeinschaftsordnung ein konkreter Verteilungsschlüssel genannt wird. Der BGH hat klargestellt, dass bei einer individuell bezifferten Kostenverteilung (etwa nach Miteigentumsanteilen) regelmäßig keine gesamtschuldnerische Haftung, sondern eine anteilige Verpflichtung vorliegt (vgl. BGH, Urt. V. 28.9.2012, V ZR 251/11).
Auch der Begriff "Gesamtheit" rechtfertigte hier keine andere Auslegung. Der Begriff beschreibt lediglich die Gruppe der Verpflichteten und bedeutet nicht "Gesamtschuldnerschaft" im technischen Sinn. Wäre eine solche Haftung gewollt gewesen, hätte dies klar und eindeutig formuliert werden müssen. Zudem begründete auch der protokollierte Vergleich vom 21.2.2021 keine gesamtschuldnerische Haftung der Beklagten. Zwar verpflichtete sich die Gruppe der Gewerbeeigentümer zur Tragung einer Sonderumlage, allerdings unter Verweis auf denselben differenzierenden Verteilungsschlüssel, wie er bereits in der Gemeinschaftsordnung genannt ist.
Eine gesamtschuldnerische Haftung setzt eine eindeutige Vereinbarung voraus. Allein die gemeinsame Verpflichtung mehrerer Eigentümer in einem Vergleich führt noch nicht automatisch zu § 427 BGB. Vielmehr ist nach BGH-Rechtsprechung im Zweifel nur von einer anteiligen Verpflichtung auszugehen, wenn - wie hier - eine interne Umlage nach einem Schlüssel geregelt ist (KG, Urt. v. 12.2.2008, 27 U 36/09 auch schon im Hinblick auf die Teilrechtsfähigkeit des Verbandes).
Die Voraussetzungen des § 427 BGB lagen hier nicht vor. Die Vorschrift greift nur ein, wenn bereits eine Gesamtschuld im Außenverhältnis vorliegt. Sie regelt dann den Ausgleich im Innenverhältnis. Hier fehlte es aber bereits an der Grundlage einer Gesamtschuld nach § 421 BGB. Ohne eine solche kann § 427 BGB keine Anwendung finden. Dass sich mehrere Miteigentümer in einem Vergleich zu einer Zahlungspflicht verpflichten, ändert daran nichts, solange eine anteilige Haftung gewollt ist, was hier durch die Bezugnahme auf den Verteilungsschlüssel ausdrücklich der Fall war.
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Die Klägerin ist eine Gemeinschaft der Wohnungs- und Teileigentümer in Hannover. Die Beklagte ist Beteiligte der Klägerin mit einer Gewerbeeinheit. In § 18 Abs. 1 der Gemeinschaftsordnung ist u.a. eine Verteilung der Kosten für Instandhaltung und Instandsetzung sowie für die Verwaltung des gemeinschaftlichen Eigentums festgelegt. Einige Wohnungseinheiten sind demnach von den Kosten und Lasten freigestellt.
Die Wohnungs- und Teileigentümer hatten in einer Versammlung am 15.1.2020 mehrheitlich den Beschluss gefasst, einen beim AG Hannover protokollierten Vergleich anzunehmen. Der Beschluss ist in Bestandskraft erwachsen, ebenso ein gerichtlicher Vergleich vom 21.2.2021. Dieser enthält u.a. die Regelung einer weiteren Sonderumlage für jeweils abgestimmte erforderliche Einzelmaßnahmen, die wiederum von der Raumeigentümern zu tragen ist, während die Wohnungseigentümer freigestellt sind. Die Höhe der Sonderumlage richte sich nach einem Verteilungsschlüssel.
Aufgrund des gerichtlichen Vergleichs hat der Verwaltungsbeirat am 15.9.2022 in seiner Beiratssitzung eine neue Mittelanforderung beschlossen, und zwar über den Betrag von 4,1 Mio. €. Die P. GmbH, eine weitere Miteigentümerin (Gewerbe), war zur Zahlung eines anteiligen Betrages i.H.v. 3.954.643 € verpflichtet worden. Sie hat jedoch keine Zahlung geleistet. Das Insolvenzverfahren gegen sie ist eröffnet.
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Das AG hat die Klage abgewiesen.
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Nach ständiger BGH-Rechtsprechung ist bei Auslegung von Teilungserklärungen und Gemeinschaftsordnungen vorrangig auf Wortlaut und systematischen Zusammenhang abzustellen. Die Formulierung in § 18 Abs. 1 der Gemeinschaftsordnung, wonach die Kosten "von der Gesamtheit der Raumeigentümer" zu tragen sind, beschreibt keine gesamtschuldnerische Außenhaftung, sondern stellt eine interne Lastenverteilung im Verhältnis zu den Wohnungseigentümern dar. Gegen die Annahme einer Gesamtschuld sprach zudem, dass in der Gemeinschaftsordnung ein konkreter Verteilungsschlüssel genannt wird. Der BGH hat klargestellt, dass bei einer individuell bezifferten Kostenverteilung (etwa nach Miteigentumsanteilen) regelmäßig keine gesamtschuldnerische Haftung, sondern eine anteilige Verpflichtung vorliegt (vgl. BGH, Urt. V. 28.9.2012, V ZR 251/11).
Auch der Begriff "Gesamtheit" rechtfertigte hier keine andere Auslegung. Der Begriff beschreibt lediglich die Gruppe der Verpflichteten und bedeutet nicht "Gesamtschuldnerschaft" im technischen Sinn. Wäre eine solche Haftung gewollt gewesen, hätte dies klar und eindeutig formuliert werden müssen. Zudem begründete auch der protokollierte Vergleich vom 21.2.2021 keine gesamtschuldnerische Haftung der Beklagten. Zwar verpflichtete sich die Gruppe der Gewerbeeigentümer zur Tragung einer Sonderumlage, allerdings unter Verweis auf denselben differenzierenden Verteilungsschlüssel, wie er bereits in der Gemeinschaftsordnung genannt ist.
Eine gesamtschuldnerische Haftung setzt eine eindeutige Vereinbarung voraus. Allein die gemeinsame Verpflichtung mehrerer Eigentümer in einem Vergleich führt noch nicht automatisch zu § 427 BGB. Vielmehr ist nach BGH-Rechtsprechung im Zweifel nur von einer anteiligen Verpflichtung auszugehen, wenn - wie hier - eine interne Umlage nach einem Schlüssel geregelt ist (KG, Urt. v. 12.2.2008, 27 U 36/09 auch schon im Hinblick auf die Teilrechtsfähigkeit des Verbandes).
Die Voraussetzungen des § 427 BGB lagen hier nicht vor. Die Vorschrift greift nur ein, wenn bereits eine Gesamtschuld im Außenverhältnis vorliegt. Sie regelt dann den Ausgleich im Innenverhältnis. Hier fehlte es aber bereits an der Grundlage einer Gesamtschuld nach § 421 BGB. Ohne eine solche kann § 427 BGB keine Anwendung finden. Dass sich mehrere Miteigentümer in einem Vergleich zu einer Zahlungspflicht verpflichten, ändert daran nichts, solange eine anteilige Haftung gewollt ist, was hier durch die Bezugnahme auf den Verteilungsschlüssel ausdrücklich der Fall war.
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