15.05.2025

Siedlungsrechtliches Vorkaufsrecht: Ausübung trotz (nachträglicher?) Aufhebung des rechtswirksamen Kaufvertrags

Ein siedlungsrechtliches Vorkaufsrecht nach § 4 RSiedlG kann nicht dadurch vereitelt werden, dass Verkäufer und Käufer den Vertrag nach dem Zugang der Mitteilung über die Ausübung des Vorkaufsrechts aufheben. Wird der Kaufvertrag durch Vertreter ohne Vertretungsmacht vor Zugang der Mitteilung über die Ausübung des Vorkaufsrechts aufgehoben und genehmigen Verkäufer und Käufer die Vertragsaufhebung erst danach, entfällt hierdurch nicht rückwirkend das bereits ausgeübte Vorkaufsrecht des Siedlungsunternehmens.

BGH v. 11.4.2025 - V ZR 194/23
Der Sachverhalt:
Die Kläger verkauften mit notariellem Vertrag vom 19.4.2018 zwei in Hessen belegene, etwa 1,4 ha bzw. 2,3 ha große landwirtschaftliche Grundstücke an eine GmbH & Co. KG (Käuferin). Die Käuferin beabsichtigte, auf den Grundstücken eine Freiflächenphotovoltaikanlage zu bauen und zu betreiben.

Im Mai 2018 beantragte der beurkundende Notar die Genehmigung des Kaufvertrags nach dem Grundstückverkehrsgesetz. Aufgrund eines Zwischenbescheids der Genehmigungsbehörde verlängerte sich die Genehmigungsfrist auf drei Monate. Am 26.6.2018 ließen die Kläger und die Käuferin durch jeweils für sie handelnde vollmachtlose Vertreter den Kaufvertrag durch notariellen Vertrag aufheben. Mit den Vertragsparteien jeweils am 28.6.2018 zugegangenem Bescheid teilte die Genehmigungsbehörde mit, dass die Beklagte (Siedlungsunternehmen) das siedlungsrechtliche Vorkaufsrecht nach § 4 Reichssiedlungsgesetz (RSiedlG) ausgeübt habe; zugleich verwies sie auf § 9 Abs. 1 Nr. 1 GrdstVG als Grund für die Versagung der Genehmigung. Am 3. bzw. 4.7.2018 genehmigten die Vertragsparteien den Aufhebungsvertrag notariell.

In einem parallel vor dem Landwirtschaftsgericht geführten Verfahren wollen die Kläger die Genehmigungsfreiheit des Kaufvertrags feststellen lassen. Im hiesigen Zivilprozess begehren sie die Feststellung, dass das siedlungsrechtliche Vorkaufsrecht nicht wirksam ausgeübt worden ist.

LG und OLG gaben der Klage statt. Auf die Rechtsmittel der Beklagten wies der BGH die Klage ab.

Die Gründe:
Das OLG hat zwar im Rahmen der Begründetheit der negativen Feststellungsklage zu Recht geprüft, ob die Aufhebung des Kaufvertrages der Ausübung eines siedlungsrechtlichen Vorkaufsrechts entgegensteht. Seine Auffassung, dass dies der Fall und deshalb der Klage stattzugeben sei, ist aber von Rechtsfehlern beeinflusst.

Richtig ist allerdings, dass ein Vorkaufsrecht grundsätzlich das Zustandekommen eines rechtswirksamen Kaufvertrags voraussetzt. § 463 BGB, der sowohl für vertraglich begründete Vorkaufsrechte als auch - aufgrund einer Verweisung - für gesetzliche Vorkaufsrechte (z.B. nach § 2034 BGB [Miterben], § 577 BGB [Mieter], § 28 Abs. 2 Satz 2 BauGB [Gemeinden]) und ebenso für dingliche Vorkaufsrechte (§ 1098 BGB) gilt, knüpft das Entstehen des Rechts zur Ausübung des Vorkaufsrechts an das Zustandekommen eines rechtswirksamen Kaufvertrags (Vorkaufsfall). Letzteres ist nach ständiger BGH-Rechtsprechung erst dann der Fall, wenn auch die für die Wirksamkeit des Vertrags erforderlichen Genehmigungen erteilt sind. Nur bis zu diesem Zeitpunkt können Verkäufer und Käufer das Vorkaufsrecht gegenstandslos machen, indem sie den Kaufvertrag aufheben.

Handelt es sich bei dem Vorkaufsrecht um ein siedlungsrechtliches Vorkaufsrecht nach § 4 RSiedlG, gelten hinsichtlich des Zeitpunkts, bis zu dem die Kaufvertragsparteien das Vorkaufsrecht durch Aufhebung des Vertrages gegenstandslos machen können, Besonderheiten. Der ursprüngliche Vertrag muss (nur) im Rechtsverhältnis zwischen dem Verkäufer und dem Vorkaufsberechtigten aufrechterhalten bleiben, damit das Vorkaufsrecht überhaupt ausgeübt werden kann und diesem nicht der Boden entzogen wird. Während durch die Mitteilung der Ausübung des siedlungsrechtlichen Vorkaufsrechts die Genehmigung des Kaufvertrags versagt wird, gilt der Kaufvertrag in dem Rechtsverhältnis zwischen dem Verkäufer und dem Vorkaufsberechtigten als genehmigt (§ 6 Abs. 1 Satz 3 RSiedlG).

Nach ständiger BGH-Rechtsprechung erlangt das Siedlungsunternehmen zu diesem Zeitpunkt eine bereits verfestigte Rechtsposition, die weder die Vertragsparteien noch die Genehmigungsbehörde selbst diesem wieder entziehen können. Ein siedlungsrechtliches Vorkaufsrecht nach § 4 RSiedlG kann deshalb nicht dadurch vereitelt werden, dass Verkäufer und Käufer den Vertrag nach dem Zugang der Mitteilung über die Ausübung des Vorkaufsrechts aufheben. Die Partner des den Vorkaufsfall auslösenden Kaufvertrages können nach Zugang der Mitteilung der Vorkaufsrechtsausübung den Genehmigungsantrag nach dem Grundstückverkehrsgesetz nicht mehr zurücknehmen, sie können von diesem Zeitpunkt an auch den Vertrag nicht mehr zum Nachteil des Siedlungsunternehmens aufheben oder abändern. Das Siedlungsunternehmen ist also vor einseitiger Vereitelung des Vorkaufsrechtes durch die Partner des Kaufvertrages geschützt.

Damit hängt der Erfolg der negativen Feststellungsklage davon ab, ob die nachträgliche Genehmigung der vor Zugang der Mitteilung über die Ausübung des Vorkaufsrechts erfolgten Vertragsaufhebung durch vollmachtlose Vertreter Rückwirkung entfaltet und das ausgeübte siedlungsrechtliche Vorkaufsrecht gegenstandslos macht. Die Vertragsparteien haben den Kaufvertrag rückwirkend zum 26.6.2018 aufgehoben. Der zunächst von Vertretern ohne Vertretungsmacht geschlossene und deshalb nach § 177 Abs. 1 BGB schwebend unwirksame Aufhebungsvertrag ist nachträglich wirksam geworden. Das Vorkaufsrecht der Beklagten bleibt davon aber unberührt. Wird der Kaufvertrag durch Vertreter ohne Vertretungsmacht vor Zugang der Mitteilung über die Ausübung des Vorkaufsrechts aufgehoben und genehmigen Verkäufer und Käufer die Vertragsaufhebung erst danach, entfällt hierdurch nicht rückwirkend das bereits ausgeübte Vorkaufsrecht des Siedlungsunternehmens. Für den Schutz des vorkaufsberechtigten Siedlungsunternehmens spielt es keine Rolle, ob der ursprüngliche Kaufvertrag nach der Ausübung des Vorkaufsrechts für die Zukunft oder rückwirkend aufgehoben wird. Eine Rückwirkung zu Lasten des Siedlungsunternehmens scheidet in entsprechender Anwendung des § 184 Abs. 2 BGB aus.

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