11.12.2023

Reisewarnung wegen Corona auf Mallorca: Rücktritt von der Pauschalreise wegen außergewöhnlicher Umstände

Bei der Beurteilung, ob unvermeidbare und außergewöhnliche Umstände dazu führen, dass die Durchführung der Pauschalreise erheblich beeinträchtigt ist, kann von Bedeutung sein, ob die mit der Durchführung verbundenen Risiken bei Buchung der Reise bereits bestanden oder zumindest absehbar waren (Bestätigung von BGH v. 19.9.2023 - X ZR 103/22). Absehbar in diesem Sinne ist ein Risiko auch dann, wenn im Zeitpunkt der Buchung ungewiss ist, wie sich die Situation weiter entwickeln wird, und eine erhebliche Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass es innerhalb kurzer Zeit zu gravierenden Veränderungen kommt. Durch die Buchung der Reise in einer solchen Situation gibt der Reisende grundsätzlich zu erkennen, dass er das sich aus der bestehenden Ungewissheit ergebende Risiko in Kauf nimmt. Hieran muss er sich festhalten lassen, wenn sich das Risiko verwirklicht.

BGH v. 14.11.2023 - X ZR 115/22
Der Sachverhalt:
Der Kläger beansprucht die Rückzahlung des für eine Pauschalreise gezahlten Reisepreises. Er buchte am 7.7.2021 bei der Beklagten für sich und seine Familie eine Flugreise mit Hotelaufenthalt nach Mallorca, die vom 29.7. bis zum 7.8.2021 stattfinden und rd. 2.600 € kosten sollte. Der Kläger bezahlte den Reisepreis vollständig.

Am 11.7.2021 stufte das Robert-Koch-Institut Spanien einschließlich der Balearen als Risikogebiet ein. Am 27.7.2021 erfolgte die Einstufung als Hochrisikogebiet und das Auswärtige Amt sprach eine Reisewarnung aus. Am 28.7.2021 stornierte der Kläger die Reise unter Bezugnahme auf die pandemiebedingten Risiken am Urlaubsort. Die Beklagte erstattete dem Kläger den Reisepreis abzgl. einer Stornierungsgebühr i.H.v. 80 % des Reisepreises.

Das AG gab der Klage statt und verurteilte die Beklagte zur Zahlung von rd. 2.100 €. Das LG wies die Klage ab. Die Revision des Klägers blieb vor dem BGH erfolglos.

Die Gründe:
Die Beklagte hat gem. § 651h Abs. 1 Satz 2 BGB ihren Anspruch auf den Reisepreis verloren, weil der Kläger nach § 651h Abs. 1 Satz 1 BGB wirksam von dem Pauschalreisevertrag zurückgetreten ist. Die Beklagte kann jedoch dem Anspruch auf Erstattung der Anzahlung einen Entschädigungsanspruch aus § 651h Abs. 1 Satz 3 BGB entgegenhalten; dieser Anspruch ist vorliegend auch nicht nach § 651h Abs. 3 Satz 1 BGB ausgeschlossen.

Zu Recht ist das LG davon ausgegangen, dass die Covid-19-Pandemie im Streitfall einen unvermeidbaren und außergewöhnlichen Umstand i.S.v. § 651h Abs. 3 Satz 2 BGB darstellt. Ebenfalls zu Recht hat es entschieden, dass im Streitfall keine erhebliche Beeinträchtigung der Reise zu besorgen war. Für die Frage, ob eine erhebliche Beeinträchtigung besteht, kann von Bedeutung sein, ob die mit der Durchführung verbundenen Risiken bei Buchung der Reise bereits bestanden oder zumindest absehbar waren. Wie der Senat nach Erlass des angefochtenen Urteils entschieden hat, kann eine erhebliche Beeinträchtigung jedenfalls dann zu verneinen sein, wenn bei Vertragsschluss Umstände vorliegen oder absehbar sind, die der Durchführung der Reise zwar nicht zwingend entgegenstehen, aber doch so gravierend sind, dass nicht jeder Reisende die damit verbundenen Risiken auf sich nehmen möchte. Einem Reisenden, der in einer solchen Situation eine Reise bucht, ist es in der Regel zumutbar, die Reise auch dann anzutreten, wenn die im Zeitpunkt der Buchung bestehenden oder absehbaren Risiken zum Zeitpunkt des Reisebeginns fortbestehen (BGH v. 19.9.2023 - X ZR 103/22).

Absehbar in diesem Sinne ist ein Risiko nicht nur dann, wenn es im Zeitpunkt der Buchung nahezu unausweichlich erscheint, dass sich das Risiko bis zum geplanten Beginn der Reise verwirklichen wird. Ausreichend ist vielmehr, wenn im Zeitpunkt der Buchung ungewiss ist, wie sich die Situation weiter entwickeln wird, und eine erhebliche Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass es innerhalb kurzer Zeit zu gravierenden Veränderungen kommt. Demzufolge ist die Bewertung des LG, dass die im Streitfall vorliegenden Umstände nicht zu einer erheblichen Beeinträchtigung i.S.v. § 651h Abs. 3 BGB geführt haben, aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Zu Recht ist das LG davon ausgegangen, dass der Reisewarnung des Auswärtigen Amts zwar Indizwirkung zukommt, hieraus aber nicht zwingend folgt, dass eine erhebliche Beeinträchtigung zu bejahen ist. Wie der Senat bereits entschieden hat, ist es dem Reisenden in der Regel zumutbar, die Reise auch dann anzutreten, wenn bereits bei Buchung der Reise eine Reisewarnung bestanden hat, diese auch bei Reisebeginn weiterhin oder wieder besteht und die Risikolage sich nicht wesentlich verändert hat.

Im Streitfall hat sich die Risikolage zwischen dem Zeitpunkt der Buchung und dem Zeitpunkt des vorgesehenen Reisebeginns zwar verändert. Es war allerdings bereits bei Buchung aus allgemein zugänglichen Informationsquellen ersichtlich, dass aufgrund des Verhaltens von Urlaubern auf Mallorca ein schneller Anstieg der damals noch relativ geringen Infektionsraten befürchtet wurde. Die Würdigung des LG, dass die spätere Entwicklung schon bei Buchung absehbar war, ist insoweit nicht zu beanstanden. Den Feststellungen ist zwar nicht zu entnehmen, dass ein schneller Anstieg der Inzidenzen, die Einstufung als Risiko- bzw. Hochrisikogebiet und eine Reisewarnung im Zeitpunkt der Buchung als nahezu unausweichlich erschienen. Aus ihnen ergibt sich aber, dass ein Zustand der Ungewissheit bestand, der eine erhebliche Wahrscheinlichkeit für kurzfristige Veränderungen dieser Art begründete.

Mehr zum Thema:

Rechtsprechung:
Pauschalreise-Rücktritt wegen außergewöhnlicher Umstände
BGH vom 19.09.2023 - X ZR 103/22
MDR 2023, 1506
MDR0061589

Kurzbeitrag:
Vertragsrecht
MDR 2023, R262
MDR0060616

Aufsatz:
Die Entwicklungen des Pauschalreiserechts im Jahr 2022
Charlotte Achilles-Pujol, MDR 2023, 1077

Aufsatz:
Pauschalreiserecht: Die COVID-19-Pandemie und das Recht zum kostenlosen Rücktritt vor Reisebeginn
Klaus Tonner, MDR 2023, 1

Kommentierung | BGB
§ 651h Rücktritt vor Reisebeginn
Blankenburg in Erman, BGB, 17. Aufl. 2023
09/2023

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