Kein Zurückbehaltungsrecht des Wohnungseigentümers hinsichtlich des Anspruchs der GdWE auf Zahlung von Vorschüssen zu Kostentragung und Rücklagen
BGH v. 14.11.2025 - V ZR 190/24
Der Sachverhalt:
Der Beklagte ist Mitglied der klagenden Gemeinschaft der Wohnungseigentümer (GdWE). In einer Eigentümerversammlung im Januar 2021 wurden unter TOP 6 die "Gesamt- und die Einzelwirtschaftspläne des Wirtschaftsjahres 2021" und die "Zuführung Rücklagen" ab dem 1.1.2021 sowie die Fortgeltung des Wirtschaftsplans bis zu der erneuten Beschlussfassung beschlossen. Mit der Klage verlangt die Klägerin von dem Beklagten auf der Grundlage des gefassten Beschlusses die Zahlung von rückständigen Vorschüssen für die Monate Juni 2022 bis September 2022 i.H.v. insgesamt 18.540 €.
AG und LG gaben der Klage statt. Die Revision des Beklagten hatte vor dem BGH keinen Erfolg.
Die Gründe:
Ein Zurückbehaltungsrecht nach § 273 Abs. 1 BGB setzt zunächst einen fälligen Anspruch des Schuldners gegen den Gläubiger voraus. Revisionsrechtlich ist davon auszugehen, dass dem Beklagten solche Ansprüche zustehen. Denn mangels gegenteiliger Feststellungen ist zu unterstellen, dass die Jahresabrechnungen seit dem Jahr 2012 fehlen. Zu der Erstellung der Jahresabrechnung 2019 ist die GdWE bereits rechtskräftig verurteilt worden. Für die anderen abgelaufenen Kalenderjahre kann der Beklagte nach dem seit dem 1.12.2020 geltenden Wohnungseigentumsrecht die Erstellung der jeweiligen Jahresabrechnung von der GdWE verlangen, weil diese zur ordnungsmäßigen Verwaltung gehört (§ 18 Abs. 2 Nr. 1 WEG).
Aus seinen Ansprüchen gegen die GdWE auf Erstellung der Jahresabrechnungen kann der Beklagte jedoch gegenüber dem Anspruch der GdWE auf Zahlung der auf der Grundlage des Wirtschaftsplans festgelegten Vorschüsse und der beschlossenen Rücklagen (§ 28 Abs. 1 Satz 1 WEG) kein Zurückbehaltungsrecht (§ 273 Abs. 1 BGB) herleiten. Auf der Grundlage des WEG in der bis zum 30.11.2020 geltenden Fassung konnte ein Wohnungseigentümer seine Verpflichtung zur Zahlung der im Wirtschaftsplan ausgewiesenen Vorschüsse schon deshalb nicht unter Hinweis auf eine fehlende Jahresabrechnung zurückbehalten, weil es bereits an der dafür notwendigen Gegenseitigkeit fehlte. Während der Zahlungsanspruch der GdWE zustand, richtete sich der Anspruch des einzelnen Wohnungseigentümers auf Erstellung der Jahresabrechnung nach § 28 Abs. 3 WEG a.F. gegen den Verwalter. Der Senat hat jedoch die Tendenz erkennen lassen, das Zurückbehaltungsrecht des Wohnungseigentümers gegen Beitragsforderungen der GdWE grundsätzlich auszuschließen. Später hat er dies beiläufig bekräftigt, auch unter der Geltung des Wohnungseigentumsmodernisierungsgesetzes.
In der Literatur werden dazu unterschiedliche Auffassungen vertreten. Teilweise wird ein Zurückbehaltungsrecht wegen anerkannter oder rechtskräftig festgestellter Gegenforderungen sowie bei Ansprüchen aus Notgeschäftsführung erwogen. Nach einer vereinzelten Meinung ist ein Zurückbehaltungsrecht ausnahmsweise zu bejahen, wenn sich die GdWE weigert, über die Abrechnungsergebnisse zu beschließen bzw. diesen Beschluss aus unwesentlichen Gründen ablehnt. Überwiegend wird das Zurückbehaltungsrecht des Wohnungseigentümers gegenüber dem Anspruch auf Zahlung von Vorschüssen jedoch ausnahmslos abgelehnt, selbst bei anerkannten oder rechtskräftig festgestellten Gegenansprüchen des Eigentümers.
Die zuletzt genannte Ansicht trifft zu. Im Hinblick auf den Anspruch der GdWE auf Zahlung der beschlossenen Vorschüsse zur Kostentragung und zu den Rücklagen ist das Zurückbehaltungsrecht des Wohnungseigentümers generell ausgeschlossen; das gilt auch dann, wenn das Zurückbehaltungsrecht auf anerkannte oder rechtskräftig zuerkannte Ansprüche gestützt wird. Das Zurückbehaltungsrecht steht gem. § 273 Abs. 1 BGB unter dem Vorbehalt, dass sich nicht aus dem Schuldverhältnis ein anderes ergibt. Letzteres ist hier der Fall. Dass das Zurückbehaltungsrecht nach der Natur der Schuld und dem Zweck der geschuldeten Leistung ausgeschlossen ist, folgt aus dem Finanzierungssystem der GdWE.
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Der Beklagte ist Mitglied der klagenden Gemeinschaft der Wohnungseigentümer (GdWE). In einer Eigentümerversammlung im Januar 2021 wurden unter TOP 6 die "Gesamt- und die Einzelwirtschaftspläne des Wirtschaftsjahres 2021" und die "Zuführung Rücklagen" ab dem 1.1.2021 sowie die Fortgeltung des Wirtschaftsplans bis zu der erneuten Beschlussfassung beschlossen. Mit der Klage verlangt die Klägerin von dem Beklagten auf der Grundlage des gefassten Beschlusses die Zahlung von rückständigen Vorschüssen für die Monate Juni 2022 bis September 2022 i.H.v. insgesamt 18.540 €.
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Aus seinen Ansprüchen gegen die GdWE auf Erstellung der Jahresabrechnungen kann der Beklagte jedoch gegenüber dem Anspruch der GdWE auf Zahlung der auf der Grundlage des Wirtschaftsplans festgelegten Vorschüsse und der beschlossenen Rücklagen (§ 28 Abs. 1 Satz 1 WEG) kein Zurückbehaltungsrecht (§ 273 Abs. 1 BGB) herleiten. Auf der Grundlage des WEG in der bis zum 30.11.2020 geltenden Fassung konnte ein Wohnungseigentümer seine Verpflichtung zur Zahlung der im Wirtschaftsplan ausgewiesenen Vorschüsse schon deshalb nicht unter Hinweis auf eine fehlende Jahresabrechnung zurückbehalten, weil es bereits an der dafür notwendigen Gegenseitigkeit fehlte. Während der Zahlungsanspruch der GdWE zustand, richtete sich der Anspruch des einzelnen Wohnungseigentümers auf Erstellung der Jahresabrechnung nach § 28 Abs. 3 WEG a.F. gegen den Verwalter. Der Senat hat jedoch die Tendenz erkennen lassen, das Zurückbehaltungsrecht des Wohnungseigentümers gegen Beitragsforderungen der GdWE grundsätzlich auszuschließen. Später hat er dies beiläufig bekräftigt, auch unter der Geltung des Wohnungseigentumsmodernisierungsgesetzes.
In der Literatur werden dazu unterschiedliche Auffassungen vertreten. Teilweise wird ein Zurückbehaltungsrecht wegen anerkannter oder rechtskräftig festgestellter Gegenforderungen sowie bei Ansprüchen aus Notgeschäftsführung erwogen. Nach einer vereinzelten Meinung ist ein Zurückbehaltungsrecht ausnahmsweise zu bejahen, wenn sich die GdWE weigert, über die Abrechnungsergebnisse zu beschließen bzw. diesen Beschluss aus unwesentlichen Gründen ablehnt. Überwiegend wird das Zurückbehaltungsrecht des Wohnungseigentümers gegenüber dem Anspruch auf Zahlung von Vorschüssen jedoch ausnahmslos abgelehnt, selbst bei anerkannten oder rechtskräftig festgestellten Gegenansprüchen des Eigentümers.
Die zuletzt genannte Ansicht trifft zu. Im Hinblick auf den Anspruch der GdWE auf Zahlung der beschlossenen Vorschüsse zur Kostentragung und zu den Rücklagen ist das Zurückbehaltungsrecht des Wohnungseigentümers generell ausgeschlossen; das gilt auch dann, wenn das Zurückbehaltungsrecht auf anerkannte oder rechtskräftig zuerkannte Ansprüche gestützt wird. Das Zurückbehaltungsrecht steht gem. § 273 Abs. 1 BGB unter dem Vorbehalt, dass sich nicht aus dem Schuldverhältnis ein anderes ergibt. Letzteres ist hier der Fall. Dass das Zurückbehaltungsrecht nach der Natur der Schuld und dem Zweck der geschuldeten Leistung ausgeschlossen ist, folgt aus dem Finanzierungssystem der GdWE.
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