Schutzpflichten eines Bestellers zur Verhinderung von Unfällen beim Zusammenwirken zweier von ihm beauftragter Unternehmer
BGH v. 8.5.2025 - VII ZR 86/24Der klagende gesetzliche Unfallversicherer nimmt bei den Beklagten aufgrund eines am 24.5.2012 erfolgten Arbeitsunfalls des bei ihr versicherten Zeugen T. Rückgriff. Gegenstand des Revisionsverfahrens sind ausschließlich Ansprüche der Klägerin gegen die Beklagte zu 5).
Letztere wurde als Generalunternehmerin mit der Errichtung eines neuen Gebäudes beauftragt. Sie beauftragte ihrerseits die Beklagte zu 3) als Nachunternehmerin mit den Aushubarbeiten sowie die H. G. GmbH als Nachunternehmerin mit den Verbauarbeiten. Der Beklagte zu 2) ist selbständiger Baggerführer und war für die Beklagte zu 3) als Nachunternehmer bei den Aushubarbeiten tätig. Als zuständiger Bauleiter der Beklagten zu 3) fungierte der Beklagte zu 4), der zugleich deren Geschäftsführer ist. Die H. G. GmbH beauftragte wiederum die Streithelferin zu 1), ein Mitgliedsunternehmen der Klägerin, als Nachunternehmerin mit der Einbringung von hölzernen Querträgern. Der Zeuge T war am Unfalltag als Bauhelfer bei der Streithelferin zu 1) beschäftigt. Für die Streithelferin zu 1) war darüber hinaus der Beklagte zu 1) tätig, wobei dessen Funktion bei dem Bauvorhaben streitig ist.
Die zur Absicherung der Baugrube erforderlichen Verbauarbeiten erfolgten in der Weise, dass die H. G. GmbH vor Beginn der Erdarbeiten zunächst Stahlträger in das Erdreich einbrachte. Sodann sollte die Streithelferin zu 1) an den Stahlträgern hölzerne Querträger befestigen. Dazu musste die Baugrube so ausgeschachtet werden, dass die eingebrachten Stahlträger und die zwischen ihnen liegenden Flächen frei zugänglich wurden. Anschließend waren die Innenprofile der Stahlträger von dem Erdreich zu befreien und die hölzernen Querträger einzubauen. Diese Arbeiten konnten nur von Hand erfolgen, so dass sich Personen zu diesem Zweck in die Baugrube begeben mussten. Um ein Einstürzen des Erdreichs zu vermeiden, durfte das Ausschachten der Baugrube, von oben beginnend, nur sukzessive und immer im Wechsel mit dem Einbau der hölzernen Querträger, erfolgen.
T begab sich am Unfalltag in die vom Beklagten zu 2) - entgegen der Weisung des Beklagten zu 4) - zu tief ausgeschachtete Baugrube, um die Innenprofile der Stahlträger zu reinigen und die hölzernen Querträger zu befestigen. Während er die Arbeiten durchführte, kam es zu einem Einsturz des Erdreichs. T wurde verschüttet und verletzte sich schwer. Die Klägerin erkannte den Unfall als Arbeitsunfall an und erbrachte in der Folgezeit Versicherungsleistungen an T. Sie macht gegen die Beklagte zu 5) Ansprüche aus übergegangenem Recht gem. § 116 Abs. 1 Satz 1 SGB X geltend.
LG und OLG gaben - soweit für die Revision von Bedeutung - der Klage gegen die Beklagte zu 5) - als Gesamtschuldnerin neben den Beklagten zu 2) und 3) sowie neben dem Beklagten zu 1), der wie ein Gesamtschuldner haftet - auf Ersatz der aus Anlass des Arbeitsunfalls des Zeugen T erbrachten Aufwendungen i.H.v. rd. 53.000 € nebst Zinsen sowie auf Feststellung der Ersatzpflicht für weitere Aufwendungen, die der Klägerin aus Anlass dieses Arbeitsunfalls entstanden sind und künftig entstehen, i.H.v. 50 % statt. Auf die Revision der Beklagten zu 5) wies der BGH die gegen sie gerichtete Klage ab.
Die Gründe:
Das OLG hat zu Unrecht einen gem. § 116 Abs. 1 Satz 1 SGB X auf die Klägerin übergegangenen Schadensersatzanspruch des Zeugen T gegen die Beklagte zu 5) gem. § 280 Abs. 1 BGB aus dem zwischen dieser und der H. G. GmbH bestehenden Werkvertrag über die Verbauarbeiten nach den Grundsätzen eines Vertrags mit Schutzwirkung zugunsten Dritter bejaht.
Das OLG hat einen Schadensersatzanspruch des T gegen die Beklagte zu 5) ausschließlich damit begründet, dass diese sich das schuldhafte Verhalten der Beklagten zu 2) und 3) bei den Ausschachtungsarbeiten gem. § 278 BGB zurechnen lassen müsse, weil sie sich dieser Personen zur Erfüllung ihrer - auch gegenüber T bestehenden - vertraglichen Schutzpflicht, eine ordnungsgemäße Ausschachtung zwecks Durchführung der Verbauarbeiten zur Verfügung zu stellen, bedient habe. Damit hat das OLG rechtsfehlerhaft den Kreis der vertraglichen Schutzpflichten, die die Beklagte zu 5) als Bestellerin der Verbauarbeiten treffen, überdehnt. Es kann deshalb offenbleiben, ob die Beklagte zu 5) auch gegenüber T als Mitarbeiter der Nachunternehmerin ihrer Vertragspartnerin vertragliche Schutzpflichten hatte und ob die für eine Einbeziehung in den vertraglichen Schutzbereich erforderliche Schutzbedürftigkeit des Zeugen T zu bejahen ist.
Nach der Rechtsprechung des BGH trifft den Besteller einer Werkleistung die vertragliche Pflicht, alles ihm Zumutbare zu tun, um seinen Vertragspartner bei der Ausführung der Arbeiten vor Schaden zu bewahren. Stellt der Besteller das Grundstück oder Arbeitsgerät für die Werkleistung zur Verfügung, erstreckt sich seine vertragliche Pflicht darauf, im Rahmen des Zumutbaren hiervon ausgehende Gefahren für den Vertragspartner zu vermeiden. Dies wird zum Teil aus dem werkvertraglichen Treueverhältnis (§ 242 BGB) und zum Teil aus § 618 Abs. 1 BGB analog hergeleitet. Bei schuldhafter Verletzung der vertraglichen Schutzpflicht haftet der Besteller seinem Vertragspartner und den in den Schutzbereich des Vertrags einbezogenen Personen gem. § 280 Abs. 1 BGB auf Schadensersatz.
Diese Rechtsprechung beruht darauf, dass der Grundgedanke des § 618 Abs. 1 BGB, wonach ein Vertragspartner den von ihm beauftragten anderen Vertragspartner, der bei Ausführung vertragsgemäßer Arbeiten in seinen - des Auftraggebers - Gefahrenbereich kommt, vor drohenden gesundheitlichen Schäden zu schützen hat, auch für Werkverträge Geltung beansprucht, bei denen der Unternehmer zur Herstellung des Werks einen Raum des Bestellers betreten oder mit dessen Gerätschaften arbeiten muss. "Raum" i.S.d. § 618 Abs. 1 BGB sind dabei nach Sinn und Zweck der Vorschrift nicht nur Arbeitsstätten, die sich in einem Gebäude befinden, sondern auch sonstige Örtlichkeiten, an denen die Arbeiten nach dem Vertrag auszuführen sind. Auch die Baustelle fällt im Grundsatz hierunter. Der Besteller ist daher (auch) vertraglich verpflichtet, alles ihm Zumutbare zu tun, um den Unternehmer und die in den Schutzbereich des Vertrags einbezogenen Personen bei der Ausführung der Arbeiten vor Gefahren für die Gesundheit zu bewahren, die von der Baustelle oder dem Unternehmer zur Verfügung gestellten Gerätschaften ausgehen. Verletzt er - oder ein zur Erfüllung der betreffenden Schutzpflichten eingesetzter Erfüllungsgehilfe i.S.d. § 278 BGB - diese Pflicht schuldhaft, haftet er dem Geschädigten aus Vertrag.
Allerdings ist bei der Übertragung des Grundgedankens des § 618 Abs. 1 BGB auf das Werkvertragsrecht zu beachten, dass der vom Besteller beauftragte Unternehmer - anders als der Dienstverpflichtete - seine Arbeiten selbständig und in eigener Verantwortung ausführt. Die Pflicht zur verkehrssicheren Durchführung der Arbeiten trifft deshalb in erster Linie den Unternehmer selbst; er ist hinsichtlich der Ausführung seiner Leistung primär verkehrssicherungspflichtig. Demgemäß wenden sich auch die Unfallverhütungsvorschriften der Berufsgenossenschaften, die die zu beachtenden Sorgfaltspflichten durch Bestimmungen über Sicherheitsmaßnahmen konkretisieren und die Versicherten vor den typischen Gefährdungen des jeweiligen Gewerbes schützen sollen, an den Unternehmer. Der Unternehmer i.S.d. § 631 BGB hat bei der Durchführung der Arbeiten damit - weitergehender als der Dienstverpflichtete - selbst für seinen Schutz und ggf. den Schutz Dritter zu sorgen. Diese Umstände sind (auch) bei der Bestimmung der vertraglichen Schutzpflichten des Bestellers zu berücksichtigen und begrenzen diese. Der Besteller, der einen Unternehmer mit der Ausführung von Arbeiten beauftragt, hat danach - anders als dieser - keine primäre vertragliche Schutzpflicht dahingehend, dass die Arbeiten verkehrssicher durchgeführt werden.
Welche vertraglichen Schutzpflichten der Besteller gegenüber einem von ihm beauftragten Unternehmer oder dessen Mitarbeiter unter Berücksichtigung dieser Grundsätze im Einzelnen hat, kann nur nach den Umständen des Einzelfalls bestimmt werden. So können den Besteller - nach dem Rechtsgedanken des § 618 Abs. 1 BGB - beispielsweise vertragliche Schutzpflichten in Bezug auf Gefahren treffen, die von der Baustelle oder dem Unternehmer zur Verfügung gestellten Gerätschaften ausgehen. Ferner können bei ihm vertragliche Schutzpflichten in Bezug auf die verkehrssichere Durchführung der Arbeiten des Unternehmers beispielsweise dann verbleiben, wenn er Gefahrenquellen erkannt hat.
Nach diesen Maßstäben hat das OLG zu Unrecht angenommen, die Beklagte zu 5) hafte T, weil sie sich das Verschulden der Beklagten zu 2) und 3) bei der Durchführung der Ausschachtungsarbeiten gem. § 278 BGB zurechnen lassen müsse. Nach den Feststellungen des OLG hat die Beklagte zu 5) zur Herstellung einer Baugrube als Nachunternehmer die Beklagte zu 3) mit den Ausschachtungsarbeiten sowie die H. G. GmbH mit den Verbauarbeiten beauftragt. Hierbei sollten die Nachunternehmer arbeitsteilig in der Weise zusammenwirken, dass das Ausschachten der Baugrube, von oben beginnend, sukzessive und immer im Wechsel mit dem Einbau der hölzernen Querträger erfolgen sollte. Die Pflicht zur sicheren Durchführung dieser Arbeiten unter Einhaltung der Unfallverhütungsvorschriften traf danach nicht die Beklagte zu 5) als Bestellerin, sondern die letztlich mit der arbeitsteiligen Ausführung beauftragten Unternehmer.
Mehr zum Thema:
Kommentierung | BGB
§ 280 Schadensersatz wegen Pflichtverletzung
Ulber in Erman, BGB, 17. Aufl. 2023
09/2023
Kommentierung | BGB
§ 328 Vertrag zugunsten Dritter
Bayer in Erman, BGB, 17. Aufl. 2023
09/2023
Kommentierung | BGB
§ 618 Pflicht zu Schutzmaßnahmen
Riesenhuber in Erman, BGB, 17. Aufl. 2023
09/2023
Beratermodul Zivilrecht und Zivilverfahrensrecht
Otto Schmidt Answers optional dazu buchen und die KI 4 Wochen gratis nutzen! Die Answers-Lizenz gilt für alle Answers-fähigen Module, die Sie im Abo oder im Test nutzen. Jetzt neu und zusätzlich mit der GVRZ - Zeitschrift für das gesamte Verfahrensrecht! 4 Wochen gratis nutzen!