09.04.2025

Rücksichtnahmegebot in der Zwangsvollstreckung - Wohl der gemeinsamen Kinder

Ob das Betreiben der Teilungsversteigerung gegenüber dem anderen Ehegatten rücksichtslos ist, ist unter Abwägung der beiderseitigen Interessen zu ermitteln. Bei der erforderlichen umfassenden Würdigung aller konkreten Einzelumstände sind nicht nur die Vermögensinteressen, sondern auch die sonstigen berechtigten Interessen der geschiedenen Ehegatten, insbesondere das Wohl der gemeinsamen Kinder zu berücksichtigen.

AG Frankenthal v. 24.3.2025 - 5 K 13/24
Der Sachverhalt:
Gegenstand des Erinnerungsverfahrens ist die öffentlich-rechtliche Verstrickung des im gemeinsamen Eigentum stehenden Wohnhauses der Parteien aufgrund einer durch das AG am 21.6.2024 angeordneten Zwangsversteigerung. Bei den Parteien handelt es sich um Eheleute, bei denen ein Scheidungsverfahren bereits rechtshängig, allerdings noch nicht rechtskräftig entschieden ist. Das Grundstück steht im Miteigentum beider Parteien, wobei der Erinnerungsführerin ein Anteil von 2/3 und dem Erinnerungsgegner ein Anteil von 1/3 zusteht.

Die Erinnerungsführerin bewohnt das Haus mit den beiden gemeinsamen Kindern. Die Tochter befindet sich in kinderpsychologischer Behandlung. Die Erinnerungsführerin behauptete, die Tochter befände sich aufgrund der Trennungssituation in kinderpsychologischer Behandlung, da sie mit dieser nicht umgehen könne. Sie beantragte, den Beschluss vom 21.6.24 aufzuheben und den Antrag auf Teilungsversteigerung zurückzuweisen.

Das AG hat dem Antrag stattgegeben.

Die Gründe:
Die Erinnerung ist begründet. Vorliegend stand der § 1353 Abs. 1 Satz 2 BGB der Zwangsversteigerung und damit dem Beschluss vom 21.6.2024 entgegen. § 1365 BGB war indes nicht anwendbar.

Der Antrag auf Anordnung der Zwangsversteigerung zum Zwecke der Aufhebung der Miteigentümergemeinschaft (§ 180 i.V.m. § 5 ZVG) ist zustimmungsbedürftig, wenn der Grundstücksanteil das nahezu gesamte Vermögen des Ehegatten darstellt. Da der Versteigerungsantrag in diesem Fall auf die Veräußerung eines Grundstücksanteils zielt, über den der Ehegatte nicht alleine verfügen darf, gebietet, so die Begründung des Schutzzwecks des § 1365 BGB dessen analoge Heranziehung. Die direkte Anwendung des § 1365 BGB verbietet sich insofern, als der Antrag nach § 180 ZVG verfahrensrechtlicher Natur ist und weder eine materiell-rechtliche Verfügung über das Miteigentum noch eine Verpflichtung hierzu enthält.

Gegen diese Ausdehnung des Anwendungsbereiches spricht allerdings, dass es nicht dessen Sinn ist, Ehegatten auch die Freiheit zur Beendigung von Gemeinschaftsverhältnissen zu nehmen. Ein derartig weitgehender Eingriff in die Sphäre bürgerlicher Selbstbestimmung ist durch die Interessen der Familie nicht gerechtfertigt. Aus dem gleichen Grund verbietet sich auch die entsprechende Anwendung des § 1365 BGB auf den Teilungsversteigerungsantrag im Fall der Miteigentumsgemeinschaft der Ehegatten. Deren Bestand kann der andere Ehegatte nur mit Hilfe des § 1353 Abs. 1 Satz 2 BGB sichern, der die Handlungsfreiheit und Rechtsausübung eines Ehegatten unter den Vorbehalt der Rücksichtnahme auf die eheliche Beziehung stellt. Aus dem daraus folgenden Gebot der Rücksichtnahme wird u.a. der Ausschluss des Aufhebungsanspruches hinsichtlich des gemeinschaftlichen Eigentums am Familienhaus abgeleitet. Dies gilt jedenfalls während der Zeit der intakten Ehe, regelmäßig auch noch während der Zeit der Trennung und kann auch über den Zeitpunkt der Rechtskraft der Scheidung hinaus wirken. Ob das Betreiben der Teilungsversteigerung gegenüber dem anderen Ehegatten rücksichtslos ist, ist unter Abwägung der beiderseitigen Interessen zu ermitteln.

Bei der erforderlichen umfassenden Würdigung aller konkreten Einzelumstände sind nicht nur die Vermögensinteressen, sondern auch die sonstigen berechtigten Interessen der geschiedenen Ehegatten, insbesondere das Wohl der gemeinsamen Kinder zu berücksichtigen. Das Aufhebungsverlangen ist also nur dann als rechtsmissbräuchlich anzusehen, wenn es zu einem schlechthin unzumutbaren Ergebnis für den widersprechenden Ehegatten führen würde. Und dieser Fall lag hier vor. Für das Aufhebungsverlangen des Erinnerungsgegners sprachen alleine Vermögensinteressen. Die Erinnerungsführerin bewohnt das Haus mit den beiden gemeinsamen Kindern. Durch den Kinderarzt wurde festgestellt, dass die Tochter unter schweren Angststörungen leidet. Jedoch spielten im Rahmen des Rücksichtnahmegebotes nicht nur die Belange des Kindeswohlschutzes eine erhebliche Rolle, sondern auch der Umstand, dass der Erinnerungsführerin 2/3 der Anteile des gemeinsamen Wohnhauses zustehen.

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