23.03.2023

Reiserecht: Streit um 17,15 € vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten

Der Gläubiger einer unbestrittenen Forderung auf Entschädigung nach der FlugGRV darf bei Verzug die vorgerichtliche Durchsetzung durch einen Rechtsanwalt auch dann für erforderlich halten, wenn das Luftfahrtunternehmen vorab allgemein und ohne konkreten Bezug zur Forderung erklärt hat, eine Beauftragung von Rechtsanwälten sei nicht zweckmäßig und würde nicht zu einer anderen Entscheidung führen. Ein lediglich bedingter Klageauftrag entspricht bei Vereinbarung einer 0,5-fachen Geschäftsgebühr der Schadensminderungspflicht.

AG Düsseldorf v. 28.2.2023 - 30 C 69/22
Der Sachverhalt:
Die Klägerin hatte die Beklagte als ausführendes Luftfahrtunternehmen aus abgetretenem Recht eines Reisenden aus der Luftbeförderung vom 5.4.2022 von Tel Aviv nach Düsseldorf auf Zahlung einer unbestrittenen Entschädigung i.H.v. 400 € nach Art. 5, 7 FlugGRV nebst vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Anspruch genommen. Sie setzte der Beklagten eine Zahlungsfrist bis zum 17.5.2022. Sodann forderten die Klägervertreter die Beklagte mit Schreiben vom 22.6.2022 unter Fristsetzung zum 6.7.2022 zur Zahlung einschließlich vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten auf.

Die Beklagte leistete die Entschädigung schließlich nach Klageerhebung. Mit der Klage verfolgt die Klägerin nach übereinstimmender Erledigung der Hauptforderung noch vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe des nicht anrechenbaren Teils einer 0,5-fachen Geschäftsgebühr nebst Auslagenpauschale. Die Beklagte hielt die vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten für nicht gerechtfertigt. Die Beauftragung der gegnerischen Prozessbevollmächtigten sei weder zweckdienlich, noch erforderlich gewesen. Sie habe die Klägerin im Vorfeld darauf hingewiesen, dass eine Beauftragung der Vertragsanwälte nicht erforderlich und zweckmäßig sei. Die Beklagte als einer der größten Fluggesellschaften weltweit ließe sich nicht von derart standardisierten Massenschreiben beeindrucken.

Das AG hat die Beklagte verurteilt, an die Klägerseite die vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten i.H.v. 17,15 € zu zahlen.

Die Gründe:
Entgegen der Auffassung der Beklagten, die auch in der Rechtsprechung verbreitet vertreten wird, stellte sich die vorgerichtliche Tätigkeit sehr wohl als erforderlich dar.

Die Voraussetzungen, unter denen eine Gläubiger, insbesondere auch im Falle einer Verfolgung von Ansprüchen nach der FlugGRV unter Einschaltung eines spezialisierten Rechtsdienstleisters die Beauftragung eines Rechtsanwaltes mit der vorgerichtlichen Anspruchsdurchsetzung für erforderlich halten darf, fasst die zuständige Berufungskammer beim LG Düsseldorf in einem aktuellen Hinweisbeschluss vom 20.7.2022 - 22 S 39/22 (den Parteien bekannt) wie folgt zusammen:

Nach ständiger BGH-Rechtsprechung umfasst der dem Geschädigten zustehende Schadensersatzanspruch grundsätzlich auch den Ersatz der durch das Schadensereignis erforderlich gewordenen Rechtsverfolgungskosten. Dem Schädiger sind andererseits aber nicht schlechthin alle durch das Schadensereignis adäquat verursachten Rechtsanwaltskosten zu ersetzen, sondern nur solche, die aus Sicht des Geschädigten zur Wahrnehmung seiner Rechte erforderlich und zweckmäßig waren. Maßgeblich ist die ex ante-Sicht einer vernünftigen, wirtschaftlich denkenden Person. Dabei sind keine überzogenen Anforderungen zu stellen. Es kommt darauf an, wie sich die voraussichtliche Abwicklung des Schadensfalls aus der Sicht des Geschädigten darstellt.

Ein Schadensfall in diesem Sinne liegt auch vor, wenn der Schuldner einer Entgeltforderung in Zahlungsverzug gerät. Zur Beitreibung einer solchen Forderung ist dann regelmäßig selbst in einfach gelagerten Fällen die Beauftragung eines Rechtsanwalts erforderlich und zweckmäßig. Das seinerseits Erforderliche tut der Gläubiger dadurch, dass er den Schuldner in Verzug setzt. Eine weitere Verzögerung der Erfüllung seiner Forderung muss er nicht hinnehmen. Vielmehr kann er seinem Erfüllungsverlangen durch Einschaltung eines Rechtsanwalts Nachdruck verleihen.

Für den Fall der Klage eines Fluggasts auf Ausgleichsansprüche nach Art. 7 VO (EG) Nr. 261/2004 hat der BGH entschieden, dass sich hier die Beauftragung eines Rechtsanwalts mit der erneuten außergerichtlichen Geltendmachung der Forderung nach einem erfolglosen Aufforderungsschreiben durch einen von der Partei beauftragten Rechtsdienstleister den Umständen nach als eine zweckentsprechende Maßnahme der Rechtsverfolgung darstellt. Wenn die Fluggesellschaft auf ein außergerichtliches Aufforderungsschreiben des Rechtsdienstleisters nicht reagiere, sei für die Partei nicht absehbar, wie die Fluggesellschaft auf eine anwaltliche Mahnung reagieren würde.

Ist der Schuldner hingegen erkennbar zahlungsunfähig oder liegt eine ernsthafte und endgültige Erfüllungsverweigerung vor, können außergerichtliche Zahlungsaufforderungen durch den Rechtsanwalt als nicht erfolgversprechend und daher als nicht zweckmäßig anzusehen sein. Dann kommt eine sofortige Titulierung der Forderung in Betracht. Anders ist dies, wenn der Schuldner weitere Verhandlungsbereitschaft zu erkennen gegeben oder bislang gar nicht reagiert hat. Hier kann sich der Versuch einer außergerichtlichen Erledigung unter Zuhilfenahme des Rechtsanwalts anbieten. Eine endgültige Erfüllungsverweigerung kann indes angenommen werden, wenn aufgrund der Würdigung aller Umstände des Einzelfalls ausgeschlossen erscheint, dass ein Versuch einer außergerichtlichen Regulierung des Anspruchs mithilfe eines Rechtsanwalts Erfolg haben kann. Dem schließt sich das erkennende Gericht an.

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