06.10.2025

Keine "weitergehenden" Schadensersatzansprüche nach Flugannullierung

Dass derjenige, der keinen konkreten Schaden erlitten hat, von der Pauschale mehr profitiert, ist der Idee einer Pauschale immanent und als vom Gesetzgeber gewollt hinzunehmen. Insbesondere ist diese Folge auch mit Art. 12 VO (EG) Nr. 261/2004 bewusst geregelt worden, um eine Überkompensation zu vermeiden.

LG Landshut v. 1.10.2025, 15 S 437/25 e
Der Sachverhalt:
Die Klägerin hatte für sich und ihren Sohn, den Kläger zu 2), bei der Beklagten einen Flug von München nach Dubai für den 17.1.2024 mit einer Flugdistanz von 4.848 km gebucht und erhielt eine entsprechende Buchungsbestätigung. Der Flug wurde von der Beklagten am 16.1.2024 annulliert. Aufgrund eines für den Kläger zu 2) besonders wichtigen Termins am 19.1.2024 in Dubai, für den der Kläger zu 2) eine rechtzeitige Ankunft in Dubai sicherstellen wollte, wurde der Kläger zu 2) auf seinen Wunsch von der Beklagten auf einen früheren Flug umgebucht, mit dem er einen Tag früher als geplant am 16.1.2024 in München abflog. Die Klägerin zu 1) wurde als Reisebegleiterin des Klägers zu 2) auf einen späteren Flug am 18.1.2024 zunächst von München über Frankfurt a.M. nach Dubai umgebucht. Doch auch dieser Flug wurde annulliert.

Die Klägerin zu 1) befand sich bereits auf dem Weg zum Flughafen Frankfurt, als sie hiervon erfuhr, und fuhr mit dem Zug zurück nach Hause. Sie wurde daraufhin erneut umgebucht auf einen Direktflug von München nach Dubai am 18.1.2024. Somit erreichte sie Dubai einen Tag später als vorgesehen.

Die Kläger machten später Ausgleichszahlungen i.H.v. jeweils 600 €, Kosten für eine Zugfahrt i.H.v. 35,90 €, Kosten für eine zusätzliche Hotelübernachtung für den Kläger zu 2) aufgrund der früheren Anreise i.H.v. 337,50 € sowie Kosten für die vergeblich gebuchte Hotelübernachtung für die Klägerin zu 1) aufgrund der verspäteten Anreise i.H.v. 337,50 € geltend. Nach Zahlung der Ausgleichsleistungen durch die Beklagte und insoweit übereinstimmender Teilerledigterklärung der Parteien, sprach das AG den Betrag für die Kosten der Zugfahrt zu und wies die - verbleibende - Klage im Hinblick auf die zusätzliche Hotelunterbringung bzw. nutzlos aufgewendete Hotelkosten ab.

Das LG hielt die hiergegen gerichtete Berufung für offensichtlich unbegründet.

Die Gründe:
Wegen der Pflichtverletzung der Beklagten bestand dem Grunde nach zwar Anspruch auf Schadensersatz gem. §§ 280 ff, 631 BGB. Darunter können grundsätzlich auch Kosten für die vorweg zusätzlich notwendig gewordene Übernachtung fallen. Bei diesen Kosten handelt es sich allerdings nicht um Betreuungsleistungen, die von der Anrechnung des Art. 12 VO (EG) 261/2004 ausgeschlossen sind.

Der Wortlaut des Art. 5 Abs. 1 b) VO (EG) 261/2004 ist eindeutig. Weder Interessenlage noch Beeinträchtigungen des Klägers zu 2) waren mit der von Art. 5 Abs. 1 b) VO (EG) 261/2004 geregelten Fallkonstellation vergleichbar. Art. 5 Abs. 1 b) i.V.m. Art. 9 VO (EG) 261/2004 befasst sich mit Betreuungsleistungen insb. einer notwendigen Übernachtung auf dem Weg zum Zielort, d.h. bevor der Fluggast am Ziel angekommen ist. Der Kläger zu 2) hingegen war bereits an seinem Zielort angekommen, als die - zusätzliche - Übernachtung notwendig wurde. Er war also - völlig anders als im Fall einer Verschiebung der Beförderung nach hinten - nicht "gestrandet", sondern genau dort, wo der hinwollte. Seine Beeinträchtigungen oder Unannehmlichkeiten waren daher nicht vergleichbar. Unerheblich war, ob der zusätzliche Tag vorweg im Luxushotel überhaupt einen Schaden darstellte, weil es sich allenfalls um einen materiellen Schaden gehandelt hätte, der keine Betreuungsleistung darstellte, und daher der Anrechnung unterlag.

Zwar lag hier eine Ungleichbehandlung vor. Diese war jedoch in keiner Weise zu beanstanden, da ihr ungleiche Sachverhalte zu Grunde lagen. Bekanntermaßen gebietet der Gleichheitsgrundsatz Gleiches gleich und Ungleiches ungleich zu behandeln. Mangels vergleichbarer Interessenlage scheidet eine analoge Anwendung des Art. 5 Abs. 1 b) i.V.m. Art. 9 VO (EG) 261/2004 aus. Vorliegend knüpfen Ausgleichsleistung und etwaiger Schadensersatz an die Annullierung an und sollen deren Folgen kompensieren. Die Ausgleichsleistung nach Art. 5, 7 VO (EG) Nr. 261/2004 soll genau die Folgen der Annullierung - pauschal - ausgleichen, die die Klagepartei im Rahmen ihrer Schadensposition konkret ausführt.

Die Kammer hielt es daher für angemessen die Ausgleichsleistung von 600 € auf die konkret geltend gemachte Schadensposition anzurechnen, soweit dies von der Beklagten geltend gemacht worden war, was auch im Einklang mit dem Gedanken der Vorteilsausgleichung im deutschen Schadensrecht steht (BGH, Urt. v. 6.8.2019, Az. X ZR 128/18 u. X ZR 165/18). Dass derjenige, der keinen konkreten Schaden erlitten hat, von der Pauschale mehr profitiert, ist der Idee einer Pauschale immanent und als vom Gesetzgeber gewollt hinzunehmen. Insbesondere ist diese Folge auch mit Art. 12 VO (EG) Nr. 261/2004 bewusst geregelt worden, um eine Überkompensation zu vermeiden. Gleiches galt im Ergebnis für die von der Klägerin zu 1) geltend gemachten frustrierten Hotelkosten. Insoweit handelte es sich offensichtlich weder um nicht anrechenbare Betreuungsleistungen noch um einen sonstigen Anspruch aus der Fluggastrechteverordnung, der dem Fluggast neben der Ausgleichsleistung verbleiben sollte.

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Aufsatz
Die Entwicklung des Reiserechts der Luftbeförderung einschließlich der EU‑Fluggastrechte-VO in den Jahren 2024/25
Charlotte Achilles-Pujol, MDR 2025, 1243
MDR0082789

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