19.06.2023

Kindesunterhaltssache als Folgesache?

Der BGH hat sich vorliegend mit der notwendigen interessengerechten Auslegung eines von einem Ehegatten während des Scheidungsverfahrens anhängig gemachten Antrags auf Abänderung eines Titels über Kindesunterhalt befasst. Konkret ging es um die (hier verneinte) Frage, ob dieser nur durch die Scheidung bedingt gestellt werden soll.

BGH v. 3.5.2023 - XII ZB 152/22
Der Sachverhalt:
Die Beteiligten streiten über die vom AG ausgesprochene Scheidung ihrer Ehe. Sie schlossen im Mai 1999 die Ehe, aus der eine inzwischen volljährige Tochter und der im Mai 2006 geborene Sohn T hervorgegangen sind. Sie trennten sich im September 2016. Der Sohn blieb in der Obhut der Antragsgegnerin, die mit ihm das im hälftigen Miteigentum der Beteiligten stehende Hausgrundstück bewohnt. Der Antragsteller verpflichtete sich im April 2017 durch Jugendamtsurkunde zur Zahlung von Kindesunterhalt für T i.H.v. 105 % des Mindestunterhalts ab Februar 2017. Auf einen Abänderungsantrag der Antragsgegnerin schlossen die Beteiligten im Oktober 2019 einen Vergleich, in dem der Kindesunterhalt für die Zeit ab Juli 2017 auf 110 % des Mindestunterhalts erhöht wurde. Ein weiterer Unterhaltsantrag der Antragsgegnerin richtet sich auf Zahlung von Kindesunterhalt für die Zeit von Oktober 2016 bis Juni 2017.

Im vorliegenden Verfahren begehrt der Antragsteller die Scheidung der Ehe. Der Scheidungsantrag wurde der Antragsgegnerin im August 2017 zugestellt. Mit Antrag vom 5.10.2021 verfolgt die Antragsgegnerin gestützt auf einen Arbeitgeberwechsel des Antragstellers zum 1.9.2021 die Abänderung des über den Kindesunterhalt geschlossenen Vergleichs vom Oktober 2019 im Wege des Stufenverfahrens. Der Antrag ist als "Stufenantrag auf Auskunft zum Kindesunterhalt und auf Abänderung eines Unterhaltstitels im isolierten Verfahren" überschrieben. Der in letzter Stufe angekündigte Abänderungs- und Zahlungsantrag richtet sich auf "die Zeit ab Rechtskraft der Ehescheidung". Das Verfahren wurde insoweit vom AG als isoliertes Verfahren geführt. Die Antragsgegnerin beantragte dort die Aussetzung des Verfahrens wegen vom Antragsteller in einem weiteren Verfahren geltend gemachter Nutzungsentschädigung.

Mit am 25.11.2021 verkündetem Beschluss hat das AG nach Aussetzung des Verfahrens in der Folgesache Versorgungsausgleich und der Abtrennung vom Scheidungsverbund die Ehe der Beteiligten geschieden.

Das OLG wies die gegen den Scheidungsbeschluss eingelegte Beschwerde der Antragsgegnerin zurück. Die Rechtsbeschwerde der Antragsgegnerin hatte vor dem BGH keinen Erfolg.

Die Gründe:
Der Scheidungsbeschluss ist in der Sache zu Recht ergangen und stellt keine nach §§ 137 Abs. 1, 142 Abs. 1 Satz 1 FamFG unzulässige Teilentscheidung dar.

Das AG hat die Scheidung nach § 1565 Abs. 1 BGB zutreffend auch ohne Zustimmung der Antragsgegnerin ausgesprochen, da die Ehe der Beteiligten gescheitert ist. Nach § 1566 Abs. 2 BGB wird das Scheitern der Ehe unwiderlegbar vermutet, wenn die Ehegatten seit drei Jahren getrennt leben, was vorliegend in Anbetracht der im September 2016 erfolgten Trennung der Beteiligten der Fall ist. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde hat das AG keine unzulässige Teilentscheidung erlassen. Denn das von der Antragsgegnerin gesondert anhängig gemachte Abänderungsverfahren zum Kindesunterhalt ist keine Folgesache, über die nach § 137 Abs. 1 FamFG nur zusammen mit der Scheidung zu verhandeln und entscheiden wäre. Der von der Antragsgegnerin erhobene Antrag ist vom OLG im Ergebnis zutreffend als nicht von der Scheidung abhängig angesehen worden.

Zwar ist auch der Kindesunterhalt nach § 137 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 FamFG auch als Abänderungsantrag taugliche Folgesache des Scheidungsverfahrens, wenn eine Entscheidung für den Fall der Scheidung zu treffen ist und die Familiensache spätestens zwei Wochen vor der mündlichen Verhandlung im ersten Rechtszug in der Scheidungssache von einem Ehegatten anhängig gemacht wird. Die Eigenschaft als Folgesache tritt ohne Rücksicht auf eine etwa abweichende Verfahrensführung durch das Gericht kraft Gesetzes ein und unterliegt als solche nicht der Disposition der Beteiligten. Ob nach dem Antrag eine Entscheidung für den Fall der Scheidung zu treffen ist, bedarf indessen der Auslegung. Das gilt insbesondere beim Anspruch auf Kindesunterhalt, der keine typische, durch die Scheidung bedingte Folge ist, sondern unabhängig von dieser besteht.

Vorliegend spricht die Formulierung des angekündigten Ab-änderungs- und Zahlungsantrags zwar dafür, dass eine Entscheidung für den Fall der Scheidung ergehen sollte. Dem widerspricht aber bereits die Überschrift der Antragsschrift. Nach dieser soll der Antrag im isolierten Verfahren gestellt werden, was den von den Beteiligten bis dahin zum Kindesunterhalt geführten Verfahren entspricht. Das OLG hat zudem mit Recht auf die Begründung des Abänderungsantrags hingewiesen, aus welcher sich ebenfalls kein Bezug zur Scheidung ergibt. Vielmehr ist der Antrag mit dem schon zum 1.9.2021 erfolgten Arbeitgeberwechsel des Antragstellers begründet worden. Anders als etwa beim Anspruch auf Zugewinnausgleich handelt es sich beim Anspruch auf Kindesunterhalt nicht um einen von der Scheidung abhängigen Anspruch. Im Unterschied zu dem in Trennungs- und Nachehelichenunterhalt unterteilten Ehegattenunterhalt ist der Kindesunterhalt ein einheitlicher Anspruch, der nicht durch die Scheidung beeinflusst wird und sowohl als Folgesache als auch wie regelmäßig im Wege des isolierten Verfahrens geltend gemacht werden kann.

Dabei legt eine interessengerechte Auslegung nahe, dass der Anspruch im Zweifel im isolierten Verfahren geltend gemacht werden soll. Da die Geltendmachung des Kindesunterhalts vorrangig im Interesse des Kindes erfolgt, sind auch und gerade dessen Interessen in die Betrachtung einzubeziehen. Das Kind hat vorliegend einen gegenüber dem abzuändernden Titel unterstellt erhöhten Unterhaltsanspruch bereits ab Änderung der wesentlichen Verhältnisse, wofür von der Antragsgegnerin der Wechsel der Arbeitsstelle durch den Antragsteller und ein infolgedessen erhöhtes Einkommen angeführt werden. Da im Scheidungsverbund in zulässiger Weise nur Unterhalt ab Rechtskraft der Scheidung geltend gemacht werden und diese erst geraume Zeit später eintreten kann, entstünde hinsichtlich der Erhöhungsbeträge eine mitunter erhebliche Unterhaltslücke. Das gilt erst recht im Fall der Abweisung des Scheidungsantrags, wie sie von der Antragsgegnerin vor dem AG beantragt worden ist. Eine Folgesache würde in diesem Fall nach § 142 Abs. 2 Satz 1 FamFG (grundsätzlich) gegenstandslos und der Kindesunterhalt würde auf dem zu niedrigen Niveau des abzuändernden Titels festgelegt bleiben.

Mehr zum Thema:

Rechtsprechung:
§§ 137 II, 231 I, 238 FamFG: Kindesunterhaltssachen als Folgesachen
OLG Brandenburg vom 07.04.2022 - 9 UF 214/21
FamRZ 2022, 1223

Kommentierung | FamFG
§ 137 Verbund von Scheidungs- und Folgesachen
Helms in Prütting/Helms, FamFG, Kommentar, 6. Aufl. 2023
6. Aufl./Lfg. 09.2022

Kommentierung | FamFG
§ 142 Einheitliche Endentscheidung; Abweisung des Scheidungsantrags
Helms in Prütting/Helms, FamFG, Kommentar, 6. Aufl. 2023
6. Aufl./Lfg. 09.2022

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