03.12.2025

Mitfahrt mit erkennbar alkoholbedingt Fahruntüchtigen kann grundsätzlich ein Mitverschulden begründen

Die Mitfahrt mit einem erkennbar alkoholbedingt Fahruntüchtigen kann grundsätzlich ein Mitverschulden des Beifahrers begründen, da mit einer solchen Fahrt eine erhöhte Unfallwahrscheinlichkeit einhergeht. Die Erkennbarkeit der Alkoholisierung muss aber von der Gegenseite dargelegt und nachgewiesen werden.

OLG Schleswig-Holstein v. 28.11.2025, 7 U 61/25
Der Sachverhalt:
Das klagende Land begehrte von den Beklagten aus übergegangenem Recht (§ 52 LBG SH) Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall, der sich am späten Abend (gegen 22:25 Uhr) des 13.8.2021 ereignet hatte. Bei dem Unfall sind die Versorgungsempfänger des klagenden Landes, die Eheleute A. und C., tödlich verunglückt. Sie waren in ihrem VW Golf Cabriolet unterwegs und sind mit einem quer auf der Fahrbahn stehenden landwirtschaftlichen Gespann kollidiert. Die dem Fahrer A. bei der Obduktion entnommene Blutprobe ergab eine BAK von 1,59 Promille. Das klagende Land bezifferte seine Forderungen mit 19.282 €. Bezüglich der Frau C. wurde vorgerichtlich eine Haftungsquote von 30 % anerkannt und ein Betrag i.H.v. 5.301 € gezahlt (Rest 19.282 €).

Mit dem angefochtenen Urteil hat das LG die Klage in vollem Umfang zuerkannt. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme sei zulasten der Beklagten ein Vorfahrpflichtverstoß gegen § 8 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 StVO festzustellen. Die absolute Fahruntüchtigkeit des Fahrers A. habe sich nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht unfallkausal ausgewirkt, weil auch ein nüchterner Fahrer die Situation nicht ohne weiteres hätte meistern können. Aufgrund der erheblich höheren Betriebsgefahr sowie des Vorfahrtsverstoßes des Beklagten trete die einfache Betriebsgefahr des Pkws vollständig zurück.

Auf die Berufung der Beklagten hat das OLG das vorinstanzliche Urteil teilweise geändert und die Beklagten als Gesamtschuldner verurteilt, an das klagende Land weitere 16.894 € zu zahlen.

Die Gründe:
Das klagende Land hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Schadensersatz aus §§ 7 Abs. 1, 17 Abs. 1 u. 2, 18 StVG, §§ 3, 8 Abs. 1 StVO, § 115 VVG. Wegen der übergeleiteten Ansprüche des tödlich verunglückten Fahrers A. muss sich das klagende Land aufgrund der mitursächlichen Geschwindigkeitsüberschreitung einen Mitverursachungsbeitrag von 1/3 anrechnen lassen. Insoweit (2.388,50 € = 1/3 von 7.165,49) war die Klage deshalb abzuweisen.

Im Rahmen der Abwägung nach § 17 Abs. 1 StVG müssen sich die jeweiligen unstreitigen oder nachgewiesenen Tatbeiträge auf den Unfall ausgewirkt haben (Kausalität). Dies ist auch dann der Fall, wenn es zu einer deutlichen Abmilderung des Unfallverlaufs und der erlittenen Schäden/Verletzungen gekommen wäre. Der Fahrer eines landwirtschaftlichen Gespanns (Traktor mit voll beladenem Anhänger), der berechtigt in eine Vorfahrtstraße nach links einbiegen will, muss in der Regel sofort anhalten, sobald ein auf der Vorfahrtstraße herannahender Verkehrsteilnehmer für ihn sichtbar wird. Er darf den Einbiegevorgang nur dann fortsetzen, wenn er nach der Verkehrslage darauf vertrauen kann, dass er die Fahrbahn für den herannahenden Verkehrsteilnehmer rechtzeitig frei machen kann.

Ein Fahrer muss seine Geschwindigkeit bei Dunkelheit auf der Landstraße mit eingeschaltetem Abblendlicht so einrichten, dass er innerhalb des Lichtkegels rechtzeitig anhalten kann. Die absolute Fahruntüchtigkeit des Fahrers wegen Alkohol (hier 1,59 Promille) kann im Rahmen der Abwägung nach § 17 StVG nur dann berücksichtigt werden, wenn sie sich erwiesenermaßen unfallursächlich ausgewirkt hat. Der Beweis des ersten Anscheins spricht für die Ursächlichkeit der Trunkenheit, wenn sich der Unfall in einer Verkehrslage und unter Umständen ereignet, die ein nüchterner Fahrer hätte meistern können.

Verletzte Beifahrer, Mitfahrer oder Fahrgäste müssen sich weder das das Verschulden des Fahrers noch die die Betriebsgefahr des benutzten Fahrzeuges entgegenhalten lassen. Auf den Insassen des Kraftfahrzeugs, der weder Halter noch Fahrer ist, erstreckt sich § 17 Abs. 1 StVG nicht. Die Mitfahrt mit einem erkennbar alkoholbedingt Fahruntüchtigen kann hingegen nach § 9 StVG, 254 BGB grundsätzlich einen Verstoß gegen die eigenen Obliegenheiten darstellen, da mit einer solchen Fahrt eine erhöhte Unfallwahrscheinlichkeit einhergeht. Die Erkennbarkeit der Alkoholisierung muss von der Gegenseite dargelegt und nachgewiesen werden.

Hier waren jedoch keine konkreten Anhaltspunkte vorgetragen, dass die Trunkenheit des Fahrers A. für die Beifahrerin C. schon bei Fahrtantritt erkennbar war. Die Klägerin hat bestritten, dass die Fahruntauglichkeit des Fahrers A. für die Beifahrerin C. erkennbar war oder dass sie von dem Alkoholkonsum ihres Mannes bereits auf der vorangehenden Feier etwas mitbekommen hatte. Eine besondere Kontroll- oder Nachfragepflicht besteht auch in Eheverhältnissen nicht, zumal die Beklagtenseite keinerlei konkrete Umstände vorgetragen hat, aus denen sich eine solche Pflicht hätte ergeben können.

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