Keine Volljährigenadoption durch einen Ehegatten allein
BVerfG v. 16.4.2025 - 1 BvR 76/24
Der Sachverhalt:
Ein verheirateter Mann beantragte mit notariell beurkundetem Antrag beim AG die Annahme seines Großneffen. Dieser hatte den Hof des Annehmenden bereits seit dem Jahr 2015 gepachtet. Die Ehefrau des Annehmenden ist in dem Antrag (lediglich) als weitere Beteiligte aufgeführt worden. Bis zu seinem Eintritt in den Ruhestand im Jahr 2015 hatte der Annehmende einen eigenen landwirtschaftlichen Hof bewirtschaftet. Die Ehegatten haben eine leibliche Tochter, die ebenfalls Landwirtin ist. Im Termin am 20.10.2023 hat das AG den Annehmenden und den Anzunehmenden ebenso persönlich angehört wie deren jeweilige Ehefrauen. Die Tochter hat von dem Termin keine Kenntnis erhalten und hieran auch nicht teilgenommen. Im Nachhinein ist ihr ebenfalls keine Gelegenheit gegeben worden, zu dem Ergebnis der Anhörung Stellung zu nehmen. Mit Beschluss vom 20.10.2023 hat das AG die Annahme des Anzunehmenden als Kind des Annehmenden ausgesprochen. Hiergegen hat die Tochter Anhörungsrüge erhoben, die vom AG mit Beschluss vom 30.11.2023 zurückgewiesen wurde. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügt sie die Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) sowie einen Verstoß gegen das Willkürverbot (Art. 3 Abs. 1 GG).
Die Verfassungsbeschwerde hatte Erfolg.
Die Gründe:
Der angegriffene Beschluss ist willkürlich und verletzt die Tochter in ihrem Grundrecht aus Art. 3 Abs. 1 GG. Die Beschwer der Tochter ergibt sich daraus, dass sie aus ihrer bisherigen Rechtsstellung als Hoferbin in zweiter Linie (§ 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 HöfeO) verdrängt wird, da der angenommene Großneffe Hoferbe in erster Linie ist (§ 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 HöfeO).
Ein Richterspruch ist objektiv willkürlich, wenn er unter keinem denkbaren Aspekt rechtlich vertretbar ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass er auf sachfremden Erwägungen beruht. Eine fehlerhafte Rechtsanwendung allein macht eine Gerichtsentscheidung noch nicht objektiv willkürlich. Schlechterdings unhaltbar ist eine fachgerichtliche Entscheidung erst dann, wenn eine offensichtlich einschlägige Norm nicht berücksichtigt, der Inhalt einer Norm in krasser Weise missverstanden oder sonst in nicht mehr nachvollziehbarer Weise angewendet wird, die Rechtslage also in krasser Weise verkannt wird. Von willkürlicher Missdeutung kann jedoch dann nicht gesprochen werden, wenn das Gericht sich mit der Rechtslage eingehend auseinandersetzt und seine Auffassung nicht jedes sachlichen Grundes entbehrt.
Das AG hat entgegen § 1741 Abs. 2 S. 2 BGB die Annahme des volljährigen Anzunehmenden durch den verheirateten Annehmenden allein ausgesprochen hat, obwohl nach allgemeiner Ansicht auch eine Adoption einer volljährigen Person durch einen verheirateten Annehmenden nur mit seinem Ehegatten gemeinsam zulässig ist (§ 1741 Abs. 2 S. 2, § 1767 Abs. 2 S. 1 BGB). Der Beschluss des AG ist somit unter keinem denkbaren Aspekt rechtlich vertretbar, weil er eine offensichtlich einschlägige Norm - auch in der Begründung - nicht berücksichtigt. Es bedarf deshalb keiner Entscheidung, ob der Beschluss die Beschwerdeführerin auch in ihrem Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt hat.
Der festgestellte Verstoß führt nicht zu einer Aufhebung des angegriffenen Adoptionsbeschlusses. Der Rechtsfolgenausspruch ist stattdessen auf die Beseitigung der Rechtskraft dieses Beschlusses und die Zurückverweisung an das AG zu beschränken. Das AG ist verpflichtet, unter Wahrung der Grundrechte der Beschwerdeführerin erneut über den Adoptionsantrag zu entscheiden. Bis zu seiner Entscheidung bleiben die Wirkungen des Adoptionsbeschlusses bestehen.
Mehr zum Thema:
Link zum Volltext der Entscheidung
Besprechung der Entscheidung von
Notar a.D. Prof. Dr. Dr. Herbert Grziwotz
in FamRB 2026, 18
Volltext und Besprechung enthalten im:
Aktionsmodul FamRZ Familienrecht
Otto Schmidt Answers ist in diesem Modul mit 5 Prompts am Tag enthalten! Nutzen Sie die Inhalte in diesem Modul direkt mit der KI von Otto Schmidt.
Top-Fachzeitschriften: FamRZ und FamRB. Mit zahlreichen Werken der FamRZ-Buchreihe und ausgewählten Handbüchern. Und dem ständig wachsenden Pool von zivilrechtlichen Entscheidungen im Volltext. Inklusive Online-Aktualisierung bei den enthaltenen Kommentaren.
BVerfG online
Ein verheirateter Mann beantragte mit notariell beurkundetem Antrag beim AG die Annahme seines Großneffen. Dieser hatte den Hof des Annehmenden bereits seit dem Jahr 2015 gepachtet. Die Ehefrau des Annehmenden ist in dem Antrag (lediglich) als weitere Beteiligte aufgeführt worden. Bis zu seinem Eintritt in den Ruhestand im Jahr 2015 hatte der Annehmende einen eigenen landwirtschaftlichen Hof bewirtschaftet. Die Ehegatten haben eine leibliche Tochter, die ebenfalls Landwirtin ist. Im Termin am 20.10.2023 hat das AG den Annehmenden und den Anzunehmenden ebenso persönlich angehört wie deren jeweilige Ehefrauen. Die Tochter hat von dem Termin keine Kenntnis erhalten und hieran auch nicht teilgenommen. Im Nachhinein ist ihr ebenfalls keine Gelegenheit gegeben worden, zu dem Ergebnis der Anhörung Stellung zu nehmen. Mit Beschluss vom 20.10.2023 hat das AG die Annahme des Anzunehmenden als Kind des Annehmenden ausgesprochen. Hiergegen hat die Tochter Anhörungsrüge erhoben, die vom AG mit Beschluss vom 30.11.2023 zurückgewiesen wurde. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügt sie die Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) sowie einen Verstoß gegen das Willkürverbot (Art. 3 Abs. 1 GG).
Die Verfassungsbeschwerde hatte Erfolg.
Die Gründe:
Der angegriffene Beschluss ist willkürlich und verletzt die Tochter in ihrem Grundrecht aus Art. 3 Abs. 1 GG. Die Beschwer der Tochter ergibt sich daraus, dass sie aus ihrer bisherigen Rechtsstellung als Hoferbin in zweiter Linie (§ 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 HöfeO) verdrängt wird, da der angenommene Großneffe Hoferbe in erster Linie ist (§ 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 HöfeO).
Ein Richterspruch ist objektiv willkürlich, wenn er unter keinem denkbaren Aspekt rechtlich vertretbar ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass er auf sachfremden Erwägungen beruht. Eine fehlerhafte Rechtsanwendung allein macht eine Gerichtsentscheidung noch nicht objektiv willkürlich. Schlechterdings unhaltbar ist eine fachgerichtliche Entscheidung erst dann, wenn eine offensichtlich einschlägige Norm nicht berücksichtigt, der Inhalt einer Norm in krasser Weise missverstanden oder sonst in nicht mehr nachvollziehbarer Weise angewendet wird, die Rechtslage also in krasser Weise verkannt wird. Von willkürlicher Missdeutung kann jedoch dann nicht gesprochen werden, wenn das Gericht sich mit der Rechtslage eingehend auseinandersetzt und seine Auffassung nicht jedes sachlichen Grundes entbehrt.
Das AG hat entgegen § 1741 Abs. 2 S. 2 BGB die Annahme des volljährigen Anzunehmenden durch den verheirateten Annehmenden allein ausgesprochen hat, obwohl nach allgemeiner Ansicht auch eine Adoption einer volljährigen Person durch einen verheirateten Annehmenden nur mit seinem Ehegatten gemeinsam zulässig ist (§ 1741 Abs. 2 S. 2, § 1767 Abs. 2 S. 1 BGB). Der Beschluss des AG ist somit unter keinem denkbaren Aspekt rechtlich vertretbar, weil er eine offensichtlich einschlägige Norm - auch in der Begründung - nicht berücksichtigt. Es bedarf deshalb keiner Entscheidung, ob der Beschluss die Beschwerdeführerin auch in ihrem Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt hat.
Der festgestellte Verstoß führt nicht zu einer Aufhebung des angegriffenen Adoptionsbeschlusses. Der Rechtsfolgenausspruch ist stattdessen auf die Beseitigung der Rechtskraft dieses Beschlusses und die Zurückverweisung an das AG zu beschränken. Das AG ist verpflichtet, unter Wahrung der Grundrechte der Beschwerdeführerin erneut über den Adoptionsantrag zu entscheiden. Bis zu seiner Entscheidung bleiben die Wirkungen des Adoptionsbeschlusses bestehen.
Link zum Volltext der Entscheidung
Besprechung der Entscheidung von
Notar a.D. Prof. Dr. Dr. Herbert Grziwotz
in FamRB 2026, 18
Volltext und Besprechung enthalten im:
Aktionsmodul FamRZ Familienrecht
Otto Schmidt Answers ist in diesem Modul mit 5 Prompts am Tag enthalten! Nutzen Sie die Inhalte in diesem Modul direkt mit der KI von Otto Schmidt.
Top-Fachzeitschriften: FamRZ und FamRB. Mit zahlreichen Werken der FamRZ-Buchreihe und ausgewählten Handbüchern. Und dem ständig wachsenden Pool von zivilrechtlichen Entscheidungen im Volltext. Inklusive Online-Aktualisierung bei den enthaltenen Kommentaren.