28.02.2024

Keine entsprechende Anwendung von VV RVG Nr. 1010 auf andere Fälle umfangreicher Beweisaufnahmen

Eine Zusatzgebühr nach VV RVG Nr. 1010 entsteht nicht, wenn in weniger als drei gerichtlichen Terminen Sachverständige oder Zeugen vernommen wurden. Eine entsprechende Anwendung von VV RVG Nr. 1010 auf andere Fälle umfangreicher Beweisaufnahmen scheidet aus.

OLG Hamburg v. 20.2.2024 - 4 W 21/24
Der Sachverhalt:
Das LG hat mit dem angefochtenen Kostenfestsetzungsbeschluss den Antrag des Beklagten, eine ihm zu erstattende Zusatzgebühr nach VV RVG Nr. 1010 festzusetzen, abgelehnt, weil nur in zwei von insgesamt vier gerichtlichen Terminen Sachverständige oder Zeugen vernommen worden waren. Mit seiner Beschwerde begehrte der Beklagte weiterhin die Festsetzung einer Zusatzgebühr nach VV RVG Nr. 1010. Er war der Ansicht, dass es ausreiche, dass die Beweisaufnahme besonders umfangreich gewesen sei. Jedenfalls sei VV RVG Nr. 1010 entsprechend anzuwenden.

Das OLG hat die sofortige Beschwerde des Beklagten zurückgewiesen.

Die Gründe:
Es war keine Zusatzgebühr nach VV RVG Nr. 1010 festzusetzen, denn durch die Tätigkeit des Prozessbevollmächtigten des Beklagten war keine Zusatzgebühr entstanden.

VV RVG Nr. 1010 setzt nach seinem insoweit klaren Wortlaut voraus, dass in mindestens drei gerichtlichen Terminen Sachverständige oder Zeugen vernommen wurden. Daran fehlte es hier. Es fand nur in zwei gerichtlichen Terminen eine Beweisaufnahme statt. Insofern ist keine Zusatzgebühr entstanden (Anschluss an: OLG München, Beschl. v. 26.6.2020 - 11 W 674/20).

Die Gebührenvorschrift des VV RVG Nr. 1010 ist auch nicht auf andere Fälle einer umfangreichen Beweisaufnahme entsprechend anwendbar. Schließlich fehlt es an einer planwidrigen Regelungslücke. Der Gesetzgeber hat mit dem Zweiten Kostenrechtsmodernisierungsgesetz zwar einen Regelungsbedarf für den besonderen Aufwand bei sehr umfangreichen Beweisaufnahmen erkannt, die Zusatzgebühr aber zur Vermeidung von Fehlanreizen bewusst an die "Hürde bis zu einem dritten Beweistermin" geknüpft (BT-Drucksache 17/11471, S. 272). Eine Erweiterung des Anwendungsbereichs der Gebührenvorschrift auf andere langwierige oder umfangreiche Verfahren obläge daher dem Gesetzgeber.

Außerdem hat der Gesetzgeber Anwaltsgebühren überwiegend als Pauschalgebühren ausgestaltet, die teilweise - was auch vorliegend der Fall sein mag - nicht kostendeckend sein können, aber die Notwendigkeit von Billigkeitserwägungen ausschließen. Soweit der Gesetzgeber Betragsrahmengebühren normiert hat, ist der Umfang der anwaltlichen Tätigkeit stets nur für die Gebührenhöhe relevant. Damit berücksichtigt der Gesetzgeber auch sonst den Aufwand eines Rechtsanwalts allenfalls bei der Höhe einer Gebühr, niemals aber bereits bei der Frage, ob überhaupt eine Gebühr entsteht.

Schließlich ist bei Kostenvorschriften stets eine streng am Wortlaut orientierte Auslegung geboten, weil das Kostenfestsetzungsverfahren auf eine formale Prüfung der Kostentatbestände und auf die Klärung einfacher Fragen des Kostenrechts zugeschnitten und infolgedessen dem Rechtspfleger übertragen ist. Die Klärung komplizierter rechtlicher Fragen ist in diesem Verfahren nicht vorgesehen und mangels der dafür notwendigen verfahrensrechtlichen Instrumente auch nicht sinnvoll möglich.

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