24.08.2023

Selbständige Beschwer gegen Eheaufhebungsbeschluss

Die in einem Eheaufhebungsbeschluss des AG getroffenen Feststellungen, dass zugunsten des einen - die Eheaufhebung beantragenden - Ehegatten ein Eheaufhebungsgrund nach § 1314 Abs. 2 Nr. 4 BGB besteht, hingegen für den anderen - ebenfalls die Aufhebung der Ehe beantragenden - Ehegatten ein solcher nach Abs. 2 Nr. 3 dieser Vorschrift nicht gegeben ist, begründen für letzteren Ehegatten eine jeweils selbständige Beschwer i.S.v. § 59 Abs. 1 FamFG. Diese kann er mit der Beschwerde gegen den stattgebenden Eheaufhebungsbeschluss unabhängig davon geltend machen, dass er selbst die Aufhebung der Ehe beantragt hat.

BGH v. 31.5.2023 - XII ZB 274/21
Der Sachverhalt:
Die Parteien hatten im Dezember 2018 in Afghanistan geheiratet. Der Antragsgegner lebte zu diesem Zeitpunkt bereits in Deutschland. Die Antragstellerin reiste im Februar 2020 nach Deutschland ein. Mit im Juni 2020 dem Antragsgegner zugestelltem Antrag hat die Antragstellerin beim AG die Aufhebung der Ehe mit der Begründung begehrt, sie sei zur Eheschließung gezwungen worden. Der Antragsgegner hat ebenfalls Antrag auf Aufhebung der Ehe gestellt und diesen darauf gestützt, er sei von der Antragstellerin hinsichtlich der Eingehung der Ehe arglistig getäuscht worden.

Das AG hat die Ehe auf der Grundlage des von der Antragstellerin geltend gemachten Aufhebungsgrundes aufgehoben; den vom Antragsgegner vorgebrachten Aufhebungsgrund hat es hingegen nicht als durchgreifend erachtet. Das OLG hat die dagegen vom Antragsgegner eingelegte Beschwerde verworfen. Auf die Rechtsbeschwerde des Antragsgegners hat der BGH den Beschluss aufgehoben und die Sache zur erneuten Behandlung und Entscheidung an das OLG zurückverwiesen.

Gründe:
Die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte, die unbeschadet des Wortlauts des § 72 Abs. 2 FamFG auch in den Verfahren nach dem Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit in der Rechtsbeschwerdeinstanz von Amts wegen zu prüfen ist, ergab sich vorliegend aus Art. 100 Abs. 2 der Verordnung (EU) 2019/1111 des Rates vom 25.6.2019 über die Zuständigkeit, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und über internationale Kindesentführungen, weil das Eheaufhebungsverfahren vor dem 1.8.2022 eingeleitet worden war und beide Ehegatten ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland haben.

Das OLG hat die Beschwerde des Antragsgegners zu Unrecht mangels Beschwer verworfen. Denn die vom AG getroffenen Feststellungen, dass zugunsten der Antragstellerin ein Eheaufhebungsgrund nach § 1314 Abs. 2 Nr. 4 BGB (Zwangsehe) bestehe, hingegen ein solcher für den Antragsgegner nach Abs. 2 Nr. 3 dieser Vorschrift (arglistige Täuschung) nicht gegeben sei, begründeten für den Antragsgegner eine jeweils selbständige Beschwer i.S.v. § 59 Abs. 1 FamFG. Danach steht die Beschwerde demjenigen zu, der durch den Beschluss in seinen Rechten beeinträchtigt ist.

Eine Rechtsbeeinträchtigung liegt vor, wenn der Entscheidungssatz des angefochtenen Beschlusses unmittelbar in ein dem Beschwerdeführer zustehendes Recht eingreift. Die angefochtene Entscheidung muss daher ein bestehendes Recht des Beschwerdeführers aufheben, beschränken, mindern, ungünstig beeinflussen oder gefährden, die Ausübung dieses Rechts stören oder dem Beschwerdeführer die mögliche Verbesserung seiner Rechtsstellung vorenthalten oder erschweren. Eine Beeinträchtigung lediglich wirtschaftlicher, rechtlicher oder sonstiger berechtigter Interessen genügt dagegen nicht.

Infolgedessen fehlte es dem Antragsgegner nicht an einer unmittelbaren Rechtsbeeinträchtigung. Denn er war (jedenfalls) aufgrund der für ihn nachteiligen Rechtsfolgen, die gem. § 1318 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 BGB im Fall der Eheaufhebung nach § 1314 Abs. 2 Nr. 4 BGB eintreten, unmittelbar in seinen Rechten betroffen. Gleiches galt, soweit dem Antragsgegner aufgrund der Entscheidung des AG die für ihn günstigen Rechtsfolgen des § 1318 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 BGB vorenthalten wurden, die eintreten würden, sofern die Ehe - wie von ihm beantragt - nach der Vorschrift des § 1314 Abs. 2 Nr. 3 BGB aufgehoben wird. Nach § 1318 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 BGB finden in dem Fall, dass eine Ehe nach § 1314 Abs. 2 Nr. 3 oder 4 BGB aufgehoben wird, die Vorschriften über den nachehelichen Unterhalt (§§ 1569 bis 1586 b BGB) entsprechende Anwendung nur zugunsten desjenigen Ehegatten, der von dem anderen oder mit dessen Wissen getäuscht oder bedroht worden ist. Im Übrigen besteht in diesem Fall kein Anspruch auf nachehelichen Unterhalt.

Nach Maßgabe der vom AG im Eheaufhebungsbeschluss getroffenen Feststellungen stellten sich diese unterhaltsrechtlichen Folgen für den Antragsgegner ausschließlich nachteilig dar. Denn hiernach schied für ihn ein nachehelicher Unterhaltsanspruch mangels Vorliegens eines Aufhebungsgrundes nach § 1314 Abs. 2 Nr. 3 BGB aus. Hingegen kam ein solcher für die Antragstellerin ihm gegenüber aufgrund Aufhebung der Ehe nach Abs. 2 Nr. 4 dieser Vorschrift in Betracht. Der Zulässigkeit der Beschwerde des Antragsgegners stand auch nicht § 59 Abs. 2 FamFG entgegen. Soweit der Antragsgegner beantragt hatte, die Ehe auf der Grundlage von § 1314 Abs. 2 Nr. 3 BGB aufzuheben, war er formell beschwert.

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