Selbständiges Beweisverfahren: Abweichende Kostenentscheidung in nachfolgendem Klageverfahren geht vor
BGH v. 23.7.2025 - VII ZB 26/23
Der Sachverhalt:
Die Beklagte wendet sich gegen einen Kostenfestsetzungsbeschluss des LG, soweit sie hiernach im Rahmen der durchgeführten Kostenausgleichung 81 % der ihr in einem vorangegangenen selbständigen Beweisverfahren entstandenen Kosten selbst zu tragen hat. Nach Beendigung des von den Klägern gegen die Beklagte eingeleiteten selbständigen Beweisverfahrens wurde den Klägern durch Beschluss gem. § 494a Abs. 2 ZPO eine Frist von einem Monat zur Erhebung der Klage gesetzt. Nach Ablauf der Frist beschloss das LG, dass die Kläger die Kosten der Beklagten im selbständigen Beweisverfahren zu tragen haben. Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde der Kläger blieb erfolglos.
Im sich anschließenden Klageverfahren erlegte das LG die Kosten des Rechtsstreits den Klägern zu 19 % und der Beklagten zu 81 % auf. Die Berufung der Beklagten wurde vom OLG als unzulässig verworfen. Das LG - Rechtspflegerin - erließ sodann einen Kostenfestsetzungsbeschluss, in dem nach Kostenausgleichung die von der Beklagten an die Klägerin insgesamt zu erstattenden Kosten auf rd. 14.400 € nebst Zinsen festgesetzt wurden. Hierbei berücksichtigte das AG die außergerichtlichen Kosten der Beklagten im selbständigen Beweisverfahren i.H.v. rd. 4.200 € in der Weise, dass die Beklagte rd. 1.900 € (19 %) von den Klägern erstattet verlangen könne und rd. 3.400 € (81 %) selbst zu tragen habe. Die sofortige Beschwerde, mit der die Beklagte geltend gemacht hat, dass ihre Kosten im selbständigen Beweisverfahren entsprechend der dort ergangenen Kostengrundentscheidung von den Klägern zu tragen seien, blieb erfolglos.
Die Rechtsbeschwerde der Beklagten hatte vor dem BGH keinen Erfolg.
Die Gründe:
Im Kostenfestsetzungsbeschluss ist das LG zutreffend davon ausgegangen, dass die Beklagte nur 19 % der ihr im selbständigen Beweisverfahren entstandenen Kosten von den Klägern ersetzt verlangen kann und den Rest selbst zu tragen hat.
Ein selbständiges Beweisverfahren (§§ 485 ff. ZPO) kann gem. § 485 Abs. 1 ZPO unter den dort genannten Voraussetzungen auch außerhalb eines Streitverfahrens und - wenn ein Rechtsstreit noch nicht anhängig ist - in Form der schriftlichen Begutachtung durch einen Sachverständigen unter den Voraussetzungen des § 485 Abs. 2 ZPO beantragt werden. Es steht, wenn sich eine Partei auf die Tatsachen, über die selbständig Beweis erhoben worden ist, im Prozess beruft, gem. § 493 ZPO einer Beweisaufnahme vor dem Prozessgericht gleich. Voraussetzung ist lediglich, dass eine (zumindest teilweise) Identität zwischen den Parteien und den Gegenständen beider Verfahren besteht. Wird ein solcher Rechtsstreit (später) geführt, umfassen dementsprechend die Kosten dieses Rechtsstreits auch die Kosten des (vorangegangenen) selbständigen Beweisverfahrens.
Da über die Kosten des Rechtsstreits im Klageverfahren nach den hierfür geltenden Vorschriften entschieden wird, ergeht im selbständigen Beweisverfahren, wenn in ihm verwertbare Beweise erhoben worden sind, grundsätzlich keine Kostenentscheidung. Ausnahmsweise enthält § 494a Abs. 2 ZPO für den Fall, dass der Antragsteller des selbständigen Beweisverfahrens nach Beendigung der Beweisaufnahme keinen Rechtsstreit gegen den Antragsgegner einleitet, die Möglichkeit, auf Antrag einen Kostenbeschluss zugunsten des Antragsgegners zu erwirken, nach dem der Antragsteller die dem Gegner entstandenen Kosten zu tragen hat. Die Vorschrift soll die Lücke schließen, die dann entsteht, wenn es zu keiner späteren Entscheidung über die Kosten des Rechtsstreits kommt.
Der BGH hat bisher nicht entschieden, in welchem Verhältnis ein gem. § 494a Abs. 2 ZPO ergangener Kostenbeschluss zu der Entscheidung über die Kosten des Rechtsstreits in einem späteren Klageverfahren steht. Der Senat hat zuletzt die Frage offengelassen, ob eine nachträglich im Klageverfahren vom Gericht getroffene Entscheidung über die Kosten des Rechtsstreits stets einen im selbständigen Beweisverfahren ergangenen Kostenbeschluss gem. § 494a Abs. 2 ZPO, der formell rechtskräftig ist, abändert, weil dieser unter der auflösenden Bedingung steht, dass im Hauptsacheverfahren keine abweichende Kostenentscheidung ergeht. Die Frage ist zu bejahen. Sinn und Zweck einer Entscheidung nach § 494a Abs. 2 ZPO über die dem Antragsgegner im selbständigen Beweisverfahren entstandenen Kosten gebieten eine einschränkende Auslegung der Vorschrift. Die Entscheidung nach § 494a Abs. 2 ZPO verliert ihre Wirksamkeit, wenn eine abweichende Kostenentscheidung in einem nachfolgenden Klageverfahren ergeht.
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Die Beklagte wendet sich gegen einen Kostenfestsetzungsbeschluss des LG, soweit sie hiernach im Rahmen der durchgeführten Kostenausgleichung 81 % der ihr in einem vorangegangenen selbständigen Beweisverfahren entstandenen Kosten selbst zu tragen hat. Nach Beendigung des von den Klägern gegen die Beklagte eingeleiteten selbständigen Beweisverfahrens wurde den Klägern durch Beschluss gem. § 494a Abs. 2 ZPO eine Frist von einem Monat zur Erhebung der Klage gesetzt. Nach Ablauf der Frist beschloss das LG, dass die Kläger die Kosten der Beklagten im selbständigen Beweisverfahren zu tragen haben. Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde der Kläger blieb erfolglos.
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Die Rechtsbeschwerde der Beklagten hatte vor dem BGH keinen Erfolg.
Die Gründe:
Im Kostenfestsetzungsbeschluss ist das LG zutreffend davon ausgegangen, dass die Beklagte nur 19 % der ihr im selbständigen Beweisverfahren entstandenen Kosten von den Klägern ersetzt verlangen kann und den Rest selbst zu tragen hat.
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