07.06.2023

Schadensersatzanspruch der übrigen Wohnungseigentümer aus § 945 ZPO nach erwirkter Aussetzung eines Beschlusses

Hat ein Wohnungseigentümer im Wege der einstweiligen Verfügung die vorübergehende Aussetzung eines Beschlusses erwirkt, so können die übrigen Wohnungseigentümer, gegen die die einstweilige Verfügung unter der Geltung des bis zum 30.11.2020 anwendbaren Rechts ergangen ist, den der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer durch die Beschlussaussetzung entstandenen Schaden aufgrund eines Anspruchs aus § 945 ZPO im Wege der Drittschadensliquidation ersetzt verlangen. Seit Inkrafttreten des WEMoG am 1.12.2020 ist eine auf Suspendierung eines Wohnungseigentümerbeschlusses abzielende einstweilige Verfügung gegen die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer zu richten. Damit ist diese auch selbst Inhaberin eines Anspruchs aus § 945 ZPO.

BGH v. 21.4.2023 - V ZR 86/22
Der Sachverhalt:
Die Parteien sind Mitglieder einer Gemeinschaft der Wohnungseigentümer (GdWE). In der Wohnungseigentümerversammlung vom 17.11.2014 wurde ein Beschluss über Sanierungsarbeiten im Bereich der Balkone gefasst. Mit der Durchführung der Arbeiten beauftragte die Verwalterin der GdWE im April 2015 die Firma G. Bo. KG und die Firma Bö. M. GmbH & Co. KG. Die beklagte Wohnungseigentümerin erwirkte am 29.4.2015 eine einstweilige Verfügung gegen die übrigen Wohnungseigentümer, mit der ein Baustopp angeordnet wurde. Mit Urteil vom 27.5.2015 hob das AG die einstweilige Verfügung auf. Die hiergegen eingelegte Berufung der Beklagten wies das LG mit Beschluss vom 25.9.2015 zurück. Nach Durchführung der Arbeiten stellten die Firmen Bo. und Bö. der GdWE Mehrkosten i.H.v. insgesamt rd. 11.200 € in Rechnung (Fa. Bo.: rd. 600 € und Fa. Bö.: rd. 10.600 €), die durch den Baustopp verursacht worden seien. Die GdWE zahlte die Kosten und forderte die Beklagte erfolglos zur Erstattung auf.

Das AG gab der Klage der übrigen Wohnungseigentümer statt und verurteilte die Beklagte zur Zahlung eines Betrages von rd. 11.200 € nebst Zinsen an die Kläger zu Händen der GdWE. Auf die Berufung der Beklagten änderte das LG die erstinstanzliche Entscheidung dahin ab, dass die Klage von 80 der insgesamt 186 klagenden Wohnungseigentümer wegen fehlender Prozessvollmacht als unzulässig abgewiesen wird und der Zahlungsanspruch im Übrigen erst ab dem 19.1.2019 zu verzinsen ist. Im Übrigen wies es die Berufung der Beklagten zurück. Die Revision der Beklagten hatte vor dem BGH keinen Erfolg.

Die Gründe:
Zutreffend geht das LG davon aus, dass die Kläger dem Grunde nach einen der GdWE in Folge der Vollziehung der einstweiligen Verfügung entstandenen Schaden - nur hierauf ist die Klageforderung gestützt - nach den Grundsätzen einer sog. Drittschadensliquidation geltend machen können.

Nach der Rechtsprechung des BGH kann ein Vertragspartner aufgrund einer Vertragsverletzung einen Schaden nur insoweit geltend machen, als er bei ihm selbst eingetreten ist. In besonders gelagerten Fällen lässt die Rechtsprechung allerdings eine Drittschadensliquidation zu, bei der der Vertragspartner den Schaden geltend machen kann, der bei dem Dritten eingetreten ist, der selbst keinen Anspruch gegen den Schädiger hat. Für die Zulassung einer Drittschadensliquidation ist der Gesichtspunkt maßgebend, dass der Schädiger keinen Vorteil daraus ziehen soll, wenn ein Schaden, der eigentlich bei dem Vertragspartner eintreten müsste, zufällig aufgrund eines zu dem Dritten bestehenden Rechtsverhältnisses auf diesen verlagert ist.

Eine Drittschadensliquidation ist auch in der hier in Rede stehenden Konstellation möglich. Hat ein Wohnungseigentümer im Wege der einstweiligen Verfügung die vorübergehende Aussetzung eines Beschlusses erwirkt, so können die übrigen Wohnungseigentümer, gegen die die einstweilige Verfügung unter der Geltung des bis zum 30.11.2020 anwendbaren Rechts ergangen ist, den der GdWE durch die Beschlussaussetzung entstandenen Schaden aufgrund eines Anspruchs aus § 945 ZPO im Wege der Drittschadensliquidation ersetzt verlangen.

Dass unter der Geltung des bisherigen Rechts Inhaber eines möglichen Anspruchs aus § 945 ZPO die Wohnungseigentümer waren, beruht darauf, dass ein Antrag, mit dem ein Wohnungseigentümer die vorläufige Außervollzugsetzung eines Beschlusses im Wege der einstweiligen Verfügung erstrebte, ebenso wie eine Anfechtungsklage gegen die übrigen Wohnungseigentümer zu richten war. Wenn eine solche einstweilige Verfügung - wie dies typischerweise bei einem Baustopp der Fall ist - dadurch vollzogen wird, dass die beschlossenen Maßnahmen nicht weiter durchgeführt werden können und beauftragte Unternehmen gegenüber der GdWE Verzögerungsschäden geltend machen, treten diese Schäden aber nicht bei den Antragsgegnern des Verfügungsverfahrens, sondern bei der GdWE ein. Diese ist nämlich im Außenverhältnis zu den beauftragten Unternehmen zur Zahlung verpflichtet.

Aus Sicht des Wohnungseigentümers, der die einstweilige Verfügung erwirkt hat, die später aufgehoben worden ist, stellt es einen Zufall dar, bei wem der Schaden eintritt. Es wäre unbillig, wenn er nur deshalb nicht der Haftung aus § 945 ZPO unterliegen würde, weil Anspruch und Schaden auseinanderfallen. Inzwischen kann es allerdings zu einer solchen zufälligen Schadensverlagerung nicht mehr kommen, weil Beklagter einer Anfechtungsklage nunmehr die GdWE ist (§ 44 Abs. 1 Satz 2 WEG). Deshalb ist seit Inkrafttreten des Wohnungseigentumsmodernisierungsgesetzes am 1.12.2020 nach ganz überwiegender und zutreffender Ansicht eine auf Suspendierung eines Wohnungseigentümerbeschlusses abzielende einstweilige Verfügung gegen die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer zu richten. Damit ist diese auch selbst Inhaberin eines Anspruchs aus § 945 ZPO.

Im Übrigen entfällt ein der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer in ihrem Verwaltungsvermögen entstandener Schaden nicht dadurch, dass der Schadensbetrag in die Jahresabrechnung eingestellt und auf die einzelnen Wohnungseigentümer nach dem im Innenverhältnis unter ihnen geltenden Kostenverteilungsschlüssel verteilt wird.

Mehr zum Thema:

Kommentierung | ZPO
§ 945 Schadensersatzpflicht
G. Vollkommer in Zöller, Zivilprozessordnung, 34. Aufl. 2022

Kommentierung | WEG
§ 44 Beschlussklagen
Suilmann in Jennißen (Hrsg.), Wohnungseigentumsgesetz, 7. Aufl. 2022

Aufsatz:
Wohnungseigentum - Aktuelle Entwicklungen zu Eigentümerversammlung, Verwalter und Verfahren
Olaf Riecke, MDR 2023, 206

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