20.06.2023

Kündigung wegen Eigenbedarfs oder bloße Vorratskündigung?

Eine bloße Vorratskündigung liegt nicht mehr vor, wenn sich der Überlassungswille soweit "verdichtet‟ hat, dass ein konkretes Interesse an einer alsbaldigen Eigennutzung besteht. In Rechtsprechung und Rechtswissenschaft ist anerkannt, dass im Rahmen der Billigkeitsentscheidung nach § 91a ZPO das grundsätzliche Verbot der Beweisantizipation eine Aufweichung erfährt.

LG Lübeck v. 15.6.2023 - 11 C 228/22
Der Sachverhalt:
Der Kläger hatte im Mai 2022 gegen die Beklagte gerichtlich einen Anspruch auf Räumung und Herausgabe einer ihr gehörigen Wohnung geltend gemacht und zudem beantragt, die Beklagte zur Zahlung von 412,10 € Rechtsanwaltskosten nebst Zinsen zu verurteilen. Er stützte sich dabei auf eine Kündigung wegen Eigenbedarfs. Die Beklagtenseite hat daraufhin Klageabweisung beantragt und den Eigenbedarf vorsorglich bestritten. Zudem rügte sie, dass es sich bei der Kündigung um eine sog. Vorratskündigung handele.

Im August 2022 teilte die Klägerseite mit, dass die Beklagte die Wohnung bereits im Juli 2022 geräumt und herausgegeben habe, am Folgetag die Tochter des Klägers eingezogen sei und der Rechtstreit insoweit für erledigt erklärt werde. Am 14.10.2022 nahm sie zudem den Antrag zu 2. zurück. Am 2.11.2022 schloss sich die Beklagte daraufhin der Erledigungserklärung an.

Mit Beschluss vom 7.11.2022 hob das AG hierauf die Kosten des Rechtsstreits gegeneinander auf. Hiergegen wandte sich der Kläger mit Beschwerde vom 21.11.2022. Er beantragte, die Kosten des Rechtstreits vollumfänglich der Beklagten aufzuerlegen. Das AG half der Beschwerde nicht ab. Das LG hat die Kosten des Rechtsstreits der Beklagten auferlegt und den Beschwerdewert auf 1.136,39 € festgesetzt.

Die Gründe:
In Ausübung des insoweit dem Beschwerdegericht zustehenden eigenen Ermessens legte dieses die Kosten des Rechtsstreits der Beklagten auf.

In Rechtsprechung und Rechtswissenschaft ist anerkannt, dass im Rahmen der Billigkeitsentscheidung nach § 91a ZPO das grundsätzliche Verbot der Beweisantizipation eine Aufweichung erfährt. Kommt es nach dem Eintritt eines erledigenden Ereignisses nicht mehr zur Durchführung einer Beweisaufnahme, kann sich daher im Verfahren nach § 91a ZPO die Beurteilung der Kostentragungslast jedenfalls dann im Einzelfall auch nach dem voraussichtlichen Ergebnis einer Beweisaufnahme bei einer insoweit zulässigen antizipierten Beweiswürdigung richten, wenn besondere Umstände vorliegen, die im Rahmen einer Gesamtwürdigung ein bestimmtes Prozessergebnis in hohem Maße als wahrscheinlich erscheinen lassen. Und ein derartiger Ausnahmefall lagt zur Überzeugung des Beschwerdegerichts hier vor.

Im vorliegenden Verfahren sprach alles dafür, dass die Klägerseite den ihr obliegenden Beweis hätte führen können, dass zum maßgeblichen Zeitpunkt der Kündigungserklärung ein tatsächlicher Überlassungswille des Klägers bestand. Insbesondere waren bereits nach Aktenlage beweiskräftige Indizien, die für den Überlassungswillen sprachen, festzustellen. Die Tochter hatte ihre bisherige Wohnung in Kiel bereits gekündigt und dies durch Kündigungsbestätigung der Verwaltung nachgewiesen. Dieser Umstand war auch unstreitig, da urkundlich belegt und nicht nachvollziehbar bestritten. Die Tochter war auch bereits wieder nach Hause gezogen und hatte dort in Ermangelung einer anderen Wohnung in ihrem alten "Kinderzimmer" ein (ersichtlich nicht der Lebenssituation angemessenes) Quartier bezogen. Dieser Umstand war ebenfalls unstreitig da zugestanden. Letztlich hatte die Tochter auch dies unstreitig tatsächlich, wie geplant, eine Stellung in Hamburg angenommen. Schließlich war sie dann bereits am Tag nach dem Auszug der Beklagten in die streitgegenständliche Wohnung eingezogen.

In der Gesamtwürdigung hatte das Gericht daher keinerlei Zweifel, dass eine Beweisaufnahme mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit im Sinne des klägerischen Vorbringens ausgegangen wäre. Vor diesem Hintergrund wäre dann im Übrigen auch die Einschätzung einer bloßen Vorratskündigung entfallen. Eine solche liegt nämlich nicht mehr vor, wenn sich der Überlassungswille soweit "verdichtet‟ hat, dass ein konkretes Interesse an einer alsbaldigen Eigennutzung besteht. Hieran bestanden vor dem Hintergrund der obigen Ausführungen keine Zweifel.

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