27.03.2023

Reiserücktrittskostenversicherung umfasst auch Ersatz von Bonusmeilen

Die vom Versicherer gem. § 1 Nr. 1 Buchst. a ABRV im Versicherungsfall zu leistende Entschädigung für die einem Reiseunternehmen oder einem anderen vertraglich geschuldeten Rücktrittskosten umfasst auch den Ersatz für Bonusmeilen, die eine versicherte Person zur Begleichung angefallener Reisekosten eingesetzt hat und die sie gemäß den Bedingungen des Bonusmeilenprogramms nach Stornierung der Reise nicht erstattet erhält.

BGH v. 1.3.2023 - IV ZR 112/22
Der Sachverhalt:
Der Kläger macht als mitversicherte Person Ansprüche aus einer Reiserücktrittskostenversicherung geltend, die seine Ehefrau im Rahmen eines Jahres-Reiseschutzbriefs für Familien bei der Beklagten abgeschlossen hat. Nach der in den Versicherungsbedingungen der Beklagten enthaltenen "Leistungsübersicht auf einen Blick" umfasst der Reiseschutzbrief u.a. eine "Reiserücktrittskostenversicherung für die Absicherung eines Reisepreises von 3.000 €". In den nachfolgenden Erläuterungen zum "Umfang des Versicherungsschutzes und der Leistungen" heißt es:

"Reiserücktrittskosten-Versicherung
Der Versicherungsschutz dient zur Abdeckung eines Reisepreises von 3.000 € beim Schutzbrief. Versichert sind u.a. Stornokosten bei Nichtantritt der Reise bis zu 80 % des Reisepreises."

Die in das Versicherungsverhältnis einbezogenen Allgemeinen Bedingungen der Beklagten für die Reise-Rücktrittskosten-Versicherung (ABRV) lauten auszugsweise:

"§ 1 Versicherungsumfang
1. Der Versicherer leistet Entschädigung:
a) bei Nichtantritt der Reise für die dem Reiseunternehmen oder einem anderen vom Versicherten vertraglich geschuldeten Rücktrittskosten;"

Im August 2019 buchte der Kläger bei einer Fluggesellschaft Hin- und Rückflüge von Deutschland in die USA, die er mit Bonusmeilen aus einem von der Fluggesellschaft angebotenen Bonusprogramm bezahlte. Aufgrund einer Erkrankung stornierte der Kläger die Flugreise. In Übereinstimmung mit den Bedingungen der Fluggesellschaft wurden ihm die eingesetzten Bonusmeilen infolge des Nichtantritts der Flugreise nicht erstattet. Der Kläger verlangt von der Beklagten Entschädigung für die eingesetzten Bonusmeilen bis zur versicherungsvertraglich vereinbarten Haftungshöchstsumme.

AG und LG wiesen die Klage ab. Auf die Revision des Klägers hob der BGH das Berufungsurteil auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das LG zurück.

Die Gründe:
Die vom Versicherer gem. § 1 Nr. 1 Buchst. a ABRV im Versicherungsfall zu leistende Entschädigung für die einem Reiseunternehmen oder einem anderen vertraglich geschuldeten Rücktrittskosten umfasst auch den Ersatz für Bonusmeilen, die eine versicherte Person zur Begleichung angefallener Reisekosten eingesetzt hat und die sie gemäß den Bedingungen des Bonusmeilenprogramms nach Stornierung der Reise nicht erstattet erhält. Dies ergibt die Auslegung der Klausel.

Ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer entnimmt dem Wortlaut des § 1 Nr. 1 Buchst. a ABRV das Versprechen der Beklagten, ihn bei Nichtantritt der Reise für die dem Reiseunternehmen oder einem anderen von der versicherten Person vertraglich geschuldeten Rücktrittskosten zu entschädigen. Als zu entschädigende Rücktrittskosten wird er die von ihm vertraglich geschuldete Gegenleistung ansehen, soweit sie ihm infolge des Nichtantritts der Reise nicht erstattet wird. Eine Beschränkung auf Geldzahlungen oder handelbare Leistungen wird er dagegen nicht annehmen. Dem Bedingungswortlaut wird er eine Beschränkung des Leistungsversprechens nur dahingehend entnehmen, dass es sich um solche Kosten handeln muss, die die versicherte Person dem Reiseunternehmen oder einem anderen vertraglich schuldet.

In diesem Verständnis wird sich der Durchschnittsversicherte durch den ihm erkennbaren Sinnzusammenhang der Bedingungen und den Zweck der Reiserücktrittskostenversicherung bestätigt sehen. Vom Abschluss einer Reiserücktrittskostenversicherung wird er sich Schutz vor solchen Kosten versprechen, die dadurch entstehen, dass die versicherte Person eine gebuchte Reise krankheitsbedingt nicht antreten kann. Die Reiserücktrittskostenversicherung soll gegen einen Schaden in Gestalt nutzloser Aufwendungen für die ausgefallene Reise absichern. Versichert ist das Interesse, von Unwägbarkeiten und finanziellen Risiken befreit zu werden, die mit der Buchung einer Reise verbunden sind, deren Antritt ggf. erst Wochen oder Monate später ansteht.

Hieraus wird der Versicherungsnehmer ableiten, dass der Versicherer verspricht, für eine konkrete Vermögenseinbuße infolge des Nichtantritts der Reise aufzukommen. Als Vermögenseinbuße wird er nicht nur Geldzahlungen, sondern auch sonstige Vermögensnachteile ansehen. Er wird aus dem ihm erkennbaren Sinn der Reiserücktrittskostenversicherung ableiten, dass sich das Leistungsversprechen des Versicherers darauf bezieht, für eine konkrete Vermögenseinbuße aufzukommen, die dem Versicherungsnehmer oder der mitversicherten Person wegen des Nichtantritts einer Reise aufgrund eines versicherten Ereignisses entsteht. Darunter wird er auch nutzlose Aufwendungen fassen, für die es keinen Markt gibt, an dem sie gekauft oder verkauft werden können, solange die aufgewandten Vermögensbestandteile für die versicherte Person werthaltig sind. Werden solche Aufwendungen infolge des Nichtantritts der Reise nicht erstattet, verwirklicht sich auch darin ein mit der Buchung einer Reiseleistung verbundenes finanzielles Risiko.

So liegt es bei den vom Kläger für die Flugreise aufgewandten Bonusmeilen. Ihnen kommt ungeachtet ihrer fehlenden Handelbarkeit ein Wert zu, weil der Kläger sie im Rahmen des Bonusprogramms als Gegenleistung für angebotene Waren oder Dienstleistungen einsetzen kann. Demgegenüber kommt es für das Vorliegen bedingungsgemäßer Rücktrittskosten auf die vom OLG aufgeworfenen Fragen, ob die versicherte Person die Bonusmeilen gegen eine Gegenleistung erworben hat oder ob es sich bei Bonuspunkten im Rahmen von Kundenbindungsprogrammen um sog. E-Geld i.S.v. § 1 Abs. 2 Satz 3 des Gesetzes über die Beaufsichtigung von Zahlungsdiensten handelt, nicht an.

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