23.04.2025

Rom II: Direktklage des Geschädigten gegen den Versicherer des Haftenden

Art. 18 der Verordnung (EG) Nr. 864/2007 (Rom-II-VO) lässt eine Direktklage des Geschädigten gegen den Versicherer des Haftenden zu, falls sie entweder nach dem auf das außervertragliche Schuldverhältnis oder nach dem auf den Versicherungsvertrag anzuwendenden Recht vorgesehen ist. Die Anwendbarkeit der Regelung setzt voraus, dass der Geschädigte gegen den Haftenden einen Anspruch aus einem außervertraglichen Schuldverhältnis hat. Art. 18 der Verordnung ist nicht anwendbar, wenn dem Geschädigten aufgrund eines mit dem Haftenden geschlossenen Vertrags über die Beförderung von Gütern ein Schadensersatzanspruch zusteht.

BGH v. 20.2.2025 - I ZR 39/24
Der Sachverhalt:
Die Klägerin ist alleiniger Verkehrshaftungsversicherer der N. S. GmbH (Versicherungsnehmerin der Klägerin). Die Versicherungsnehmerin der Klägerin wurde von dem Spediteur R. am 5.2.2020 zu einem fixen Entgelt von 530 € damit beauftragt, am 10.2.2020 in Uelzen eine Partie Pulvermischungen, insgesamt 16 Kolli mit 10.130 kg, zu übernehmen und nach Nidda-Harb zu befördern. Der Spediteur hatte seinerseits einen entsprechenden Auftrag von der Versenderin des Transportguts erhalten. Die Versicherungsnehmerin der Klägerin gab den Auftrag an den in Polen wohnhaften Beklagten zu 1) weiter, dessen Haftungsversicherung die Beklagte zu 2) ist, die ihren Geschäftssitz ebenfalls in Polen hat. Der Beklagte zu 1) nahm die Sendung in einwandfreiem Zustand auf sein Fahrzeug. Bei Ankunft bei der Empfängerin war die Ware massiv durchnässt. Die Empfängerin verweigerte die Annahme. Ein Sachverständiger stellte einen Totalschaden fest und bezifferte diesen auf rd. 92.000 €.

Der Spediteur R. wurde durch rechtskräftiges Urteil des LG Mannheim vom 11.11.2021 zum Schadensersatz an den Versicherer der Versenderin des Transportguts i.H.v. rd. 92.000 € nebst Zinsen verurteilt. In diesem Rechtsstreit hatte die Versicherungsnehmerin der Klägerin beiden Beklagten den Streit verkündet, nachdem ihr selbst von dem Spediteur R. der Streit verkündet worden war. Die Versicherer des Spediteurs R. erwirkten sodann ein Urteil des LG Mannheim vom 1.7.2022, mit dem die Versicherungsnehmerin der Klägerin zur Erstattung des Schadensbetrags und der Prozesskosten abzgl. eines von der Beklagten zu 2) entrichteten Betrags verurteilt wurde. Die Klägerin beglich die Summe, die ihre Versicherungsnehmerin zu zahlen hatte, und verlangt im vorliegenden Rechtsstreit von den Beklagten gesamtschuldnerisch Ersatz von ihr gezahlter Beträge i.H.v. rd. 70.000 €, sowie zweimal je rd. 7.000 jeweils nebst Zinsen.

Das LG gab der Klage bis auf einen Teil des Zinsanspruchs statt. Das OLG gab ihr unter Klageabweisung im Übrigen teilweise statt und verurteilte den Beklagten zu 1) zur Zahlung von Beträgen i.H.v. rd. 59.000 €, sowie zweimal je rd. 7.000 €, insgesamt rd. 73.000 €, nebst Zinsen. Die gegen die Beklagte zu 2) gerichtete Klage wies das OLG ab. Die Revision der Klägerin hatte vor dem BGH keinen Erfolg.

Die Gründe:
Die Revision wendet sich ohne Erfolg gegen die Beurteilung des OLG, der Klägerin stehe gegen die Beklagte zu 2) kein Direktanspruch zu, mit dem sie die Mitverpflichtung der Beklagten zu 2) als Gesamtschuldnerin neben dem Beklagten zu 1) geltend machen könne. Die Klägerin kann einen solchen Direktanspruch nicht gem. Art. 18 Verordnung (EG) Nr. 864/2007 (Rom-II-VO) aus Art. 822 § 4 Abs. 4 des Polnischen Zivilgesetzbuchs herleiten. Ein derartiger Direktanspruch ergibt sich auch nicht aus dem nach der Verordnung (EG) Nr. 593/2008 (Rom-I-Verordnung) für den von den beiden Beklagten geschlossenen Versicherungsvertrag maßgeblichen deutschen Recht.

Art. 18 Rom-II-VO lässt eine Direktklage des Geschädigten gegen den Versicherer des Haftenden zu, falls sie entweder nach dem auf das außervertragliche Schuldverhältnis oder nach dem auf den Versicherungsvertrag anzuwendenden Recht vorgesehen ist. Art. 18 Rom-II-VO ist hier aber nicht anwendbar. Die Regelung setzt voraus, dass der Geschädigte gegen den Haftenden einen Anspruch aus einem außervertraglichen Schuldverhältnis hat. Diese Voraussetzung ist hier nicht erfüllt, weil der von der Klägerin geltend gemachte Anspruch ihrer Versicherungsnehmerin gegen den Beklagten zu 1) auf einem Frachtvertrag und damit auf einem vertraglichen und nicht auf einem außervertraglichen Schuldverhältnis beruht. Art. 18 Rom-II-VO ist nicht anwendbar, wenn dem Geschädigten aufgrund eines mit dem Haftenden geschlossenen Vertrags über die Beförderung von Gütern ein Schadensersatzanspruch zusteht.

Das OLG hat zu Recht angenommen, dass das deutsche Recht, dem der zwischen den beiden Beklagten geschlossene Versicherungsvertrag nach den Vorschriften der Rom-I-Verordnung unterliegt, keinen Direktanspruch der Versicherungsnehmerin der Klägerin gegen die Beklagte zu 2) gewährt. Ist nach Art. 15 Rom-I-VO für das Verhältnis zwischen dem Geschädigten und seinem Versicherer deutsches Recht maßgeblich, geht nach § 86 Abs. 1 Satz 1 VVG nicht nur der frachtvertragliche Anspruch des Geschädigten, sondern auch dessen etwaiger Direktanspruch gegen den Versicherer des Haftenden auf den Versicherer über, soweit der Versicherer den Schaden ersetzt hat.

Da die Haftpflichtversicherung gem. § 7a Abs. 1 GüKG, mit der die gesetzliche Haftung während der Beförderung wegen Güter- und Verspätungsschäden bei Be- und Entladeort im Inland versichert wird, eine Pflichtversicherung ist, untersteht der Versicherungsvertrag nach Art. 7 Abs. 4 Buchst. b Rom-I-VO, Art. 46d Abs. 2 EGBGB insoweit dem deutschen Recht, auch wenn sowohl der Haftende als auch seine Versicherung ihren Sitz nicht im Inland haben. Ist auf das Verhältnis zwischen dem Haftenden und seinem Versicherer deutsches Recht anzuwenden, kann der Geschädigte gegen den Versicherer des Haftenden keinen Direktanspruch geltend machen, wenn die Voraussetzungen des § 115 Abs. 1 Satz 1 VVG nicht vorliegen. Dass das am Sitz des Haftenden und seinem Versicherer geltende Recht einen solchen Direktanspruch vorsieht, ist unerheblich.

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