14.11.2025

Kein Schmerzensgeld wegen abgetrennter Hand durch Hieb mit Machete bei vorherigem vermeintlichem Angriff mit Schusswaffe

Ein Geschädigter kann nach der Abtrennung seiner Hand durch einen Dritten mittels einer Machte kein Schmerzensgeld verlangen, wenn er zuvor bei dem Dritten den Eindruck hervorgerufen hat, er werde in lebensbedrohlicher Weise von ihm angegriffen (hier: durch drei Schüsse mit einer Schreckschusspistole) und müsse sich daher verteidigen. Der Dritte unterliegt in diesem Fall einem unvermeidbaren Erlaubnistatbestandsirrtum, der das Verschulden entfallen lässt.

LG Koblenz v. 3.9.2025 - 10 O 368/23
Der Sachverhalt:
Der Kläger feierte mit Freunden auf dem Gelände einer Grillhütte in der Nähe eine Geburtstagsfeier, bei der er Alkohol zu sich nahm. In der Dämmerung befuhr er mit seinem Pkw einen Wirtschaftsweg von der Grillhütte in den Wald hinein. Nach rd. 400 Metern führte der Kläger unter Schwierigkeiten ein Wendemanöver durch. In diesem Bereich grenzt ein Freizeitgrundstück der Familie des Beklagten an den Wirtschaftsweg. Der Beklagte war in diesem Moment dabei, mit einer Machete Holz für ein Grillfeuer zu zerschlagen. Der Beklagte wurde auf den Kläger mit seinem Fahrzeug aufmerksam, da dieses einen platten Reifen hatte und bewegte sich auf dieses zu. Er wollte dem Kläger seine Hilfe anbieten und nachschauen, ob alles in Ordnung sei. 

Der Kläger wiederum nahm dieses Verhalten aus objektiv nicht nachvollziehbaren Gründen als aggressiv war, holte aus seinem Handschuhfach seine Schreckschusspistole heraus, lehnte sich aus der geöffneten Fahrertüre hinaus und schoss in schneller Folge dreimal nach hinten in Richtung des Beklagten. Der Beklagte warf sich daraufhin zu Boden und ging am Fahrzeugheck des klägerischen Fahrzeugs in Deckung. Sodann nährten sich die Zeugin X und der Zeuge Y mit ihrem Auto dem Geschehen und hielten vor der Front des klägerischen Fahrzeugs an. Als der Zeuge Y aus dem Fahrzeug ausstieg, stieg auch der Kläger aus dem Wagen und ging zum Heck seines Fahrzeugs. Der Beklagte bemerkte, dass der Kläger näher kam und ging davon aus, dass der Kläger möglicherweise noch weitere Schüsse auf ihn abgeben würde bzw. sich ihm in feindlicher Absicht nähern könnte. Daraufhin schlug er mehrmals in Richtung des Klägers mit der noch in seiner Hand befindlichen Machete. Dabei verletzte der Beklagte den Kläger mehrfach im Gesicht und schlug ihm letztlich die linke Hand ab. In einer Operation konnte die linke Hand des Klägers wieder angenäht werden.

Der Kläger beantragte u.a. den Beklagten zu verurteilen, eine angemessene Schmerzensgeldentschädigung, welche ausdrücklich in das Ermessen des Gerichts gestellt wurde, für den Fall der Säumnis jedoch einen Betrag i.H.v. 100.000 € nebst Zinsen nicht unterschreiten sollte, zu zahlen. Der Beklagte beantragte Klageabweisung.

Das LG wies die Klage ab. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Es ist Berufung zum OLG möglich.

Die Gründe:
Der Kläger hat keine Ansprüche gegen den Beklagten aus § 823 Abs. 1 und Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 223, 224 Abs. 1 Nr. 2, 226 StGB. Der Beklagte befand sich bei seiner Handlung in einem Erlaubnistatbestandsirrtum, der für ihn aufgrund der konkreten Gesamtumstände des Falles auch nicht vermeidbar gewesen ist.

Durch seine Handlung gegenüber dem Kläger, hat sich der Beklagte zwar grundsätzlich schadensersatzpflichtig nach § 823 BGB gemacht. Sein Verhalten war auch nicht nach § 227 BGB gerechtfertigt, da es sich um keine objektive Notwehrlage gehandelt hat. Der Beklagte ist vielmehr irrig von einem Sachverhalt ausgegangen, bei dessen Vorliegen die Abwehr des Angriffs als Notwehr gerechtfertigt wäre. Bei dieser sog. Putativnotwehr befand sich der Beklagte in einem Erlaubnistatbestandsirrtum. Die irrige Annahme der Notwehrvoraussetzungen war für den Beklagten in der konkreten Situation allerdings unvermeidbar. Er handelte daher ohne Verschulden, weshalb ein Anspruch nach § 823 BGB letztlich nicht besteht. 

Ein Verteidiger befindet sich dann in einem Erlaubnistatbestandsirrtum, wenn er glaubt, dass ein tatsächlich nicht vorliegender Angriff gegeben sei, oder annimmt, der Angriff sei rechtswidrig oder seine Verteidigung sei geeignet, erforderlich oder geboten. Das kann zum Beispiel der Fall sein, wenn der Verteidiger irrig glaubt, einem Angriff nicht ausweichen zu können bzw. ihm ein milderes als das angewendete Abwehrmittel nicht zur Verfügung steht. Für den Beklagten war hier nicht erkennbar, dass es sich bei der Waffe des Klägers um eine Schreckschusswaffe gehandelt hat. Aus seiner Sicht wurde auf ihn dreimal mit einer Schusswaffe geschossen. Er wähnte sich daher unter scharfen Beschuss und ist dadurch nachvollziehbar in eine gewisse Paniksituation geraten. Der Beklagte ging daher in dieser konkreten Situation von einem gegenwärtigen, mithin noch andauernden rechtswidrigen Angriff des Klägers gegen sich aus. 

Seine Handlung mit der Machete stellte aus seiner Sicht die erforderliche, geeignete und gebotene Verteidigung gegen diesen vermeintlichen Angriff mit einer scharfen Schusswaffe dar. Der Beklagte musste realistischerweise befürchten, dass, nachdem bereits dreimal auf ihn geschossen worden war, der Kläger auch aus nächster Nähe auf ihn schießen würde, wenn er ihn am Fahrzeugheck erreicht hätte und dort entdecken würde. Da eine Flucht als einzige denkbare Handlungsalternative, dazu geführt hätte, dass der Beklagte bei Benutzung einer Schusswaffe durch den Kläger für diesen ein durchaus leicht erkennbares Ziel gewesen wäre, wenn er seine Deckung insoweit verlassen hätte oder hier vom Kläger entdeckt worden wäre, war daher aus Sicht des Beklagten der Versuch des Wegschlagens der Waffe das aus seiner Sicht mildeste, ihm zur Verfügung stehende Mittel, um zu versuchen, sich gegen den vermeintlichen Angriff des Klägers zur Wehr zu setzen.

Ein Schadensersatzanspruch aus unerlaubter Handlung setzt gem. § 823 BGB ein Verschulden des Verteidigers voraus. Eine Haftung besteht nur dann, wenn gerade in Bezug auf die Überschreitung der Notwehrgrenzen bzw. die irrige Annahme der Notwehrvoraussetzungen (zumindest) der Vorwurf einer fahrlässigen Fehleinschätzung begründet ist. Das ist am Maßstab der im Zivilrecht geltenden objektiven Fahrlässigkeit nach § 276 Abs. 1 Satz 2 BGB zu prüfen. Irrt sich der Verteidiger ohne Verschulden über die Stärke des Angriffs und greift zu Abwehrmaßnahmen, die objektiv nicht erforderlich sind, haftet er dem Angreifer gegenüber nicht. Eine verschuldensunabhängige Haftung des Verteidigers analog § 231 BGB kommt nicht in Betracht. Die Anforderungen an die erforderliche Sorgfalt dürfen dabei aber nicht überspannt werden, weil das Risiko einer Abwehrhandlung zunächst einmal von dem (vermeintlichen) Angreifer geschaffen worden ist.

Für den Beklagten war vorliegend, aufgrund des unvermittelten Einsatzes der Waffe durch den Kläger nicht erkennbar, dass es sich um eine Schreckschusswaffe und nicht um eine scharfe Waffe handelte. Das Geschehen ereignete sich in einem Waldstück und fand zu einer fortgeschrittenen Uhrzeit in den Abendstunden statt, verbunden mit einer bereits fortgeschrittenen Dunkelheit. Zum einen führte das für alle Beteiligten dazu, dass die Situation deutlich schwerer einzuschätzen und zu erkennen war. Zum anderen dürfte all dies auch zu einer Steigerung der Dramaturgie bzw. der Paniksituation geführt haben. Bei der dann folgenden Annäherung des Klägers war es für den Beklagten in der konkreten Stresssituation dann auch eine durchaus nachvollziehbare Reaktion, dass er sich mittels seiner Machete gegen einen befürchteten, eventuell weiteren Angriff des Klägers zur Wehr setzte, da auch aus dieser Situation heraus eine Fluchtmöglichkeit nicht zur Abwendung der Gefahr eines möglichen weiteren Einsatzes der Schusswaffe geeignet gewesen wäre.

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LG Koblenz PM vom 29.8.2024