11.07.2025

Kfz-Sachschaden: Interesse an Feststellung der Ersatzpflicht für zukünftige Schäden nach fiktiver Schadensabrechnung

Der Geschädigte eines Kfz-Sachschadens kann, wenn er den Schaden zunächst fiktiv abgerechnet hat, später - im Rahmen der rechtlichen Voraussetzungen für eine solche Schadensabrechnung und der Verjährung - grundsätzlich zur konkreten Schadensabrechnung übergehen und Ersatz der tatsächlich angefallenen Kosten einschließlich Mehrwertsteuer und (ggf. zusätzlicher) Nutzungsausfallentschädigung verlangen. Berechnet der Geschädigte seinen Schaden zulässigerweise auf der Grundlage der von dem Sachverständigen ermittelten Kosten fiktiv, also ohne Durchführung der Reparatur und damit insbesondere ohne Umsatzsteuer, hat er - schon um der drohenden Verjährung zu begegnen - ein Interesse i.S.v. § 256 Abs. 1 ZPO an der Feststellung der Ersatzpflicht für zukünftige Schäden. Er muss nicht darlegen, dass er die Absicht hat, sein Fahrzeug zu reparieren.

BGH v. 8.4.2025 - VI ZR 25/24
Der Sachverhalt:
Die Klägerin nimmt nach einem Verkehrsunfall die Beklagte als Haftpflichtversicherer - soweit im vorliegenden Zusammenhang relevant - auf Feststellung der Verpflichtung zur Erstattung sämtlichen zukünftigen materiellen Schadens in Anspruch. 

Als das bei der Beklagten haftpflichtversicherte Fahrzeug rückwärts ausgeparkt wurde, fuhr es auf das Fahrzeug der Klägerin auf. Den Schaden an ihrem Fahrzeug rechnete die Klägerin fiktiv auf Basis eines Sachverständigengutachtens ab. Die Beklagte erhob Einwendungen gegen die Höhe des geltend gemachten Schadens und regulierte diesen zum Teil. Vorgerichtlich und gerichtlich ist die volle Haftung der Beklagten dem Grunde nach unstreitig. 

Das AG gab der Klage teilweise statt, verurteilte die Beklagte zu weiterer Zahlung und stellte fest, dass die Beklagte der Klägerin sämtlichen zukünftigen materiellen Schaden aus dem Unfallereignis zu erstatten hat. Auf die Berufung der Beklagten wies das LG die Klage ab, soweit die Pflicht zur Erstattung zukünftigen materiellen Schadens festgestellt worden ist, und wies im Übrigen die Berufung der Beklagten und die Anschlussberufung der Klägerin zurück. Auf die Revision der Klägerin wies der BGH die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des AG zurück.

Die Gründe:
Entgegen der Auffassung des LG fehlt es nicht am Feststellungsinteresse der Klägerin.

Nach § 256 Abs. 1 ZPO kann auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses Klage erhoben werden, wenn der Kläger ein rechtliches Interesse daran hat, dass das Rechtsverhältnis alsbald festgestellt werde. Ein solches Interesse ist gegeben, wenn dem konkreten vom Feststellungsantrag betroffenen Recht des Klägers eine gegenwärtige Gefahr der Unsicherheit droht und der erstrebte Feststellungsausspruch geeignet ist, diese Gefahr zu beseitigen. Werden nach Verletzung eines absoluten Rechts weitere zukünftige materielle Schäden befürchtet, genügt für das Feststellungsinteresse die Möglichkeit, dass diese Schäden eintreten. Welche weiteren Schäden zu befürchten sind, hat der Kläger darzulegen. An der Möglichkeit weiterer Schäden fehlt es, wenn aus Sicht des Klägers bei verständiger Würdigung kein Grund besteht, mit dem Eintritt eines weiteren Schadens wenigstens zu rechnen.

Danach kann die Klägerin ihr Feststellungsinteresse darauf stützen, dass sie bei einer zukünftigen Reparatur ihres beschädigten Fahrzeugs einen Anspruch auf Ersatz der dabei anfallenden Mehrwertsteuer und des dadurch verursachten Nutzungsausfalls gegen die Beklagte geltend machen könnte. Der Geschädigte eines Kfz-Sachschadens hat bei Ausübung der Ersetzungsbefugnis des § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB die Wahl, ob er fiktiv nach den Feststellungen eines Sachverständigen oder konkret nach den tatsächlich aufgewendeten Kosten abrechnet. Zwar hat die Klägerin den Schaden an ihrem Fahrzeug fiktiv abgerechnet. Allerdings kann der Geschädigte, wenn er seinen Fahrzeugschaden zunächst fiktiv abgerechnet hat, später - im Rahmen der rechtlichen Voraussetzungen für eine solche Schadensabrechnung und der Verjährung - grundsätzlich zur konkreten Schadensabrechnung übergehen und Ersatz der tatsächlich angefallenen Kosten einschließlich Mehrwertsteuer und (ggf. zusätzlicher) Nutzungsausfallentschädigung verlangen.

Berechnet der Geschädigte seinen Schaden, wie hier, zulässigerweise auf der Grundlage der von dem Sachverständigen ermittelten Kosten fiktiv, also ohne Durchführung der Reparatur und damit insbesondere ohne Umsatzsteuer, hat er - schon um der drohenden Verjährung zu begegnen - ein Interesse i.S.v. § 256 Abs. 1 ZPO an der Feststellung der Ersatzpflicht für zukünftige Schäden. Der Geschädigte muss nicht darlegen, dass er die Absicht hat, sein Fahrzeug zu reparieren. Vielmehr reicht die Darlegung, dass die Möglichkeit der Reparatur besteht, grundsätzlich aus. Daran fehlte es erst, wenn aus Sicht des Geschädigten bei verständiger Würdigung kein Grund bestände, mit der Reparatur wenigstens zu rechnen.

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