12.04.2021

Sittenwidrigkeit eines nachträglich geschlossenen Ehevertrages

Selbst wenn die ehevertraglichen Einzelregelungen zu den Scheidungsfolgen bei isolierter Betrachtungsweise den Vorwurf der Sittenwidrigkeit jeweils für sich genommen nicht zu rechtfertigen vermögen, kann sich ein Ehevertrag im Rahmen einer gebotenen Gesamtwürdigung als insgesamt sittenwidrig erweisen, wenn das objektive Zusammenwirken aller in dem Vertrag enthaltenen Regelungen erkennbar auf die einseitige Benachteiligung eines Ehegatten abzielt. Auch dass ein Ehevertrag erst mehrere Monate nach der Heirat geschlossen wird, steht dessen Beurteilung als sittenwidrig aufgrund einer Gesamtwürdigung sämtlicher Umstände nicht grundsätzlich entgegen.

OLG Karlsruhe v. 31.3.2021 - 5 UF 125/20
Der Sachverhalt:
Der Antragsteller ist Deutscher, die Antragsgegnerin, die (nur) die weißrussische Staatsangehörigkeit hat, lebte in Weißrussland, sie ist studierte Physikerin. Die Beteiligten fanden über eine Kontaktanzeige zueinander. Im Sommer 2002 hielt sich die Antragsgegnerin mit ihrem 1998 geborenen Sohn aus einer anderen Beziehung erstmals beim Antragsteller mehrere Monate in Deutschland auf. Im Januar 2003 zogen sie und ihr Sohn endgültig zum Antragsteller nach Deutschland. Am 19.12.2003 heirateten sie. Zu diesem Zeitpunkt war der Antragsteller 50 Jahre alt, die Antragsgegnerin fast 39 Jahre. Der Antragsteller hat aus erster, kurz vor der Heirat mit der Antragsgegnerin geschiedener Ehe zwei schon damals erwachsene Kinder.

Am 17.3.2004 schlossen die Ehegatten einen ersten notariellen Ehe- und Erbvertrag. Im eherechtlichen Teil fanden sich u.a. folgende Regelungen:

"Für unsere Ehe schließen wir den gesetzlichen Güterstand aus und vereinbaren den Güterstand der Gütertrennung gem. § 1414 BGB.

Wir schließen den Versorgungsausgleich teilweise dahingehend aus, dass die in der Ehezeit bis zur Einbürgerung der Ehefrau erworbenen Versorgungsanwartschaften nicht auszugleichen sind.

Sollte unsere Ehe binnen einer Frist, von drei Jahren an, vom heutigen Tag an gerechnet, geschieden werden, verzichten wir auf nachehelichen Unterhalt und nehmen den Verzicht jeweils an."


Die im Vertrag angesprochene Einbürgerung der Antragsgegnerin erfolgte bislang nicht. Sie ist mittlerweile stellvertretende Laborleiterin und verdient nach eigenen Angaben netto rund 2.000 €. Am 15.3.2013 schlossen die Ehegatten wiederum notariell unter Bezugnahme auf den früheren Ehe- und Erbvertrag einen Änderungsvertrag, in dem jeweils für den Fall der Scheidung nach § 6 Abs. 2 Nr. 2 VersAusglG der Versorgungsausgleich für die gesamte Ehezeit völlig ausgeschlossen und auf nachehelichen Unterhalt vollständig verzichtet wurde.

Im Jahr 2018 trennten sich die, zwischenzeitlich rechtskräftig geschiedenen, Ehegatten. Anschließend stritten sie um die Folgesachen Zugewinnausgleich und nachehelichen Unterhalt. Das Familiengericht hat festgestellt, dass ein Versorgungsausgleich nicht stattfinde, da beide Eheverträge wirksam seien. Die Antragsgegnerin machte mit ihrer Beschwerde geltend, dass wegen ungleicher Verhandlungspositionen die Notarverträge unwirksam seien. Das OLG hielt die Beschwerde teilwiese für begründet.

Die Gründe:
Die Beschwerde ist in der Sache, soweit es um den Auskunftsanspruch über den Bestand des Anfangs- und Endvermögens und um den nicht durchgeführten Versorgungsausgleich geht, begründet. Der Antragsgegnerin stehen die geltend gemachten Auskunftsansprüche über den Bestand des Anfangs- und Endvermögens nach § 1379 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BGB zu. Bereits der erste Ehe- und Erbvertrag aus dem Jahre 2004, in dem der gesetzliche Güterstand ausgeschlossen worden ist, ist nach § 138 Abs. 1 BGB nichtig. Dessen Nichtigkeit ergreift nach § 139 BGB auch den 2013 geschlossenen zweiten Ehe- und Erbvertrag.

Ein Ehegatte muss eine evident einseitige und durch die individuelle Gestaltung der ehelichen Lebensverhältnisse nicht gerechtfertigte Lastenverteilung nicht hinnehmen, soweit dies für ihn unter angemessener Berücksichtigung der Belange des anderen Ehegatten und seines Vertrauens in die Geltung der getroffenen Abrede - bei verständiger Würdigung des Wesens der Ehe - unzumutbar erscheint. Im Rahmen der Wirksamkeitskontrolle ist zu prüfen, ob die Vereinbarung schon im Zeitpunkt ihres Zustandekommens offenkundig zu einer derart einseitigen Lastenverteilung für den Scheidungsfall führt, dass ihr - und zwar losgelöst von der künftigen Entwicklung der Ehegatten und ihrer Lebensverhältnisse - wegen Verstoßes gegen die guten Sitten die Anerkennung der Rechtsordnung ganz oder teilweise mit der Folge einer Anwendbarkeit der gesetzlichen Regelungen zu versagen ist.

Der erste Ehe- und Erbvertrag vom 17.03.2004 hält einer Wirksamkeitskontrolle am Maßstab des § 138 Abs. 1 BGB nicht stand. Zwar ist die Vereinbarung der Gütertrennung und damit der Ausschluss des Zugewinnausgleichs bei isolierter Betrachtung nicht zu beanstanden. Fraglich erscheint aber eine objektive Benachteiligung der Antragsgegnerin hinsichtlich der zum nachehelichen Unterhalt getroffenen Abrede der Beteiligten. Einerseits wird mit dem grundsätzlichen Ausschluss nachehelichen Unterhalts für den Fall, dass die Ehe vor Ablauf von drei Jahren geschieden wird, ein Rechtsgedanken aufgenommen, der sich auch in § 1579 Abs. 1 Nr. 1 BGB findet. Andererseits fehlt die Wahrung der in dieser Vorschrift besonders geschützten Kindesbelange.

Vielmehr wird in der Vereinbarung auch der Betreuungsunterhalt nach § 1570 BGB für diesen Fall vollständig ausgeschlossen, obwohl die Antragsgegnerin bei Vertragsschluss durch die Erziehung eines Kindes gebunden war, gemeinsamer Nachwuchs durchaus zur Diskussion stand und bei der damals 39-jährigen Ehefrau, soweit vorgetragen, auch nicht auszuschließen war und diese überdies als Ausländerin, die zunächst in einem Sprachkurs ihre Deutschkenntnisse vertiefte, zunächst kein eigenes Erwerbseinkommen erwarten konnte. Dasselbe gilt auch hinsichtlich des zumindest potentiell zeitlich bis zu einer Einbürgerung der Antragsgegnerin befristeten Ausschlusses des Versorgungsausgleichs.

Selbst wenn die ehevertraglichen Einzelregelungen zu den Scheidungsfolgen bei isolierter Betrachtungsweise den Vorwurf der Sittenwidrigkeit jeweils für sich genommen nicht zu rechtfertigen vermögen, kann sich ein Ehevertrag im Rahmen einer gebotenen Gesamtwürdigung als insgesamt sittenwidrig erweisen, wenn das objektive Zusammenwirken aller in dem Vertrag enthaltenen Regelungen erkennbar auf die einseitige Benachteiligung eines Ehegatten abzielt. Auch dass ein Ehevertrag erst mehrere Monate nach der Heirat geschlossen wird, steht dessen Beurteilung als sittenwidrig aufgrund einer Gesamtwürdigung sämtlicher Umstände nicht grundsätzlich entgegen.
Landesrechtsprechung Baden-Württemberg
Zurück